Baba Yaga in der VR-Filmkritik: Ein modernes Märchen
Baba Yaga ist der neue VR-Animationsfilm der Baobab Studios und seit Mitte Januar exklusiv für die Oculus Quest (2) verfügbar. Lohnt sich der VR-Film?
Die Baobab Studios gehören zu den wichtigsten Produktionshäusern, wenn es um animierte VR-Inhalte geht. Seit 2015 produzieren sie hochwertige VR-Filme und haben bereits mehrere Emmys gewonnen. Nicht zuletzt durch die Baobab-Filme habe ich Virtual Reality lieben gelernt, denn das Team ist immer auf der Suche nach der besten Art, Geschichten in dem neuen Medium zu erzählen.
„Invasion!“, der kürzlich für die Oculus Quest in einer Neuauflage mit verbesserter Grafik erschien, machte 2016 den Anfang: Zwar nicht interaktiv, bezog der Kurzfilm doch als einer der ersten VR-Filme die Zuschauer direkt ein. Es folgten der 360-Grad-Film „Asteroids!“ und der VR-Film „Crow: The Legend“: In beiden experimentierte das Team zum ersten Mal mit Interaktionen. Das Publikum kann kleinere Handlungen selbst ausführen und zum Helfer werden – jedoch ohne die Geschichte zu beeinflussen.
___STEADY_PAYWALL___Mit „Bonfire“ beschritten die Baobab Studios neues Terrain im VR-Filmgenre: Sie ließen die VR-User nicht einen Geist oder Nebencharakter spielen, sondern gleich die Hauptperson. Dank ein paar netter Algorithmen kann man in der Weltraum-Komödie viel Spaß haben und überraschend frei mit kleinen (und weniger kleinen) Monstern spielen. Erstmals gab es auch eine Wahlmöglichkeit am Ende des Films.
Auch bei dem vor kurzem erschienenen VR-Film „Paper Birds“, der Oculus‘ Handtracking-Funktion unterstützt, sind die Baobab Studios als Koproduzenten mit an Bord. Der neue Film „Baba Yaga“ soll nun alle Fäden zusammenführen und zeigen, was die Baobab Studios durch die letzten Produktionen gelernt haben. Ist ihnen das gelungen?
Inhalt
Baba Yaga ist ein klassisches Märchen
Regie des neuen Werkes führten Baobab-Mitgründer Eric Darnell und der französische Regisseur Mathias Chelebourg, der bereits für die immersive Installation „Jack“ mit den Baobab Studios zusammengearbeitet hatte. Wie „Jack“ ist auch „Baba Yaga“ ein Märchen.
Es geht es um Magda, ein mutiges Mädchen, die mit ihrem Stamm auf einer fernen Insel lebt. Ihre Mutter, die Stammesführerin, ist schwer erkrankt. Einzige Chance auf Rettung bietet eine magische Blume, die sich in Besitz der Inselhexe Baba Yaga befindet.
Dumm nur: Es ist eben jene Baba Yaga, die der Mutter die tödliche Krankheit angehext hat. Ein Zauber zur Abschreckung, denn die Menschen dringen immer weiter in den Wald der Hexe vor - und zerstören ihn dabei mehr und mehr. Magda lässt sich jedoch nicht entmutigen und macht sich auf die Suche nach der Blume. Ich folge ihr in den geheimnisvollen Wald, denn meine Rolle ist die von Magdas älterer Schwester.
Als Inspiration für den VR-Film dienten die Erzählungen der Baba Yaga (auch Baba Jaga geschrieben). Sie ist eine bekannte Sagengestalt, die in vielen osteuropäischen und slawischen Märchen auftaucht. Anders als die eher im Westen bekannte böse Märchenhexe zeigt Baba Yaga ganz verschiedene Seiten: Meist ist sie ein menschenfressendes Mütterlein im Wald, doch immer wieder tritt sie auch als gute Hexe auf, als Ratgeberin, die in der Not helfend zur Stelle ist.
Die detailreichen Animationen des Films greifen die alten Geschichten immer wieder auf: Da sind beispielsweise die langen Hühnerbeine, auf denen Baba Yagas Haus durch den Wald stakst. Die Hexe selbst bewegt sich nicht etwa auf einem Besen, sondern in einem fliegenden Mörser fort. Im Film wirkt das wie eine Art Hoverboard und ist herrlich anzusehen.
Ein lebendes Bilderbuch: Zwischen Star-Aufgebot und Pop-up-Grafik
Um den Figuren Leben einzuhauchen, hat das Baobab-Team gleich mehrere hochkarätige Schauspielerinnen für die Vertonung zusammengetrommelt: Baba Yaga wird von Kate Winslet gesprochen, Magda von Daisy Ridley. Jennifer Hudson tritt auf als die verschiedenen Stimmen des Waldes und Glenn Close ist die Mutter der beiden Schwestern. Insgesamt ist es eine rein weibliche Besetzung.
Vor allem Kate Winslets altklug-süffisante Interpretation der Baba Yaga ist eine Freude und bringt Humor in die ansonsten so mystische Zauberwelt. Das ist umso schöner, da Baba Yaga alias Winslet auch gleichzeitig die Erzählerin der Geschichte ist. Ihre Sternstunden sind die Zwischenszenen mit Titeltafel, die jeweils ein neues Kapitel des Films ankündigen (und sich übrigens auch mit der Menütaste am linken Controller einzeln ansteuern lassen).
Bereits in der ersten Szene des ersten Kapitels fällt der besondere Grafikstil ins Auge: 2D-Objekte schieben sich auf unterschiedlichen Ebenen ins Bild, bewegen sich und bilden so die Kulisse des VR-Films. Das Meer und die Schiffe darauf erwachen zu Leben. Es ist eine Mischung aus Diorama, Pop-up-Kinderbuch, Scherenschnitt und Puppentheater. Schön anzusehen, aber nicht ganz so immersiv. Wäre der gesamte VR-Film in diesem Stil – ich würde mich wahrscheinlich bald langweilen.
Doch weit gefehlt: In Kombination mit den von Hand entworfenen 3D-Charakteren wie Magda (das Baobab-Team hat sich für „Baba Yaga“ zum ersten Mal an menschliche Figuren gewagt), die mich an die Hand nehmen und in ihre Welt führen, wirkt es überraschend gut. Mir ist, als beträte ich ein Bilderbuch. Ein schönes Gefühl, das mir dabei hilft, mich auf das Märchen einzulassen.
Die große Schwester als Sidekick
Sich einlassen – das ist notwendig. Denn ich soll mitspielen und bekomme eine feste Rolle in der Geschichte zugewiesen. Das muss man wollen. Ich will und werde zu Sasha, Magdas großer Schwester, die sich mit ins Abenteuer begibt. Aber um ehrlich zu sein: Das tut sie eher unfreiwillig.
Denn auch wenn ich neben Magda am Krankenlager „meiner“ Mutter stehe: Der Augenblick ist zu kurz, der Einstieg zu schnell, als dass bei mir eine emotionale Verbindung zur Mission aufkäme. Ich soll sie retten – aber will ich es wirklich? Als dann Magda im Wald vor mir steht und mir mit forderndem Blick ihre Lampe hinhält – „nimm sie und komm mit mir“ – greife ich nur halbherzig zu. Eine andere Wahl habe ich nicht.
Schnell fühle ich mich nicht wie die ältere, sondern wie die jüngere Schwester, die atemlos auf kurzen Beinchen hinter der Großen herstolpert. Es erinnert mich an meine Rolle in dem VR-Film „Wolves In The Walls“. Doch dort bin ich der Hauptperson näher, will, was sie will, fühle mit ihr, und habe immerzu Angst etwas zu verpassen. Dazu trägt sicher bei, dass ich in „Wolves In The Walls“ keinen Namen habe und niemanden verkörpern muss. So bin ich mehr ich – und sehr gerne der Sidekick.
Interaktiv – aber nicht zu sehr: Baba Yaga bleibt etwas hinter den Erwartungen zurück
Auch in „Baba Yaga“ würde ich liebend gerne stärker mitfiebern. Vor allem aber wäre ich gerne mehr als nur Magdas rechte Hand. In den wenigen Momenten, in denen ich während der ersten Kapitel tätig werden darf, gibt es keine Auswahl – der Ausgang dieser kurzen Interaktionen ist immer gleich. Das ist für VR-Einsteiger einfach, kann aber leicht demotivieren, wenn man sich mehr erhofft hat.
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Allerdings fügen sich die Interaktionen gut in den Erzählfluss ein. Da ich meine - also Sashas - Hände sehe, lassen sich Zauberstäbe, Blätter und Lampen intuitiv greifen. Das Quest-Handtracking wäre hier gerade für immersive Geschichten, in denen man selbst mitspielen darf, perfekt – wenn es denn schon gut genug funktionieren würde. Besser und insbesondere für Bewegungen mit beiden Händen akkurater geht es dann leider doch noch mit den VR-Controllern.
Und beide Hände braucht man. Denn im dritten Kapitel passiert es dann endlich: Magda und ich müssen uns entscheiden - und diesmal wird die Entscheidung beeinflussen, wohin uns unsere Wege führen. Ohne zu viel zu verraten: Versucht am besten so zu reagieren, wie es eine große Schwester tun würde.
Insgesamt gibt es drei verschiedene Endungen, je nachdem, welche Wahl ihr trefft. Es ist die Entscheidung, auf die ich den ganzen VR-Film über gewartet habe. Erstmals schaffen die Baobab Studios so einen Erzählbaum mit zwar wenigen, aber unterschiedlichen Strängen.
Nachhaltig durch den Zauberwald
Wer es bis dahin irgendwie verpasst haben sollte, bekommt es spätestens am Ende des VR-Films mit: In „Baba Yaga“ geht es eigentlich um etwas ganz anderes als um Zauberblumen oder Hoverboards. Das Team um Darnell und Chelebourg hat eine Geschichte mit Moral geschrieben.
Dafür haben sie die starke Naturverbundenheit der Waldhexe Baba Yaga aus den alten Märchen aufgegriffen und zum zentralen Plot ihres Filmes gemacht. Erstaunlich ist, wie gut der Wechsel der Erzählperspektive am Ende gelingt. Aus der persönlichen Rettungsmission der zwei Töchter wird ein Aufruf zum Umweltschutz.
Das kommt etwas unerwartet und ich wäre durchaus auch ohne „Take-Home-Message“ zufrieden unter meiner VR-Brille hervor geschlüpft. Dennoch gibt es der Geschichte eine interessante, zweite Ebene.
Fazit zu Baba Yaga: Ein wunderschöner VR-Film, aber …
Das neue Werk der Baobab Studios ist ein solider und hochwertig produzierter VR-Film, der Spaß macht und die Stärken des Mediums VR gekonnt nutzt. Dabei ist „Baba Yaga“ eine konsequente Weiterführung der bisherigen Produktionen aus dem Hause Baobab und bringt erstmals eine verzweigte Geschichte mit.
Und doch: Der Film ist nicht wie im Vorfeld angekündigt der große Wurf hin zu immersiverem Storytelling und hoher Interaktivität. Wäre „Baba Yaga“ von jemand anderem als den Baobab Studios produziert worden, ich wäre wahrscheinlich tief beeindruckt. Doch bei einer Firma, die sich zu den weltbesten Geschichtenerzählern in VR zählen darf, gelten eben andere Maßstäbe.
Übrigens: Ihr könnt euch derweil schon auf mehr VR aus dem Hause Baobab freuen: „Namoo“ wurde beim Sundance Filmfestival ausgezeichnet.
Wo kann ich Baba Yaga sehen?
Der VR-Film ist exklusiv im Oculus Store verfügbar für Oculus Quest (2, Test) und kostet 4,99 Euro. Spiellänge ist 20 bis 30 Minuten. Man kann zur Entscheidungsszene zurückspringen und die anderen Optionen durchspielen. Außerdem gibt es noch kleinere Extras, wenn man von Baba Yagas magischer Insel gar nicht genug bekommen kann.
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Oculus Quest 2 wird in Deutschland vorerst nicht verkauft. Wie lange dieser Verkaufsstopp anhält, ist nicht bekannt.
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