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Dumm, dümmer, Algorithmus: Eure KI ist Schrott!

Dumm, dümmer, Algorithmus: Eure KI ist Schrott!

Google, Microsoft, Facebook & Co. lassen auf ihren Plattformen schlechte Algorithmen wüten – und schaden damit allen.

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Wenn man Arbeit erledigt haben will, aber mittelfristig dafür kein Geld ausgeben will, erfindet man Automatisierungen. Auf Social-Media-Plattformen oder in der Suche übernehmen Algorithmen. Wahrscheinlich sind sie sogar recht effektiv, wenn ich mir anschaue, was Spamfilter so alles weghauen.

Aber immer öfter sehe ich auch, dass diese Algorithmen wild wüten und hilfreiche oder berechtigte Beiträge auf öffentlichen Plattformen löschen und die verbundenen Konten sperren oder ihnen zumindest mit Sperrung drohen.

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Natürlich geht es dabei nicht um jene unserer Mitmenschen, die gerne beleidigend oder unpassend kommentieren und häufig zu Recht einen Maulkorb bekommen. Meistens geht es dabei um ein tief verwurzeltes Problem der Konzerne und Menschen hinter den Plattformen.

Sie haben nämlich ein Problem mit Sex(ismus).

Klar, gerade bei diesem Thema ist Spam ein riesiges Problem, dem manuell kaum beizukommen ist. Doch hier zeigt sich auch die Unfähigkeit der Algorithmen, gute, hilfreiche und berechtigte Inhalte von Müll zu trennen. Es zeigt, dass Künstliche Intelligenz noch lange nicht so weit ist, wie gerne suggeriert wird.

Dabei schlägt auch die schwer nachzuvollziehende amerikanische Doppelmoral durch, die Gewalt und gewaltvolle Äußerungen gutheißt, aber alles, was mit Sexualität zu tun hat, mit Macht zensiert. „Make War, not Love“ könnte das gefühlte Motto der amerikanischen Gesellschaft lauten. Gleichzeitig kommen signifikante Anteile der Porno-Industrie aus den USA.

Nun ist Künstliche Intelligenz nicht objektiv. Sie lernt anhand der Daten, die Menschen zur Verfügung stellen. Es gibt viele Beispiele dafür, wie KI rassistisch wertet, sich radikalisiert oder aus Profitgründen spaltet.

Und dann gibt es die Konzerne selbst, die ihre Algorithmen vor allem auf ihrer Ansicht nach sexualisierte Inhalte stürzen lassen. Microsofts KI drohte kürzlich einer Aktivistin mit Sperrung auf LinkedIn. Warum? Sie hatte sich erdreistet, eine Kampagne der Techniker Krankenkasse wegen Sexismus zu kritisieren. Die Krankenkasse hatte eine Pornodarstellerin und andeutende Posen für eine Kampagne zur Früherkennung von Hodenkrebs verwendet.

Wenn die Microsoft-KI zuschlägt: Der Algorithmus wirft einem Beitrag mit Sexismus-Kritik "nicht jugendfreie Inhalte" vor. | Bild: LinkedIn

Das Posting wurde entfernt, die Nutzerin mit Einschränkung des Accounts bedroht. Wiederholte Einreichungen zur Prüfung blieben ohne Erfolg. Vielleicht ist der Algorithmus auch auf Meldungen des Beitrags durch andere LinkedIn-Nutzende angesprungen, die Sexismus-Kritik nicht vertragen und einen Meldebutton als passendes Mittel zur Durchsetzung der eigenen Meinung sehen. Doch auch hier hätte die KI dann versagt.

Das ist übrigens nicht neu und auch nicht selten. Facebook und Google sind beispielsweise für ihre (eingebildete) Sex-Zensur bekannt – übrigens nur auf fremden Webseiten, in der Google-Bildersuche werden explizite Pornobilder en masse angezeigt.

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Bei MIXED kämpfen wir nahezu täglich gegen die Google-KI. Regelmäßig werden unsere Artikel von Google als unangemessen und pornografisch eingestuft und als nicht geeignet für Werbetreibende klassifiziert. Meistens lässt sich das durch eine manuell angeforderte Überprüfung beheben. Aber längst nicht immer.

Unser Artikel zur Brink-Traveler Reise-App und meine letzte Montags-Kolumne wurden auch nach Überprüfung weiter bei der Werbeausspielung eingeschränkt – angeblich wegen pornografischer Inhalte. Warum? Nur bei Brink Traverler habe ich eine Ahnung: Die KI beanstandet wahrscheinlich das Teaser-Bild. Was könnte da wohl dargestellt sein? Oh - und erst die originale Bildunterschrift!

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Das virtuelle Reisen gehört zu den schönsten Anwendungen der Virtual Reality. Brink Traveler heißt die neueste VR-App, die die Reiselust befriedigen soll. | Bild: Brink XR

Der Fairness halber ist zu sagen, dass die beiden Artikel vorerst aus der Sperrliste wieder verschwunden sind.

Einen ähnlichen Fall hatte ich schonmal bei Facebook, deren Bilder-KI eine Bergspitze in einem Screenshot aus einem Videospiel als Phallus erkannte und für Werbung sperrte.

Viel schwerer als diese Beispiele wiegen allerdings die Kämpfe, die jene Personen mit den KIs der Megakonzerne auszufechten haben, die sich für ein besseres Miteinander und mehr Respekt in der Gesellschaft einsetzen. Wenn Microsofts, Googles, Facebooks und andere KIs dieser Internetwelt Personen zensieren und sperren, die heikle Themen offen ansprechen, dann unterminieren sie aktiv die Werte einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft. Das ist insbesondere dann frappierend, wenn Gewaltaufrufe gegen solche Personen selbst nach Prüfung durch den Support nicht als problematisches Posting angesehen werden. Sobald aber Sexismus kritisiert wird, knallt bei den patriarchalischen KIs die Sicherung durch und der Ban-Hammer startet.

Unterm Strich bedeutet das: Diese KIs sind Mist. Durch die massiven Reichweiten beeinflussen diese Plattformen das gesellschaftliche Leben weit mehr, als es viele Tageszeitungen tun. Doch der damit einhergehenden Verantwortung werden Google, Facebook und Microsoft nicht gerecht. Deshalb sehe ich es zunehmend kritisch, wenn unzureichende KIs in sensible Bereiche des Lebens eingreifen und entweder den Vorurteilen ihrer Schöpfer folgen oder grundsätzlich nicht ausgereift genug sind.

Vielleicht wären von den hunderten Milliarden Dollar, die diese Konzerne umsetzen, ein oder zwei ganz gut in qualifiziertes und speziell ausgebildetes Personal investiert, die Künstliche Intelligenz im gesellschaftlichen Kontext besser an die Leine legt? Nein. Solange Big Tech nicht einheitlich (nicht bloß Meta!) reguliert wird und die seit langem unbehelligt vor sich hin wachsenden Monopole nicht aufgebrochen werden, ist keine Konkurrenzsituation denkbar, die Wahlmöglichkeiten für Nutzende bietet und dadurch Konzerne zwingt, abseits von UI und UX benutzer- und gesellschaftsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Irgendwie traurig.

Einen Algorithmus-freien Montag wünscht
Euer Ben