VR für Reiche: High-End-VR wird massiv überschätzt

Wo bleibt das nächste Half-Life: Alyx? Hoffentlich noch eine Weile in der Schublade. Echtes Virtual-Reality-Gold liegt woanders.
Der Grafikfetischisten-Krieg ist so alt wie die Computerspiele: Es gibt immer eine ganz spezielle Nerd-Fraktion – mit den neuesten und fettesten Grafikkarten, Prozessoren, fast-industriellen Kühlsystemen und ausgefeiltesten Overclocking-Techniken – die sich mit Computerspielgrafik erst dann zufrieden zeigt, wenn sie schärfer als die Realität ist.
Der „wahre Gamer“ findet 60 FPS eine Zumutung, schließlich ist visueller Flow erst perfekt, wenn das Spiel den 144-Hertz-Monitor ausreizt. Kantenglättung wird im atomaren Bereich mikroskopisch genau geprüft und wenn es keine „Hyper-Ultra-Individual-Overl0rd“-Einstellungen gibt, dann ist der Spiele-Refund nur noch Formsache.
Half-Life: Alyx ist keinesfalls der Gottesbeweis für VR
Walkabout Mini Golf bringt VR weiter als teure AAA-Spiele
Höher, schneller, weiter – auch wenn man sich dabei selbst abhängt
Ich vermute, dass durch den Lärm um möglichst realistische Spielwelten und High-End-VR viele Entwickler und Publisher Spiele mit einfacherer Grafik lange Zeit gar nicht auf dem Zettel hatten. Dazu kommt, dass die wenigen Hochglanz-Produktionen den gesamten VR-Diskurs in den Medien beherrschen: Von Half-Life: Alyx über The Walking Dead bis zu Star Wars: Squadrons – immer sind es PC-VR-Titel, die als leuchtende Beispiele für tolle Virtual Reality herhalten und anderen VR-Spielen die Luft zum Atmen nehmen.
Das liegt auch an unserer Höher-Weiter-Schneller-Mentalität, die sich allerdings meistens auf die Form beschränkt: Wir lassen uns auch in VR gern von visuellem Bling-Bling blenden. Das funktioniert bei Flat-Games schon lange zuverlässig. Die Grafik und die grandiose Welt eines Cyberpunk 2077 täuscht etwa erfolgreich darüber hinweg, dass das Spiel nicht mehr als 20 Jahre aufgewärmte Spielgeschichte ist. Weitere Beispiele für Grafikblender, etwa Watch Dogs, gibt es en masse.
Nun ist Half-Life: Alyx natürlich nichts davon: Es gibt kaum Spiele, die das Potenzial von Virtual Reality so gut demonstrieren. Doch wenn wir uns die Kosten-Nutzen-Rechnung anschauen, sind solche Produktionen eine Ausnahme und keinesfalls die Zukunft von VR. Diese Zukunft liegt stattdessen auf Plattformen wie der Quest 2: Kabellos, schnell einsatzbereit und mit großem Leistungspotenzial für durchdachte Anwendungen. Das öffnet den Markt, das macht VR lukrativ für Entwickler und Publisher und – was noch viel wichtiger ist – es öffnet die Zielgruppe von einer engen und verhältnismäßig reichen VR-Bubble hin zum viel beschworenen Massenmarkt. Das belegen auch die Zahlen.
Zugänglichkeit bedeutet nicht zwangsläufig mangelnde Komplexität
Nicht das Leuchtturm-Projekt macht eine Hafenstadt erfolgreich, auch wenn es unbestreitbar wichtig ist. Es ist die Stadt, der Hafen, die Geschäfte, die Einwohner und die Zugänglichkeit, die über den Erfolg entscheiden. Ein zweiter, dritter, vierter Leuchtturm bringt nicht viel – wohl aber weitere, stabile Anlegestellen, an denen mehr Boote mit Passagieren landen, die wiederum schnell in die Stadt gelangen.
Wir benötigen deutlich mehr solche Anlegestellen in VR. Einfache, schöne und motivierende VR-Spiele, die man gern immer wieder spielt. Half-Life: Alyx habe ich einmal durchgespielt, war geflasht und dann war es das wieder mit High-End-VR. Walkabout Mini Golf spiele ich regelmäßig.
Sicher freue ich mich auf den nächsten PC-VR-Grafik-Kracher, aber High-End-VR wird im Gesamtbild komplett überschätzt: Es ist an allen Fronten zu teuer und zu wenig komfortabel in der Nutzung. Das wahre Potenzial für Virtual Reality und Teilbereiche eines künftigen Metaverse liegt auf mobilen Plattformen wie der Quest 2. GTA: San Andreas ist ein konsequenter Schritt in diese Richtung. Meta wird auf lange Zeit VR-Marktführer bleiben, weil es verstanden hat, dass Zugänglichkeit keinesfalls mangelnde Komplexität bedeuten muss.
Es gibt übrigens im Netz einen alten Beitrag von mir, in dem ich über Retrospiele (etwa 8- oder 16-Bit-Games) herziehe und sie als Pixelschrott bezeichne. Die Argumentation ist zugegebenermaßen dürftig, ich mag allerdings bis heute keine Retro-Pixel-Spiele. Gleichzeitig stehe ich auf Minecraft und feiere Quest-2-Grafik ab.
Bazinga.
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