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Meta und Facebook sind tot! Endlich!

Meta und Facebook sind tot! Endlich!

Meta veröffentlicht einen Quartalsbericht, Börsianer sind entsetzt. Grund genug für eine Litanei des Untergangs allüberall. Ist Meta wirklich tot?

Habt ihr es schon gehört? Es sieht nicht gut aus für Meta! Der ehemalige Social-Media-Riese hängt am Tropf sinkender Facebook-Nutzerzahlen. Sämtliche Medien sind sich einig: Meta ist verdammt. Dabei sind es nicht die Skandale um Daten oder Hass und Hetze, die den neuerdings Meta genannten Facebook-Konzern in die digitalen Knie zwingen: Es sind die Ertragszahlen, die dafür sorgten, dass die Meta-Aktie ein Viertel ihres Wertes verlor und der Börsenwert innerhalb weniger Stunden um über 200 Milliarden Dollar abstürzte.

Es ist nicht wichtig, ob deine Plattform eine Brutstätte für Hass ist. Es ist nicht wichtig, ob ein gefühlter Großteil der Kommentare toxisch ist. Es ist egal, wenn Aufrufe zu Gewalt – solange sie nur angedeutet werden und nicht explizit Ort, Zeit und Art spezifizieren – als Meinungsäußerungen auf deiner Plattform stehenbleiben dürfen.

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Nichts davon beschädigt ein riesiges Tech-Unternehmen so nachhaltig, wie ich es aus meiner naiv-idealistischen Sicht der Dinge erwarten würde. Ich hielt es für unmöglich, dass Personen gewählt werden, die nachweislich Unmengen Lügen erzählen – weit abseits von den typischen Wahlkampf-Unwahrheiten, die wir uns traditionell alle paar Jahre um die unbelehrbare Murmel hauen lassen. Ich hätte nie gedacht, dass es Vollidioten geben würde, die ohne Not mit dem Feuerzeug an der Lunte zu einem neuerlichen Weltkrieg spielen. Ist aber beides geschehen oder geschieht noch.

Das, was wirklich Einfluss hat, ist nach wie vor Geld. Es ist die ewige Rallye zum Wachstum, jener kapitalistischen Wahnvorstellung, dass alles immer exponentiell wachsen muss. Meta ist dabei ein herrliches Beispiel, wenn man sich die nackten Zahlen anschaut, die zum Absturz der Aktie geführt haben:

  • Die Zahl der täglichen Nutzer von Facebook fiel um eine Million Menschen auf 1,929 Milliarden.
  • Im vorherigen Quartal war die Nutzung noch um 25 Millionen gestiegen.
  • Der Umsatz von Meta stieg auf 33,7 Milliarden Dollar.
  • Der Gewinn sank auf 10 Milliarden Dollar.
  • Für das laufende Quartal prognostiziert Meta ein Umsatzwachstum von drei bis elf Prozent auf 27 bis 29 Milliarden Dollar. Das enttäuscht Analysten, die 30,15 Milliarden erwarteten.

Ergebnis: Metas Börsenwert fällt um ein Viertel. Zuckerbergs Firma ist jetzt "nur noch" unter 600 Milliarden Dollar wert.

Die Gründe sind klar. „Geschockt hat die Investoren das Eingeständnis von Metas CEO und Gründer Mark Zuckerberg, sein Unternehmen sehe sich "nie dagewesener" Konkurrenz unter anderem durch die Videoplattform TikTok ausgesetzt“, schreibt die ZEIT. Klar, kann keiner ahnen, dass sich die Welt weiterdreht, neue digitale Plattformen aufsteigen, junge Leute andere Arten der Unterhaltung als olle Social-Media-Feeds für sich erschließen. Man rechnet an der Börse eben mit immerwährender Glückseligkeit und dem Rausch ewiglicher Hausse. Wenn dann aber mal die Realität durch die verglasten Skyscraper weht, sind Investor:innen plötzlich hart geschockt. Die müssen dann erstmal ihre ganze Kohle zu Amazon rüberschieben (Amazon gewann in den letzten Wochen so viel, wie Meta verlor), damit Penis-Raketen-Bezos auf jeden Fall seine neue Superjacht bezahlen kann, für die in den Niederlanden sogar eine Brücke teilweise abgerissen werden soll, damit der neue und schwimmende Phallus durch passt.

Der Abgesang auf Meta ist in der Medien-Bubble (gefühlt) voll im Gange. Überall prophezeien Analyst:innen Metas Ende und suchen nach jedweder Schwachstelle, die für eine Doomsday-Headline taugen. Kein Problem, schließlich trägt Meta eine riesige Zielscheibe auf dem Rücken.

Zuckerbergs Metaverse-Ausrichtung hilft dabei fleißig mit, weil die Metaverse-Technologie Virtual Reality noch für lange Zeit nur eine Nische besetzt. Die Grundlagenforschung für Hardware und Software kostet Milliarden und spielt noch längst keinen Gewinn ein, auch wenn die Quest 2 derzeit mit Abstand die beste VR-Lösung darstellt. Und es ist Zuckerberg nicht gelungen, seine Metaverse-Vision wirklich verständlich zu machen – nicht zuletzt, weil einfach noch zu viele technische Fragen offen sind und auch Meta darauf nicht alle Antworten hat.

Da ist es dann egal, ob es bereits seit Jahren sexuelle Belästigung in sozialen VR-Welten gibt und es mehr Sicherheits- und Moderationsmaßnahmen in Horizon Worlds gibt als in VRChat. Medienwirksam wird die Belästigung in der Meta-Welt als Unfähigkeit und Scheitern des Metaverse-Konzepts ausgeschlachtet.

Ich zitiere meinen Kollegen Christian aus einem Redaktions-Chat: „Hm... Ich wollte mich mal wieder mit der VR-Club-Szene beschäftigen um mich auf baldige Gespräche […] vorzubereiten. Ich habe jetzt fünf VRChat-Videos auf YouTube durchgeskippt. In JEDEM gab es immer einen Moment der sexuellen Belästigung, dicht gefolgt von massiven homophoben Bemerkungen.“ VRChat wird natürlich deutlich stärker genutzt als das vergleichsweise frische Horizon Worlds, das zudem nur in den USA und Kanada verfügbar ist. Ein klares Ungleichgewicht ist hier nur für Eingeweihte zu erkennen.

Nun kann man sich einerseits freuen, dass das wichtige Thema sexueller Belästigung im digitalen Raum mehr Aufmerksamkeit bekommt. Leider hat die mediale Berichterstattung aber nicht zum Ziel, eine generelle Diskussion über Sicherheit in immersiven 3D-Welten anzustoßen. Es soll sich einzig und allein an einfachen Zielen abgearbeitet werden - zum Zweck der eigenen Gewinnmaximierung durch Werbeeinnahmen, die nicht zuletzt auch aus Metas Kanälen kommen. So schließt sich der Kreis.

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Meta ist in Verbindung mit dem immer mehr vorherrschenden Trend des „Doomscrollings“ ein großes, dankbares und öffentlichkeitswirksames Ziel: Schlechte Nachrichten, Skandale, Sarkasmus und Zynismus klicken im Feed ungleich viel besser als eine Metaverse-Vision, die die Menschheit voranbringen soll - auch wenn aufgrund der bisherigen Gesellschaftsbilanz Metas bezweifelt werden darf, dass ausgerechnet Zucks Imperium plötzlich für ein besseres Miteinander sorgt.

Aber neben der Absurdität des Weltfinanzwesens, in dem einzelne Tweets von Superreichen für Börsenrutsche sorgen und wo alles auf völlig irrationales, unbegrenztes Wachstum ausgerichtet ist, stören mich die klickgeilen Einseitigkeiten im Medienzirkus immer mehr. Es wird nicht der Kulturwandel, der Thema des internen Meta-Meetings war, beleuchtet, nein, es wird sich lieber über den Randbegriff der „Metamates“ lustig gemacht.

Natürlich müsste Big Tech reguliert werden. Natürlich müsste darauf geachtet werden, dass Firmen wie Meta, Google, Apple & Co. keine derartige Marktmacht haben. Mit großer Macht kommt große Verantwortung – nur hält unsere dem Turbokapitalismus huldigende Gesellschaft keines dieser Unternehmen verantwortlich. Sie zahlen keine oder kaum Steuern, haben über Jahre hinweg unbehelligt De-Facto-Monopole aufgebaut und nutzen unausgereifte Algorithmen zur Zensur, weil sie ihre eigenen Plattformen nicht mehr beherrschen. Gleichzeitig versagen sie beim Schutz der Gesellschaft innerhalb ihrer eigenen Ökosysteme: YouTubes Algorithmus empfiehlt immer schlimmere Videos, bis man in einem Sumpf von Verschwörungstheorien, Hasspredigern und offenem Faschismus ertrinkt. Gewaltfantasien gegen Politiker:innen und Personen des öffentlichen Lebens prangen unbehelligt auf Social-Media-Plattformen, während man nur „Sex“ schreiben oder sagen muss, um sich diverse Moderationsschleifen, Sperren oder Algorithmus-Abstrafungen einzuhandeln.

Der naive Idealist schaltet sich ein: Gerade die Medien sollten dringend wieder zu einer ausgewogenen und sachlichen Berichterstattung zurückkehren. Anstatt über „Meta ist tot“ zu schwadronieren, was ganz offensichtlich totaler Bullshit ist, sollte hinterfragt werden, was sich ändern muss, damit die Erwartungs-Zockerei an den Börsen aufhört oder wie diese zumindest so besteuert werden, dass es uns allen zugutekommt. Es sollte viel mehr darüber geredet werden, wie die Tech-Monopole sinnvoll aufgebrochen und in Zukunft verhindert werden können. Es sollte diskutiert werden, wie ein Metaverse aussehen könnte, das allen Menschen nützt und für alle zugänglich ist. Denn das Potenzial dazu ist enorm groß.

Der Realist weiß, dass das eine reine Utopie ist und sämtliche Züge diesbezüglich schon vor langer Zeit abgefahren sind, noch weit, bevor das Internet politisch als „Neuland“ geadelt wurde. Jeder von uns nutzt die komfortablen Geräte, Funktionen und Apps der monopolistischen Steuer-Vermeider aus dem Silicon Valley – ich auch. Das wird sich nicht wieder ändern. Und wir haben uns alle in Wirklichkeit längst damit abgefunden, dass Google-Suche, Instagram, TikTok & Co. unseren Alltag und unser Leben bestimmen – und zwar so, wie es die Algorithmen und Regeln der Betreiber vorsehen.

Die Geister, die ich rief.

Einen schönen Montag mit Meta-, Google-, Apple und Microsoft-Produkten, die das Leben einfacher zu machen scheinen, wünscht

Euer Ben

Quellen: ZEIT, Capital