Vive XR Elite im Test: Ein gutes Argument für eine Quest Pro
Die Vive XR Elite hat so viel Potenzial. Und sie macht so wenig daraus, dass die Quest Pro locker als Gewinnerin vom Platz geht.
VR-Brillen von HTC: Viel Hoffnung im Vorfeld, gute Previews und dann, im Test, doch nur Enttäuschung. Die Vive Pro 2 war ein Linsen-Desaster, die Vive Flow indiskutabel und nur die B2B-Brille Vive Focus 3 konnte einigermaßen überzeugen (abgesehen von den Linsen).
Neuer Anlauf, diesmal will HTC nach langer Zeit wieder direkt an die Heimanwender:innen vermarkten. Meine Preview lobte die Vive XR Elite auch direkt, die kurze Anspielsession war sehr vielversprechend. Und dann kam wieder mal der Test.
Inhalt
Vive XR Elite Test in aller Kürze
Die Vive XR Elite ist wohl eine Art Designstudienexperiment, das bei Kund:innen zu Hause durchgeführt wird. Die Brille ist superschmal, vorne sehr leicht, modular, hat Sehschärfeeinstellung verbaut, Pancake-Linsen und kann mit Brillenbügeln ausgerüstet werden. Soweit, so super.
Aber die Linsen zeigen übles Glare, Mura ist auch da und die internen Spiegelungen feiern härter Party als bei der Pico 4. Das Bild wirkt in kontrastreichen Szenen als würde man durch ein Dampfbad schauen. Das Sichtfeld ist kleiner als das der Quest Pro und die Gesichtsmaske ist nur ein enger Sichtschutzlappen, der durch die oberhalb der Augen verbaute Plastikschiene nach 30 Minuten arg unangenehm drückt.
Streaming über USB-Kabel habe ich gar nicht erst zum Laufen bekommen. WiFi-Streaming funktioniert nur im Leistungsmodus flüssig genug – die Schnelligkeit, in der SteamVR verfügbar ist, ist allerdings bemerkenswert gut. Im Brillenmodus (also ohne Akku am Hinterkopf) ist es genauso nützlich wie die Vive Flow. Nämlich so gut wie gar nicht.
Das Passthrough ist nicht tiefenkorrekt, bietet aber ein scharfes Bild, das auf kurze Entfernung auch Bildschirmtext ablesen lässt. Alles zusammen genommen ist die Vive XR Elite ein Experiment, das zeigt, welchen Formfaktor VR- oder XR-Brillen künftig annehmen können.
Davon abgesehen gibt es keinen Grund, 1.400 Euro dafür auszugeben. Wirklich keinen.
Vive XR Elite ist für euch geeignet, wenn …
- ihr eine besonders kleine und modulare VR-Brille ausprobieren wollt,
- ein gutes Passthrough-Bild benötigt,
- einen WiFi-6-Router in direkter Nähe zu eurem Spielbereich besitzt und
- ein Miracast und HDCP 2.2-fähiges-Gerät für Smartphone- oder Laptop-Streaming besitzt.
Vive XR Elite ist nicht für euch geeignet, wenn …
- Ihr ein sauberes, klares Bild ohne Glare und Spiegelungen erwartet,
- ein wirklich bequemes Headset benötigt,
- flüssiges Streaming vom PC erwartet,
- einfaches Streaming vom Smartphone wollt oder
- tiefenkorrektes Passthrough-AR möchtet.
Einrichtung, Konfiguration, Augenabstand, Tracking
Zuerst kopple ich die VR-Brille mit der Vive Manager App und stelle dort das Wi-Fi-Netwerk ein. Danach werde ich durch die Einstellung der Linsenschärfe sowie des Augenabstands geleitet. Ersteres funktioniert einfacher, wenn ich meine Dioptrienwerte kenne. Sonst muss ich die Sehschärfe visuell über ein grünes Kreuz begutachten, während ich mit zwei Fingern am Einstellrad an der Linse drehe. Der IPD (54 - 73 mm) wird hingegen bequem über einen Schieberegler unterhalb der Brille eingestellt.
Danach stelle ich den Spielbereich ein, was vergleichbar gut funktioniert wie bei anderen autarken VR-Brillen. Das war es auch schon – die Einrichtung ist wirklich schnell und einfach.
Allerdings begegnen mir immer wieder Bugs in der App, wenn ich etwa aus der Store-Ansicht nicht mehr zu den Einstellungen oder verbundenen Geräten wechseln kann. Auch das Spiegeln meines Smartphones in die Vive XR Elite funktioniert nicht auf Anhieb und ich muss eine manuelle Verbindung mit Miracast/Screencast herstellen.
Das Tracking – sowohl der VR-Brille als auch der großen Focus 3 Controller – funktioniert bei gutem Licht meistens ausgezeichnet. Hier sind mir aber auch mehrfach Bugs aufgefallen, etwa beim Wechsel von außerhalb des Spielbereichs wieder hinein und umgekehrt. Dann werden die Controller manchmal zu niedrig angezeigt und der Laserpointer zu hoch – das eigentliche Tracking funktioniert aber noch.
Handtracking geht erstaunlich gut, aber immer noch nicht gut genug. Zu häufig werden Fingerstellungen als Pinch, also Auslöser oder Klick, missinterpretiert und starten ungewollt Programme.
Der Akku hält maximal 2 Stunden und braucht etwa die gleiche Zeit, um aufzuladen.
Vive XR Elite: Auflösung, Farben, Bildwiederholrate, Bildeindruck
Die XR Elite hat eine Auflösung von 1.920 x 1.920 Pixel pro Auge und liegt damit leicht über der Quest 2 (1.832 x 1.920), der Quest Pro (1.800 x 1.920) und unter der Pico 4 (2.160 x 2.160). Die Farben sind deutlich weniger satt als in der Quest Pro, aber auf einem ähnlichen Level wie die Quest 2.
Ich sehe leichtes Mura, also unterschiedlich helle Bildpunkte auf dem Display, die wie ein Schleier über dem Bild liegen. Das fällt in Anwendungen meistens nicht weiter auf. Allerdings verstärkt es leider den generell schlechten Bildeindruck: Das Glare, der Strahlenkranz um helle Objekte (etwa weiße Schrift) und die internen Spiegelungen sind so stark, dass ich in kontrastreichen, hellen Szenen wie durch einen Nebel schaue. Dazu kommt ein enger Sweetspot und die Tatsache, dass die Linsen zu den Rändern hin sehr früh sehr unscharf werden – so schlimm, dass Text am Rand völlig unleserlich wird.
Ich habe zudem das Problem, dass ich die Brillenfront der Vive XR Elite eigentlich noch etwas tiefer tragen müsste, um wirklich den Sweetspot zu treffen. Das geht aber nicht – die VR-Brille kann ich nicht tiefer auf meine Nase drücken, mein Zinken ist schon am Anschlag der engen Ausbuchtung des VR-Headsets. Schau ich geradeaus, bin ich gerade noch so im Sweetspot, lasse ich den Blick etwas nach unten wandern, ist die Unschärfe extrem. UI-Fehler verstärken das Problem noch: Häufig werden Hinweise (etwa zu Updates) so niedrig im Bild angezeigt, dass sie völlig unlesbar sind.
In Szenen mit einem schwarzen Hintergrund und den weißen Laserpointern der Controller oder den weiß dargestellten virtuellen Controllern selbst, sehe ich deutlich mehrere Spiegelungen des virtuellen Gegenstands, wie ein grafisches Echo, teilweise farbig. Das ist wirklich unschön.
Dazu kommen leichte Wölbungen und der Eindruck, dass sich das Bild manchmal minimal mitbewegt, wie man es von 3DOF-Brillen kennt. Das fällt mir bei genauem Hinsehen etwa in der Home-Umgebung beim Blick auf die Wolken oder den Space-Wal auf, der vor dem Fenster entlangfliegt.
In Apps und Spielen ist das alles glücklicherweise nicht so dominant – ich gewöhne mich durchaus dran. Aber wenn mir direkt danach der Vergleich mit der Quest 2 als enorme Verbesserung der Bildklarheit erscheint, ist klar, dass die Linsen- und Displaykonstruktion der Vive XR Elite noch viel Potenzial nach oben hat.
Das Sichtfeld liegt laut HTC bei 110 Grad und ist damit angeblich größer als das der Quest 2 (95 Grad). Das kommt für mich auf keinen Fall hin. Im Gegenteil – ich habe im direkten Vergleich den Eindruck, dass das Sichtfeld der Quest 2 mindestens gleich groß ist, das der Quest Pro sogar größer.
Passthrough & AR (Mixed Reality)
Die farbige Passthrough-Durchsicht ist wirklich gut, auch wenn sie kein stereoskopisches, tiefenkorrektes Bild liefert. Anders als bei der Farbdurchsicht der Pico 4, die starke Verzerrungen und Fischaugeneffekte mitbringt, sehe ich hier ein zwar vergrößertes, aber ruhiges, glattes 2D-Bild meiner Umgebung. Das heißt, Entfernungen kann ich nicht richtig einschätzen, etwa wenn ich auf ein Whiteboard schreiben will oder auf dem Smartphone tippe. Aber das Bild ist immerhin so scharf, dass ich auf Armlänge meine Uhr oder mein Smartphone lesen kann. Das hilft sehr, wenn die Software mal wieder verlangt, irgendwelche Einstellungen außerhalb des Headsets vorzunehmen, etwa bei dem Streaming-Gefrickel mit dem Vive Streaming Hub und SteamVR. Dazu später mehr.
Der Tiefensensor der XR-Brille ist bislang nicht aktiviert worden. Kleine XR-Spiele wie Maestro demonstrieren etwas Mixed-Reality-Magie, bekannte Apps wie Puzzling Places bieten hier allerdings noch keinen MR-Modus an. Wer einen reichhaltigen Fundus an AR-Apps erwartet, wird enttäuscht.
Vive XR Elite: Tragekomfort
Das eine VR-Brille leicht ist, ist ein Teil des Komfortpuzzles. Ein anderer ist der Komfort direkt am Kopf, durch die Halterung und die Gesichtsmaske. Ich bemerke durchaus das geringere Gewicht der Brillenfront (vorn wiegt sie nur rund 249 Gramm). Der Akku hinten ist allerdings schwerer (346 Gramm) und sorgt für eine Umkehrung der bisher gewohnten Verhältnisse: Wo es mich bei Quest 2 eher nach vorn zieht, verspüre ich jetzt ein leichtes Übergewicht nach hinten.
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Die ovale Konstruktion der Hinterkopfhalterung, an der auch der austauschbare Akku angebracht ist, ist zudem sehr rutschig. Ich muss das Einstellrad wieder stark festziehen, damit die Brille hinten nicht wegrutscht. Verkehrte Welt.
Das sorgt vorn wiederum dafür, dass die ziemlich enge Gesichtsmaske gegen die Stirn drückt. Die Komfortexperten von HTC haben einfach ein bisschen steifen Stoff als Gesichtsmaske verwendet und diese an einer Plastikschiene befestigt, die oberhalb der Augen direkt auf die Stirn drückt. In Verbindung mit dem Anpressdruck, der benötigt wird, um den Akku am Hinterkopf an Ort und Stelle zu halten, wird es vorn an der Stirn nach 30 Minuten ziemlich unangenehm.
Warum gibt es kein normales Schaumstoffpolster fürs Gesicht? Immerhin lässt sich die Gesichtsmaske leicht abnehmen, sie ist magnetisch befestigt. Bleibt die Hoffnung auf Ersatzteile, die angenehmer zu tragen sind.
Vive XR Elite: Sound, Software, Streaming
Der Sound der eingebauten Lautsprecher ist okay, sie neigen aber zum Übersteuern. Die Menü-Software funktioniert meistens gut, ist aber auch immer mal für einen Bug gut. Manchmal lassen sich etwa Dialogboxen nicht mehr wegklicken (etwa beim Versuch das Smartphone zu spiegeln) – dann hilft nur noch ein Neustart.
Die Apps und Spiele für die XR Elite – direkt über den Store oder Viveport – sind auf einem geringeren Niveau wie der Pico Store: Hier finden sich sehr wenig bekannte Titel und generell ist das Angebot mit etwa 90 Apps zum heutigen Zeitpunkt limitiert. Das Viveport-Infinity-Programm, mit dem der Zugang zu vielen hundert VR-Apps möglich sein soll, ist für die XR Elite gar nicht erhältlich. Für den Start in das Consumer-Segment ist das doch sehr verwunderlich.
Nur für die derzeit verfügbaren nativen Apps lohnt diese VR-Brille nicht. Immerhin ist SteamVR-Streaming möglich. Dafür brauche ich wieder die übliche Zusatzsoftware auf meinem PC, diesmal das Vive Streaming Hub. Sehr gut gelungen ist HTC das Wi-Fi-Streaming-Setup: So schnell war ich noch nie in SteamVR und der Button im Systemmenü, mit dem ich nahtlos zwischen nativen Apps und PC-VR-Apps umschalten kann, ist ein Geniestreich. Allerdings lassen sich PC-VR-Spiele nur im Leistungsmodus (einstellbar im Vive Streaming Hub) überwiegend flüssig spielen. Sobald ich ich auf „Ausgeglichen“ oder gar „Qualität“ spielen will, ruckelt es deutlich zu oft.
Im direkten Vergleich funktioniert Air Link für Quest 2 und Quest Pro besser. Virtual Desktop gibt es bislang nicht für die Vive XR Elite.
Für mich der Knaller: Das Streaming über Kabel, eigentlich eine sichere Sache, funktionierte bei mir partout nicht. Kein USB-Slot, kein Kabel, auch nicht das mitgelieferte, wollten Streaming erlauben. Ich habe auch hier die Probe mit Quest Link gemacht und dort funktionierte alles bestens.
Vive XR Elite als Brille ohne Akku – funktioniert das?
Wenn ich den Akku ab- und die Bügelklemmen anklippe, kann ich mir die XR Elite an den Kopf klemmen, ohne dass der Akku beim Anlehnen an einen Sitz oder im Liegen stört. Soweit die Theorie.
In der Praxis üben die Bügelklemmen unangenehmen Druck auf zwei Punkte rechts und links seitlich am Hinterkopf aus. Doch viel schlimmer ist, dass HTC die Konnektivität wieder so gebaut hat, wie schon bei der Vive Flow: Wenn ihr kein Miracast-fähiges Smartphone habt, ist es Essig mit Streaming. Netflix und Co. könnt ihr auch nur streamen, wenn das Smartphone den Kopierschutz HDCP 2.2 unterstützt. In dieser Liste seht ihr, welche Smartphones die „Telefonspiegelung“ unterstützen.
Ein direkter Anschluss an das Telefon mit USB-C geht zwar, aber der Strom reicht nicht für gleichzeitige Übertragung des Bildes und die Versorgung des Headsets. Ich habe das mit dem Oppo Find X3 ausprobiert und bekam nur ein schwarzes Bild. Wenn ich es anders lösen will, muss ich etwa einen Laptop anschließen. Streamen benötigt auch hier ein leistungsfähiges WLAN-Netzwerk, was Zug oder Flugzeug meistens ausschließen dürfte.
Prime, Netflix & Co. kann ich wegen des fehlenden DRM-Protokolls meines Smartphones ohnehin nicht schauen. Ich muss Filme und Videos also auf direkt auf dem Smartphone oder Laptop speichern. Dann kann ich den virtuellen Smartphone-Bildschirm drehen und auf einer großen Leinwand schauen - vorausgesetzt, die Verbindung zum Smartphone oder Laptop bricht nicht ab, was mir mehrfach passierte. Das geht besser.
Passthrough-Ansicht, also virtuelle Leinwand in der realen Umgebung, war bei mir auch nicht möglich – eine weitere vergebene Chance.
Datenschutz
Die Datenschutzregeln von HTC räumen sich meines Wissens nach weniger Rechte ein, Daten an Dritte weiterzugeben, als etwa Pico oder Meta. Für Business-Zwecke schließt HTC das sogar kategorisch aus.
HTC hat zudem den großen Vorteil, dass sie sich noch keine Skandale beim Datenschutz haben zuschulden kommen lassen.
Vive XR Elite Test-Fazit: Beim nächsten Mal wird’s gut, ganz sicher, oder?
Eine gute VR-Brille ist mehr als die Summe ihrer Teile. Sie wird daran gemessen, wie gut diese Teile zu einem großen Ganzen werden, inklusive ihrer Benutzbarkeit durch die verwendete Software. HTC hat kein rundes Gerät geschaffen, da sie nur auf den Formfaktor geschaut, die eigentliche, von guter Software getriebene Benutzererfahrung aber erneut weitgehend vergessen haben.
Mir ist wirklich nicht klar, wie man diese XR-Brille mit diesen Linsen und der teils mangelhaften Software für 1.400 Euro an Privatanwender verkaufen will.
Es hat einen Grund, warum die Quest 2 die beliebteste und bestverkaufte autarke VR-Brille ist, denn sie ist ein rundes Ganzes, das meistens fehlerfrei und stabil funktioniert und schnell und einfach zu bedienen ist. Bei der XR Elite sind weder genug Apps vorhanden, noch funktioniert das PC-Streaming gut genug.
Den Vogel schießt für mich erneut ab, dass keine einfache, schnelle und direkte Verbindung zu meinem Smartphone möglich ist. Stattdessen benötige ich Miracast und eine schnelle WLAN-Verbindung sowie eine Stromquelle, die stark genug ist, um die XR Elite in ihrer Brillenbügel-Form zu betreiben.
Das ist viel zu umständlich, unzuverlässig, instabil und damit meiner Meinung nach nicht ausreichend für ein B2C-Produkt - schon gar nicht zu diesem Preis.
Mit genug Software-Updates, einem funktionierenden Tiefensensor und einer besseren Gesichtsmaske kann aus der XR-Brille eine gute Business-Brille werden. Vielleicht wollte man das Feedback und die Felddaten der Privatkund:innen für die Verbesserung der B2B-Version auswerten und das Gerät beim Kunden reifen lassen. Klassisches Bananenprodukt eben.
Am Ende des ernüchternden Tests kann ich in der Preisklasse jedenfalls nur zu der deutlich besseren Quest Pro raten.
Die Vive XR Elite könnt ihr hier kaufen
Alle Infos zur Vive XR Elite findet ihr im verlinkten Artikel.
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