"Spatial Computing ist eine auf Qualcomm zugeschnittene Herausforderung"

Qualcomm präsentiert sich als XR-Innovator und will die Herausforderungen für „Wahrnehmungs-Technologien“ wie AR lösen. 

Das neue Qualcomm-Büro in Wien ist so unspektakulär, wie man es sich nur vorstellen kann. Es könnte sich auch um das Büro eines mittelständischen Vertriebsunternehmens handeln, wenn die Buchstaben an der Tür nicht wären. Ein paar Tische mit PCs im Großraumbüro, in der Mitte ist der Gang durch lange weiße Kommoden abgetrennt, auf denen ebenso lange Pflanzenkästen mit passendem Grünzeug stehen.

Meetingräume und Küche sind so normal wie in jedem anderen Büro – es gibt keine Extravaganz in der österreichischen Niederlassung des (2021) fünftgrößten Halbleiterherstellers der Welt. Das passt zur betont hemdsärmeligen Attitüde, die die Qualcomm-Repräsentant:innen inklusive ihres live zugeschalteten Vizepräsidenten für XR, Hugo Swart, ausstrahlen.

„Wir wollen, dass Apple erfolgreich ist“

Qualcomm positioniert sich auf dem Presseevent am 20. September in Wien als bestgeeignetes Unternehmen, um die Herausforderungen im XR-Bereich, insbesondere bei der Entwicklung von alltagstauglichen AR-Brillen, zu bewältigen.

Tatsächlich sieht Qualcomm das Zeitalter von 5G, KI und XR angebrochen, so Jerome Jacqmin, Senior Director of Marketing in Europa. „Wir verwenden den Begriff 'Spatial Computing' schon seit drei Jahren“, lautet direkt zu Anfang der Seitenhieb auf Apple, die sich mit diesem Begriff bei der Vorstellung der VR/AR-Brille Vision Pro vom üblichen Terminus Mixed Reality abzugrenzen versuchten.

Die Konkurrenzsituation sieht Jacqmin allerdings eher mit einem Augenzwinkern, denn Konkurrenz sei in dieser noch ganz am Anfang stehenden Branche sehr willkommen. Man wolle, dass der Markt wächst und das ginge nur mit breitem Engagement der Industrie. „Wir wollen, dass Apple erfolgreich ist“, sagt Jacqmin mit einem Augenzwinkern. „Aber nicht zu erfolgreich.“

XR2 Gen2 und AR1 Gen 1 als erste dedizierte Schritte ins XR-Zeitalter

Das Engagement von Qualcomm im XR-Bereich beginnt bereits im Jahr 2007, als das Unternehmen sein erstes AR-Projekt startete. Seitdem ist einiges geschehen, hauptsächlich mit der Einführung der ersten autarken VR-Brillen, etwa der Oculus Quest im Mai 2019. Ein Snapdragon 835 von Qualcomm arbeitete in dem Headset und nur zwei Jahre später legte Qualcomm mit dem deutlich leistungsfähigeren Snapdragon XR 2 in Metas Quest 2 nach.

Einen ähnlich großen Sprung möchte man jetzt mit der Ankündigung der neuen Generation, dem Snapdragon XR2 Gen2, wiederholen. Der Chip ist in der gerade frisch von Meta vorgestellten VR/AR-Brille Quest 3 verbaut und die Leistungsdaten können sich sehen lassen: Im Vergleich zum XR2 bietet der XR2 Gen2 eine 2,5-fache Spitzenleistung und 50 Prozent höhere Energieeffizienz.

Qualcomms "Wahrnehmungs-Technologien" beruhe auf den Eckpfeilern Nutzenden-Verständnis und Verständnis der Umgebung, so das Unternehmen. | Bild: Qualcomm

Der Chipsatz unterstützt Displays mit einer Auflösung von bis zu 3k mal 3k und Performancetechnologien wie Foveated Rendering, Space Warp und Game Super Resolution. Snapdragon XR2 Gen 2 kann zudem Daten von bis zu zehn Kameras verarbeiten und ermöglicht Passthrough mit einer Latenz von bis zu 12 ms. Auch der neue Wi-Fi-7-Standard für drahtlose Datenübertragung wird unterstützt, ebenso wie 6E und Bluetooth 5.2 und 5.3.

Warum heißt der neue Chip nicht XR3? „Weil es weiterhin ein XR2 ist“, gibt Jacqmin lakonisch zurück. „Nur eben deutlich verbessert. Vielleicht werden wir irgendwann einen XR3-Chip sehen, aber bis dahin glauben wir, dass die XR2-Bezeichnung für diese Art Chips gut passt.“

Die XR-Branche orientiert sich stark in Richtung Augmented Reality. Die Herstellung alltagstauglicher AR-Brillen ist aber noch eine harte Nuss, die auch Apple trotz klarer Zielsetzung nicht knacken konnte. Deshalb setzen die XR-Hardware-Hersteller auf die aktuell beste Alternative, nämlich Durchsicht- oder Passtrough-Fähigkeiten von VR-Brillen wie der Quest 3 oder Vision Pro. Dabei geht es um die Verschmelzung digitaler Inhalte mit der Realität, die für ein sinnvolles Metaverse-Konzept essenziell ist.

„Die Miniaturisierung ist auf dem Weg“

Qualcomm sieht sich als XR-Innovator auch hier dazu berufen, die AR-Zukunft möglich zu machen und die nötige Technik in verhältnismäßig normale Brillengestelle zu stopfen. „Wir sind auf dem Weg dorthin. Die Miniaturisierung ist definitiv auf dem Weg“, ist Qualcomms Jerome Jacqmin überzeugt. Erster dedizierter Schritt in diese Richtung ist der neue, für kommende Smart- und AR-Brillen bestimmte Snapdragon AR1-Gen1-Chip.

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Der Chip unterstützt 3DOF, eine Auflösung von 1.280 × 1.280 Bildpunkten pro Auge, 12 Megapixel Fotos und 6 Megapixel Videos. Die integrierte KI-Lösung erlaubt visuelle Suche, gezielte Audioaufnahmen und Echtzeitübersetzung. Über Wi-Fi 7 sind laut Qualcomm Datenübertragungen bis zu 5,8 Gigabyte pro Sekunde möglich.

Einsatzbereiche für den AR1-Gen1-Chip von Qualcomm. | Bild: Qualcomm

Der Chip kommt erstmals in den Ray Ban | Meta Smartglasses zum Einsatz, die Meta am Mittwoch auf der Connect 2023 vorstellte und die in diesem Formfaktor ein beeindruckendes Stück Technik sind.

Qualcomm hat in den vergangenen Jahren verschiedene Start-ups übernommen, um sich etwa im Bereich Computer-Vision oder standortbezogenes AR zu verstärken. Das Unternehmen bietet zudem mit Snapdragon Spaces eine offene Entwicklungsumgebung mit Features wie Raum-, Hand- und Fingertracking, Bild- und Objekterkennung, 3D-Kartografierung der Umgebung, dauerhafter Verankerung von Objekten in der Umgebung und realistische Verdeckung von digitalen Objekten an.

Spaces wächst: Allein in den vergangenen 12 Monaten sollen über 5.000 Entwickler:innen auf die Plattform gekommen sein. Zusätzliche Partnerschaften mit Unity und Epic Games sollen weitere Synergien für das XR-Zeitalter ermöglichen.

Immersive Technologien haben das Potenzial zur Disruption

Dass immersive Technologien ihren Weg in den Alltag der Menschen finden werden, davon ist nicht nur Qualcomm überzeugt. Die bisher nur ansatzweise erkundeten Möglichkeiten, die VR und AR bieten, lassen schon recht gut erkennen, wo eines Tages disruptive Veränderungen zu erwarten sind. Alles, was dem Menschen schneller, einfacher und intuitiver Informationen oder Interaktionen zur Verfügung stellt oder effizientere Formen der Kommunikation ermöglicht, hat das Potenzial, sich am Markt durchzusetzen.

Doch dieses Potenzial muss eben einmal in der Praxis ankommen. Das könnte noch eine Weile dauern.

Größtes Hindernis für VR sind derzeit fehlende Inhalte und Software-Experimente, die aus dem üblichen Einheitsbrei einfallsloser Shooter-Spiele ausbrechen und auch mal abseits von VR-Spielen das Spektrum der Technologie erkunden.

Bei den AR-Brillen ist das Hindernis hingegen die Physik. Ich bin gespannt, wie schnell die Entwicklungen in diesem Bereich vorangehen werden und vor allem, wozu die ersten echten alltagstauglichen AR-Brillen mit eigenen Displays in der Lage sind. Meta möchte nächstes Jahr erstmals in begrenztem Rahmen solche Brillen vorstellen, aber erst für 2027 ist eine Konsumentenversion geplant.

Also noch genug Zeit für Qualcomm, um dann mit einem XR3 oder einem AR3 möglicherweise Marktführer zu werden.