Sonys VR-Studio Manchester: Fünf Jahre Konzeptphase zeigen eine marode Games-Branche

Sonys VR-Studio Manchester: Fünf Jahre Konzeptphase zeigen eine marode Games-Branche

Sonys VR-Studio in Manchester sollte VR-Hits liefern. Doch es scheiterte hart an einer hochaktuellen Games-Branchen-Krankheit.

Für die PlayStation VR gibt es eine Reihe großartiger VR-Spiele, angefangen bei Resident Evil 7 über Skyrim VR bis hin zu Astro Bot und Moss (Test). Aber für VR-Enthusiasten gab es im VR-Bereich – nicht nur auf der PlayStation – immer schon deutlich zu wenig hochkarätige VR-Spiele.

Das liegt zum Großteil am langsam wachsenden VR-Markt. Es liegt aber auch an grundlegenden strukturellen Problemen der Games-Branche, die in den letzten Jahren immer öfter ans Tageslicht kommen. Das VR-Studio Sony Manchester, das 2020 nach vollen fünf Jahren ohne eine einzige Spielveröffentlichung geschlossen wurde, ist ein Beispiel für Missmanagement eines Spiele-Studios, wie aktuelle Berichte zeigen.

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VR-Studio ohne VR-Spiel: Was hat Sony Manchester eigentlich gemacht?

Es gab nie einen Teaser, eine Ankündigung oder Hinweise dazu, woran Sony Manchester eigentlich arbeitete. Stellenangebote im Jahr 2015, in denen Entwickler:innen für ein „AAA-VR-Spiel für PlayStation VR“ gesucht wurden, waren der einzige Hinweis auf ein kommendes PSVR-Spiel. Nicht einmal potenzielle Mitarbeitende wurden über das Projekt informiert, bevor sie nicht endgültig eingestellt waren. Echte Leaks – also das Gegenteil allgegenwärtiger Marketing-„Leaks“ – sollten unbedingt verhindert werden.

Gegenüber dem Magazin Polygon sprachen nun ehemalige Teammitglieder des Studios über die Zeit im Manchester-Studio. Das VR-Spiel „CSAR: Combat, Search, and Rescue“ sollte demnach ein Desert Strike-ähnlicher Shooter werden und das technische Potenzial der PS4 nutzen. Spieler:innen sollten mit einem Helikopter von einem Flugzeugträger aus Search & Destroy-Missionen fliegen.

Die Idee eines Helikopterspiels für VR überzeugte Eric Matthews, früher Vizepräsident der Sony Worldwide Studios und den Forschungsdirektor bei Sony, Mark Green. Sam Coates wurde als Direktor des neuen Studios mit der Umsetzung beauftragt.

Angezogene Handbremse: Mit Mikromanagement zum Stillstand

Matthews und Green haben keine offizielle Rolle im Team, greifen aber stark ins Spieldesign ein. Einmal pro Woche reisen beide von London nach Manchester, um das Studio bis ins kleinste Detail zu managen. Das frustriert die Entwickler und Entwicklerinnen: Alles muss über London gehen, die Abnahmeprozesse ziehen sich in die Länge.

Bei ihren Besuchen verändern sie gelegentlich die Arbeit der Designer:innen oder verlangen von Programmierer:innen, bestimmte Elemente im Code „offenzulassen“, damit sie diese später justieren können. Einige der erfahrenen Entwickler:innen, die es aus früheren Jobs gewohnt sind, Projekte eigenständig voranzutreiben, leiden unter mangelndem Vertrauen. In Folge sinkt die Moral im Team.

„Die Kommunikation war ein Problem“, berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter. „Eric und Mark waren dafür nicht offen. Die Leute versuchten, Ideen anzubieten, wie Aufgaben erledigt werden konnten, aber [sie] wurden oft abgelehnt, es sei denn, es wurde exakt so gemacht, wie sie es wollten. […] Wir hatten eine Produzentin, die ihre Arbeit nicht wirklich machen konnte, da sie keine detaillierten Pläne mochten.“

Ein paar „blockige Panzer“ als Gegnertypen benötigen Monate und so vergeht Jahr um Jahr, in denen das VR-Spiel nicht über Greybox-Status hinauskommt. „Das war alles nur ein Vorproduktionskonzept“, sagt ein Ex-Angestellter.

Sonys VR-Studio: Auf Begeisterung folgt schnell Ernüchterung

Das kleine Team in Manchester mit zeitweise bis zu 30 Mitarbeitenden fliegt bei Sony unter dem Radar, weil es verhältnismäßig wenig kostet. Matthews betreibt das Studio neben seiner Führungsposition bei Sony als „Lieblingsprojekt“, versäumt es allerdings, für reguläre Arbeitsbedingungen zu sorgen. Das Team muss sich Büroräume mit anderen Unternehmen teilen und es gibt kein „Sony-Branding“ für das Studio. Gleichzeitig steht eine separate Büroetage, in die Sony Manchester eigentlich ziehen soll, leer. Auch das wirkt sich negativ auf die Teammoral aus.

Eine Entscheidung über zusätzliche Mitarbeitende wird immer wieder vertagt. In der Führungsebene will man das Studio nicht vergrößern, bevor es mit der eigentlichen Produktion beginnt. Gleichzeitig hat das Team mit einem ständigen Angestellten-Exodus zu kämpfen: Sind neue Entwickler:innen anfangs noch begeistert, für Sony an einem AAA-Projekt arbeiten zu können, holt die Realität sie schnell ein. Regelmäßige Kündigungen sind die Folge, darunter auch Studiodirektor Sam Coates. „Nach etwa sechs bis 12 Monaten merken die Leute, dass es nicht weitergeht, und müssen dann entscheiden, wie es für sie weitergehen soll“, beschreibt eine Quelle die Situation.

Matthews besetzt die Stelle des Studio Directors, während Green die Rolle des Creative Directors übernimmt. Neue Leute werden eingestellt, aber es gibt weiter kaum Fortschritt. In einem Umstrukturierungsversuch teilt die neue Studioleitung das Team 2018 auf: Die Designer:innen werden nach London verlegt, der Rest bleibt in Manchester. Das erschwert die mangelhafte Kommunikation nur noch weiter.

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Sony Manchester: Kaum im Fokus und schon dicht gemacht

Hermen Hulst wird 2019 Chef der Sony Worldwide Studios und nimmt eine Inventur vor. Erstmals im Blick der Unternehmensführung: Sony Manchester. Der Druck auf das Team wird größer, es soll endlich Fortschritte geben. Problematisch für die Entwickler und Entwicklerinnen war aber auch noch ein anderer Punkt: Die PlayStation VR scheint zum Auslaufmodell zu werden und es ist unklar, ob es überhaupt ein Nachfolgemodell der VR-Brille geben würde.

Das Team kann die verlorene Zeit nicht mehr aufholen. Im Februar 2020 gibt Sony das Ende des Studios Manchester offiziell bekannt. „Jemand hat sich genau angeschaut, was passiert ist“, sagt ein ehemaliges Teammitglied gegenüber Polygon. „Und da es nach fünf Jahren nichts Greifbares gab, haben sie es geschlossen.“ Matthews und Green fallen weich und sind jetzt in leitenden Positionen bei den LEGO-Games-Machern TT Games beschäftigt.

Ironie des Schicksals: Ein Jahr später bekennt sich Sony klar zu VR und kündigt PlayStation VR 2 an.

Cyberpunk in der Games-Branche: Auf dem Rücken der Mitarbeiter

Die Schließung von Studios, die nichts zustande gebracht haben, ist nichts Neues. In den letzten Monaten und Jahren kommen allerdings häufiger die Gründe ans Licht. Nicht selten sind Führungsprobleme, schlechte Arbeitsbedingungen, daraus resultierende hohe Mitarbeiterfluktuation sowie falsche Prioritäten Faktoren für das Scheitern.

Nicht jedes Studio kann daraus am Ende noch einen finanziellen Erfolg stricken. CD Project Red hatte sich etwa einen hervorragenden Ruf durch The Witcher 3 aufgebaut. Das Folgeprojekt Cyberpunk 2077 sollte darauf aufbauen und wurde nach mehreren Verschiebungen Ende 2020 veröffentlicht – in einem technisch teils unzumutbaren Zustand. Sony musste das Spiel für fast ein halbes Jahr aus dem PlayStation-Store nehmen. Investoren klagten gegen CD Project, weil sie sich verschaukelt fühlten.

Jasons Schreier von Bloomberg ging den Ursachen für dieses Desaster auf den Grund. Auch hier spielt vor allem Missmanagement eine Rolle und es finden sich Parallelen zum Manchester-Fall: Die erste Konzeptionsphase dauerte über vier Jahre, bevor alles wieder über den Haufen geworfen wurde. Erfahrene Designer:innen und Entwickler:innen wurden von der Studioleitung einfach ignoriert oder überstimmt. Das führte zu Kündigungen wichtiger Personalien.

Missmanagement in der Games-Branche: Die kreative Stagnation kommt nicht von ungefähr

Bei CD Project Red gab es noch viele weitere schwerwiegende Probleme, wie Schreiers Bericht zeigt. Zwar ist der Ruf des Studios hinüber, Cyberpunk 2077 refinanzierte sich aber dank einer beispiellosen Marketing- und Medienkampagne allein durch die Preorder-Verkäufe. Dieses Glück haben kleine Studios wie Sony Manchester nicht, zumal sie sich mit Virtual Reality in einer Sub-Nische befinden, die obendrein von VR-Brillen abhängig ist, die noch nicht im Massenmarkt angekommen sind.

Vorausschauende Planung und eine klare Strategie sind hier besonders wichtig. Wenn aber die Erfahrung und der Rat von gestandenen Mitarbeitenden, die letztlich die eigentliche Wertschöpfung eines Studios betreiben, in den Wind geschlagen werden, sind Fehlschläge vorprogrammiert. Mangelnder Respekt vor der Expertise von Mitarbeiter:innen, der indiskutable Umgang mit Frauen in der Games-Branche (siehe etwa Activision und Ubisoft), Ausbeutung und die Konzentration auf Verkaufszahlen um jeden Preis: Nicht nur der Fall des VR-Studios Sony Manchester zeigt, dass es unter dem glänzenden Lack der Game-Branche mächtig fault.

Es ist nicht bloß die Pandemie, die derzeit für die Stagnation der Games-Branche verantwortlich ist und lahme Trailershows wie die Gamescom 2021 produziert. Remakes und Remasters prägen die Spielelandschaft 2021. Ein Director’s Cut jagt den nächsten. Neue Ideen? Fehlanzeige, sofern man sich auf namhafte Publisher und Studios konzentriert. Auch massiv beworbene neue Konsolen wie die PlayStation 5 stehen fast ein Jahr später ohne echte native Blockbuster da.

Das ist kein Problem mangelnder Ideen, wie viele Indie-Studios, vor allem auch im VR-Bereich, immer wieder beweisen: Es ist eine Frage von Prioritäten und fähiger Führung. Es wird Zeit, dass frische Konzepte aus den Reihen der Kreativen in den Studios aufgenommen und mit Mut und klarem Plan umgesetzt werden. Und es ist höchste Zeit, dass sich die Arbeitsbedingungen in den Studios deutlich verbessern.

Das wünsche ich mir zumindest.

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Quellen: Polygon, Bloomberg, The Verge