Kommentar: Ist weniger Virtual Reality eigentlich mehr?

Kommentar: Ist weniger Virtual Reality eigentlich mehr?

Virtual Reality soll in der maximalen Ausbaustufe sämtliche Sinnesreize simulieren. Die Umsetzung dieser Vision mittels Laufmaschinen, haptischen Handschuhen und Geruchssimulatoren ist teuer, aufwendig und technisch vergleichsweise primitiv. Doch brauchen wir den ganzen Krempel überhaupt, um uns glaubhaft in eine andere Welt zu versetzen?

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Als vor einigen Jahren der Hype um Virtual Reality erneut einsetzte, glaubte manch einer, dass der Siegeszug der Matrix nur noch eine Frage der Zeit ist. Wie lässt es sich anders erklären, dass Investoren Millionen US-Dollar in die Entwicklung exotischen VR-Zubehörs steckten, von dem man schon damals annehmen konnte, dass kein Markt existiert?

Jahre später sind wir der großen Matrix-Vision kaum näher gekommen: Während sich VR-Brillen konstant weiterentwickeln und unseren Augen und Ohren eine immer realere Welt vorgaukeln, sind bei der Simulation anderer Sinne keine signifikanten Fortschritte zu verzeichnen.

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Rechtfertigt der Mehrwert an Immersion den Aufwand? Ein Bild der technisch wohl fortschrittlichsten haptischen Handschuhe von HaptX.

Rechtfertigt der Mehrwert an Immersion den Aufwand? BILD: HaptX.

Laufmaschinen sind groß, laut und schränken im schlimmsten Fall die Bewegungsfreiheit eher ein, als diese zu ermöglichen. Handschuhe mit einem einigermaßen realistischen Tastgefühl sind so wuchtig, dass man mit ihnen nicht mal mehr eine VR-Brille aufziehen kann. Und dann gibt es noch Geruchssimulatoren, die sowohl Nutzern als auch Entwicklern zusätzlichen Aufwand abverlangen.

Eines ist all diesen Produkten gemein: Sie dürften in absehbarer Zeit keinen Massenmarkt erreichen. Damit tun sich ja selbst VR-Brillen schwer. Der Mehrwert an Immersion muss weitaus größer sein als der Nutzungsaufwand und die Anschaffungskosten. Das ist bei diesem VR-Zubehör nicht der Fall.

Für absolute Virtual Reality brauchen wir absolut andere Technologie

Seit dem VR-Hype der 90er Jahre haben sich Sensor- und Displaytechnologien weiterentwickelt und entsprechende Hardware wurde erschwinglicher, sodass Hersteller heute für weniger Geld bessere VR-Brillen anbieten können.

Das heißt jedoch nicht, dass in anderen Bereichen der VR-Simulation wie der Haptik ähnliche Fortschritte erzielt werden können.

Der chinesische VR-Laufband-Hersteller KatVR verspricht ein wohnzimmertaugliches VR-Laufband. Eine Kickstarter-Kampagne soll die Finanzierung richten.

Wirklich natürliche Fortbewegung ist mit einem Laufband nicht möglich. BILD: Kat VR

Dem Maximalanspruch der Virtual Reality wird man mit dem aktuellen Stand der Technik jedenfalls nicht gerecht werden können. Dafür müsste man an anderer Stelle ansetzen, zum Beispiel am Hirn selbst, etwa in Form eines Hirnchips, der sich in den menschlichen Wahrnehmungsapparat einklinkt. In dieser fernen technologischen Zukunft dürften heutige Gerätschaften wie primitives Werkzeug erscheinen.

Nur: Diese Technologie existiert nicht und ob sie jemals existieren wird, ist ungewiss. Heute schon mit Gewinn über sie sprechen kann man nur im Kontext philosophischer Gedankenspiele und Science-Fiction.

Das Gehirn ist die beste VR-Technologie

Die gute Nachricht ist, dass wir für Immersion keinen Hirnchip brauchen. Die Menschheit musste nicht auf Virtual Reality warten, um sich in andere, künstliche Welten zu versetzen. Das sieht man an der Geschichte immersiver Darstellungstechniken, die sich bis ins Jungpaläolithikum zurückverfolgen lassen.

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So nutzten die Urheber der Höhlenmalereien von Lascaux die Wände für eine Panoramasicht und die Form des Gesteins, um den abgebildeten Tieren räumliche Tiefe zu geben, sodass sie im Schummerlicht realer wirken.

Sich eine VR-Brille aufzusetzen, kostet viele Menschen Überwindung. Ob zusätzliche Riechmodule da helfen? BILD: Feelreal

Natürlich war diese Simulation nicht perfekt, aber das Hirn unserer Vorfahren füllte die Lücken. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert die menschliche Kognition: Sie setzt unterschiedliche Sinneseindrücke zu einem Ganzen zusammen und konstruiert so beständig das, was wir Realität nennen.

Nutzen wir Virtual Reality, so greift der gleiche kognititve Mechanismus. Nur dank der Interpretationskunst unseres Gehirns entsteht zum Beispiel das Gefühl, dass wir uns durch einen Raum bewegen, obwohl wir in Wirklichkeit mit einer VR-Brille im Gesicht auf einem Stuhl sitzen. Auch diese Simulation ist bei weitem nicht perfekt, aber sie ist gut genug, um uns visuell echte Fortbewegung vorzugaukeln. Daher wird manchen Menschen auch übel.

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?

Jedes immersive Medium abstrahiert mehr oder weniger von realen Sinnesreizen. Das wird auf lange Zeit auch Virtual Reality tun - bis eine Technologie auftaucht, die dem ganzen Hardware-Overkill ein Ende setzt.

Bis dahin ist VR mit einem bescheideneren Anspruch als dem einer perfekten Simulation weitaus besser bedient. Ansonsten bleibt die große Diskrepanz bestehen zwischen dem, was Filme und Vermarkter versprechen und dem, was die Technologie letzten Endes tatsächlich leisten kann. Das kann dem Erfolg nur hinderlich sein.

Wie wäre es also, wenn wir unsere Ansprüche senken und in der Virtual Reality weniger ein vollkommen neues Medienparadigma sehen, das den Anspruch und das Vermögen hat, sämtliche Sinnesreize oder gar unsere bekannte Realität zu ersetzen?

Stattdessen könnte man VR und AR pragmatisch als neue Art Computer betrachten, der uns digitale Welten erstmals räumlich erleben und mit dem eigenen Körper bedienen lässt.

Das leistet VR schon und jetzt und und das macht sie gut - ohne Laufbänder, haptische Handschuhe und ähnlichen Schnickschnack.

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| Featured Image: Warner Bros. Pictures