Motion Sickness: Was ist das und wie kann ich es verhindern?

Motion Sickness: Was ist das und wie kann ich es verhindern?
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Update vom 16. November:

Der Artikel wurde vollständig überarbeitet, aktualisiert und um neue Abschnitte ergänzt.

Motion Sickness oder VR-Übelkeit begleitet Virtual Reality schon seit jeher. Was ist der Auslöser und was könnt ihr dagegen tun?

Fast sieben Jahre sind vergangen, seit die ersten VR-Brillen (Vergleich) für Endverbraucher auf den Markt kamen. Die Branche hat gelernt, mit Motion Sickness umzugehen, aber aus der Welt schaffen konnte sie das Problem bislang nicht.

Das belegt eine Studie unter 4.500 deutschen VR-Nutzern aus 2021, bei dem sich Motion Sickness als größtes Hindernis des jungen Mediums entpuppte. Der Umfrage zufolge haben zwei Drittel aller Befragten bereits Erfahrung mit dem Phänomen gemacht, ein Drittel gelegentlich, oft oder immer.

Das zeigt, dass Motion Sickness noch immer ein Thema ist und bleiben wird, solange keine technische Lösung für das Problem gefunden ist. Bis dahin muss für ein beschwerdefreies VR-Erlebnis eine Kombination aus guter Technik, behutsamer App-Wahl, den richtigen Komfort-Einstellungen und informiertem Umgang mit Virtual Reality reichen.

Was ist Motion Sickness?

Motion Sickness (auch als Cybersickness, VR-Übelkeit oder Bewegungskrankheit bezeichnet) ist ein Phänomen, das bei Formen passiver Fortbewegung auftreten kann. Viele Menschen kennen die Symptome vom Reisen, etwa mit dem Schiff oder als Beifahrer im Auto.

Bei der sogenannten Reisekrankheit entsteht plötzlich oder schleichend Unwohlsein, das sich je nach Dauer und Anfälligkeit deutlich verstärken kann. Zu den häufigsten Symptomen gehören Schwindelgefühle, Kopfschmerzen, Übelkeit und im schlimmsten Fall: Erbrechen.

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Motion Sickness stört VR-Spielende mehr als andere technische Faktoren, besagt eine Umfrage unter deutschen VR-Nutzern. | Bild: Universität zu Köln / TH Köln

Motion Sickness ist nicht vollständig erforscht, die Ursachen sind aber bekannt. Die Beschwerden entstehen, wenn das Auge etwas anderes wahrnimmt als das Gleichgewichtssystem im Innenohr.

Nehmen wir zur Veranschaulichung der Problematik die obigen Beispiele: Während einer Schiff- oder Autofahrt nimmt das Innenohr Bewegung wahr, das Auge jedoch registriert einen gewissen Stillstand, sofern es nicht auf die See oder die Straße gerichtet ist - beispielsweise beim Lesen eines Buches oder Schauen aufs Smartphone.

Dieser sensorische Widerspruch alarmiert das Hirn, das eine Vergiftung vermutet und Übelkeit hervorruft, um den vermuteten schädlichen Stoff aus dem Magen zu entfernen.

Motion Sickness ist also eine natürliche körperliche Reaktion, die von selbst wieder abklingt.

Weshalb tritt bei Virtual Reality Motion Sickness auf?

Virtual Reality ruft Motion Sickness hervor, weil auch hier ein sensorischer Widerspruch entstehen kann.

Das passiert in der Regel dann, wenn sich VR-Nutzer künstlich fortbewegen: Anstatt eine Spielwelt mit ihrem eigenen Körper zu durchqueren, bewegen sie sich rein virtuell also passiv, etwa durch Betätigung des Analogsticks, eines Knopfs oder einer Taste.

Beim ersten Mal fühlt sich das etwa so an, als würde man auf einem Skateboard, Tretroller oder Segway durch die Welt rollen. Weshalb VR-Spieler auf künstliche Fortbewegung setzen, ist klar: Nur so kann man die Grenzen des physischen Raums sprengen und virtuelle Welten frei erkunden – ähnlich wie bei Monitorspielen, nur eben im Spiel selbst.

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Fließende Fortbewegung per Analogstick. Das ist für die meisten VR-Spieler noch die natürlichste Art künstlicher Fortbewegung, kann jedoch zu Motion Sickness führen, da man physisch an Ort und Stelle verharrt. | Bild: Facebook

Bewegt man sich auf diese Art fort, nimmt das Auge Bewegung wahr, aber nicht das Innenohr, da man in Wirklichkeit an Ort und Stelle steht oder sitzt. Wir haben also den umgekehrten Fall wie bei der Schiff- und Autofahrt. Das Ergebnis ist bei anfälligen Personen hingegen das gleiche: Unwohlsein.

Je realer die Sinneseindrücke sind und je heftiger die künstliche Fortbewegung ausfällt, desto stärker kann der Körper auf diesen sensorischen Widerspruch reagieren. Motion Sickness ist deswegen nicht auf Virtual Reality beschränkt: Besonders empfindlichen Menschen kann selbst vom Spielen eines Ego-Shooters auf einem Monitor schlecht werden.

Tritt Motion Sickness immer und bei jedem auf?

Nein. Es gibt zwei Hauptfaktoren für die Entstehung von Motion Sickness während der VR-Nutzung: erstens der VR-Inhalt und zweitens die eigene Empfindlichkeit für künstliche Fortbewegung.

Die Vielfalt an VR-Inhalten ist groß und viele VR-Apps verzichten auf künstliche Fortbewegung. In der Praxis heißt das: Jede virtuelle Bewegung entspricht einer physischen Bewegung, so wie im echten Leben. Das bislang erfolgreichste VR-Spiel Beat Saber ist das beste Beispiel.

Um nicht ganz auf künstliche Fortbewegung verzichten zu müssen, entwickelte die VR-Industrie Software-Tricks, die das Risiko eines Auftretens von Motion Sickness verhindern können (siehe Abschnitt "Die richtigen Komfort-Einstellungen wählen").

Manche VR-Spiele wie Half-Life: Alyx (Test) oder Skyrim VR (Test) nutzen Teleportation oder einen künstlichen Tunnelblick, da diese Unwohlsein verhindern oder zumindest abschwächen. Mehr als hundert solcher Techniken hat eine Gruppe von Wissenschaftlern identifiziert und in einem Online-Katalog der VR-Fortbewegung zusammengefasst, der Nutzern, Entwicklern und Forschern Orientierung bieten soll.

In einem Video erzählt Valve, wie trickreich sie VR-Fortbewegung in Half-Life: Alyx umsetzten.

Die meisten VR-Spiele bieten verschiedene und anpassungsfähige Arten künstlicher Fortbewegung, an. Als VR-Nutzer:in kann man selbst entscheiden, was man sich zumutet. | Bild: Half-Life: Alyx / Valve

Wie empfindlich man selbst auf künstliche Bewegung reagiert, kann man nur durch Ausprobieren herausfinden.

Motion Sickness ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Manchen Menschen wird von der kleinsten Dosis künstlicher Fortbewegung schlecht, während andere selbst bei virtuellen Achterbahnfahrten keinerlei Nebenwirkungen spüren. Weshalb das so ist, kann die Wissenschaft bislang nicht beantworten.

Wie kann ich Motion Sickness verhindern?

Die richtige Hardware wählen

Zunächst einmal ist die Wahl der Hardware wichtig.

Billige Cardboard-Lösungen und Smartphone-VR sind für den Einstieg in Virtual Reality nicht zu empfehlen, auch wenn sie die günstigste Möglichkeit darstellen. Hierbei handelt es meist sich um veraltete VR-Technik, die nur Kopfdrehungen, nicht jedoch räumliche Bewegungen der Nutzer:innen erfasst und in die VR überträgt, wodurch wiederum ein sensorischer Widerspruch entsteht.

Für ein komfortables VR-Erlebnis sollte die VR-Brille 6-DoF-Tracking unterstützen, also alle sechs Freiheitsgrade bieten und zusätzlich zum Neigen (1), Schwenken (2) und Drehen (3) Bewegungen in die Tiefe des Raums erfassen, also Vor und Zurück (4), Rechts und Links (5) und Hoch und Runter (6).

Die meisten modernen Geräte wie Meta Quest 2 und Playstation VR 2 unterstützen heute von Haus aus 6-DoF-Tracking. Kopfdreh-VR-Brillen gehören mittlerweile ins Museum.

Andere technische Faktoren für Motion Sickness sind die Latenz und Bildwiederholrate der VR-Brille. Werden die eigenen Körperbewegungen mit Verzögerung in der VR dargestellt oder ruckelt das VR-Spiel kann einem schnell schlecht werden.

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Auch hier gilt: Bei modernen Geräten sollte es keine Probleme mit Latenz und Bildwiederholrate geben. Wer im Meta Quest Store oder Playstation Store VR-Spiele veröffentlicht, muss die eigene Software so weit optimieren, dass für eine stabile Bildwiederholrate gesorgt ist.

Solche Probleme treten heutzutage nur noch in Anwendungsfällen wie PC-VR-Streaming auf.

Die richtige Software wählen

Für den Einstieg in VR sollte man mit den richtigen Apps starten. Wer direkt mit einem Rennspiel oder einer virtuellen Achterbahnfahrt in Virtual Reality einsteigt, riskiert eine unangenehme Erfahrung.

Geeignete Titel findet ihr in unserem Artikel 23 VR-Spiele ohne Stress: Die zugänglichsten VR-Spiele für jede Altersgruppe.

Worauf man sich in einem VR-Spiel einlässt, kann man in Tests und Youtube-Videos herausfinden. Manche Plattformen wie der Meta Quest Store bieten darüber hinaus eine Komfortstufen-Orientierung für jede VR-App, beispielsweise von "Angenehm" über "Moderat" bis "Anspruchsvoll".

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Jede App im Oculus Store ist mit einem Komfortstufen-Symbol gekennzeichnet, sodass VR-Spieler wissen, was sie erwartet.

Ein Software-Sonderfall sind 180- und 360-Grad-Filme: Da die Blickperspektive in diesen fix ist, werden nur Kopfdrehungen umgesetzt, nicht jedoch physische Bewegungen in den Raum hinein. Um Übelkeit zu vermeiden, empfiehlt es sich, solche Filme an Ort und Stelle stehend oder auf einem Drehstuhl zu schauen und sich möglichst nicht in den Raum hinein zu bewegen.

Die richtigen Komfort-Einstellungen wählen

Die meisten modernen VR-Spiele bieten Einstellungen, mit denen ihr die künstliche Fortbewegung an eure eigenen Bedürfnisse anpassen könnt.

Einsteiger:innen sollten sich eingehend mit diesen Optionen befassen und durch Ausprobieren herausfinden, womit sie sich am wohlsten fühlen.

Die meistverbreiteten Einstellungen sind:

  • Künstliche Fortbewegung:
    • Fließende Fortbewegung ("Smooth Locomotion")
    • Sprungartige oder schnelle Bewegung von einem Punkt zum nächsten ("Dash")
    • Teleport von einem Punkt zum nächsten
  • Künstliche Drehungen:
    • Fließende Drehungen ("Smooth Turn")
    • Schnelle Drehung ("Quick Turn"), meist in einstellbaren Gradschritten (15/30/45 Grad)
    • Sprungartige Drehung ("Snap Turn"), meist in einstellbaren Gradschritten (15/30/45 Grad)

In vielen Spielen könnt ihr außerdem einen Tunnelblick ("Vignette") für künstliche Fortbewegung zu aktivieren und dessen Intensität festlegen. Das kann ebenso helfen, Motion Sickness vorzubeugen.

Für PC-VR-Spiele gibt es eine Reihe von Tools, die gegen Motion Sickness helfen können:

  • OVR Locomotion Effect simuliert spielübergreifend einen künstlichen Tunnelblick und verwandte Anti-MS-Effekte
  • Natural Locomotion und VRocker unterbinden Motion Sickness mittels physischer Bewegung (Schwingen der Arme, Laufen auf der Stelle)

Einen kompletten Überblick über den Einstieg in Virtual Reality inklusive Hardware- und Apps-Tipps findet ihr im verlinkten Artikel.

Kann ich mich an künstliche Fortbewegung gewöhnen?

Viele Spieler:innen mögen künstliche Fortbewegung, weil diese für sie immersiver ist als etwa Teleportation oder bequemer, weil man nicht jede Bewegung selbst ausführen muss.

Außerdem erlaubt nur künstliche Fortbewegung, virtuelle Welten so zu erkunden, wie man es aus Monitorspielen kennt. Aus diesem Wunsch heraus kann bei anfälligen VR-Spielenden der Wunsch entstehen, sich Resistenz "anzutrainieren".

Hier muss man Vorsicht walten lassen. Der beste Weg ist, mit den Komfort-Einstellungen in VR-Spielen zu experimentieren und sich Schritt für Schritt an VR-Titel mit anspruchsvollerer künstlicher Fortbewegung heranzutasten.

Gut zu erkennen: Das Sichtfeld wird bei einer Linkskurve von links eingeschränkt. Der Effekt ist in der VR-Brille viel subtiler, als er auf dem Screenshot wirkt.

Eine künstliche Begrenzung des Sichtfelds bei Bewegung oder Drehungen kann Motion Sickness abschwächen oder sogar verhindern. | Bild: Eagle Flight / Ubisoft

Entsteht ein Gefühl des Unwohlseins, solltet ihr sofort aufhören. Legt die VR-Brille beiseite und wartet ab, bevor ihr es erneut versucht. Fangt keinen neuen Versuch an, solange ihr nicht vollständig fit seid.

Symptome einfach auszusitzen, kann böse Folgen haben: Im schlimmsten Fall hat man stundenlang Symptome und das Gehirn beginnt, Virtual Reality mit Motion Sickness zu assoziieren. So kann es passieren, dass Symptome selbst bei regulärer VR-Nutzung auftreten. Der entgegengesetzte Effekt tritt ein: Man trainiert seinem Körper die Abneigung gegen VR erst so richtig an.

Ich bin anfällig für Motion Sickness - ist VR für mich vorbei?

Eine Garantie, dass man sich an jegliche Bewegungsart in VR gewöhnen kann, gibt es nicht. Resistenz gegen Motion Sickness lässt sich nicht erzwingen.

Das bedeutet aber nicht, dass VR keine Option ist, nur weil man etwa flüssige Fortbewegung in VR partout nicht verträgt. Viele VR-Spiele kommen ohne künstliche Fortbewegung aus und transportieren trotzdem die Magie von VR ganz hervorragend.

Habt keine Angst davor, ein Spiel oder eine App auszuprobieren: Motion Sickness kann sich manchmal bei einem Spiel zeigen, bei einem ähnlichen aber gänzlich ausbleiben. Auch hier ist der Schlüssel: Sobald ihr Anzeichen von Unwohlsein spürt, solltet ihr die VR-Brille beiseitelegen. Treten wiederholt Symptome auf, könnt ihr das VR-Spiel in den meisten Fällen zurückgeben.

Vorsicht vor Medikamenten oder ähnlichen Hilfsmitteln: Ingwer oder spezielle Medikamente können helfen, die Symptome der Motion Sickness zu bekämpfen, aber nicht die Ursachen beseitigen. Solche Mittel sollten daher nur in absoluten Ausnahmefällen zur Anwendung kommen.

Welche Lösungen erwarten uns in der Zukunft?

Es gibt eine Vielzahl Forschungsprojekte, die das Problem der Motion Sickness auf technische Weise lösen wollen. Meistens geht es bei diesen Ansätzen darum, das Innenohr passend zur Fortbewegung künstlich zu stimulieren und damit den sensorischen Widerspruch aufzuheben oder abzumildern, der zum Unwohlsein führt. In der Fachsprache nennt man diesen Ansatz "Galvanic Vestibular Stimulation" (GVS).

In diesem Kontext wurden verschiedene Kopfbänder und sogar Kopfhörer entwickelt, die sich jedoch nicht durchsetzten.

Die Beispiele zeigen: eine simple technische Lösung, die das Problem ein für alle Mal beseitigt, dürfte nicht so bald auf den Markt kommen. Aber die braucht es auch nicht zwingend, sofern VR-Nutzer das Medium und sich selbst gut genug kennen und genau wissen, welche Arten von Virtual Reality sie vertragen – und welche nicht.

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