Apple verzichtet auf Virtual Reality und das ist genial
Mit der Apple Vision Pro stellt der iPhone-Konzern sein erstes AR/VR-Headset vor, verliert dabei aber kein Wort über Virtual Reality – und das ist clever.
Die Keynote zum Auftakt der diesjährigen WWDC hatte ihren One-More-Thing-Moment: Tim Cook kündigte nach jahrelangen Spekulationen die Apple Vision Pro an. Obwohl das Headset zweifellos die Technologie beherrschen wird, verwendete Apple den Begriff „Virtual Reality“ bei der ausführlichen Vorstellung aller Features kein einziges Mal. Warum?
Apple Vision Pro: VR-Gaming? Ohne mich
Noch während der Präsentation stellte sich mir die Frage: Wo sind eigentlich die Fitness-Apps? Wenn es einen Anwendungsfall gibt, der perfekt auf mobile VR/AR-Brillen zugeschnitten ist, dann ist es das Auspowern im immersiven Fitnessstudio. In Kombination mit Apple Health und dem umfangreichen Fitnesstracker der Apple Watch eigentlich ein No-Brainer, möchte man meinen.
In einem anderen Kommentar habe ich darauf hingewiesen, dass ich VR-Gaming für den großen Selling Point für VR-Brillen halte und Meta diese dringend zum Überleben braucht. Dieser Meinung bin ich immer noch - jetzt vielleicht mehr denn je. Bei Apple sieht die Sache anders aus. Die Apple Vision Pro benötigt keine Spiele, um erfolgreich zu sein. Sie braucht nicht einmal Virtual Reality.
Virtual Reality und ihr Ruf: Es ist kompliziert
Wir alle hier lieben Virtual Reality. Wie kein anderes Medium kann VR besondere Momente schaffen. Die Immersion ist einzigartig und das Anwendungsspektrum breit gefächert – vom Gaming bis zum Einsatz in der Medizin. All das und noch viel mehr könnt ihr in unserem umfangreichen VR-Guide nachlesen.
Doch es gibt auch Nachteile, mit denen die Technologie seit Jahren zu kämpfen hat. Und wie so oft bleiben schlechte Nachrichten länger im Gedächtnis als gute. Der Begriff „Virtual Reality“ hat ein eher zwiespältiges Image. Seit den späten 80er-Jahren (Leseempfehlung: VR-Geschichte) verspricht VR viel und scheitert regelmäßig grandios an den meist überzogenen Erwartungen der Öffentlichkeit (VR ist nicht das Holodeck der Enterprise und wird es auch nie werden!).
Hinzu kommen katastrophale Entscheidungen wie Smartphone-VR und teilweise unausgereifte Hardware und Software, die das VR-Erlebnis vieler Menschen getrübt und ihre Meinung über die Technologie nachhaltig negativ beeinflusst haben. Wenn die erste VR-Erfahrung extrem schlecht ist, wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass man sich auf eine zweite einlässt?
Danke für nichts, Metaverse
Die vielen „kleinen“ Erfolge und technologischen Fortschritte dringen nur in homöopathischen Dosen in den Mainstream vor. Stattdessen machen Meldungen über Zuckerbergs peinliches Selfie, Berichte über die Toxizität und Belästigung auf Metaverse-Plattformen und dystopische Theorien à la Ready Player One die Runde.
Und dann ist da noch die inflationäre Verwendung des Begriffs „Metaverse“.
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Bis vor kurzem war auf manchen Messen jeder Kaffeebecher Metaverse-ready, ohne dass jemand erklären konnte, was das eigentlich bedeutet. Dank der unnötigen und mangelhaften PR-Offensive der Tech-Branche ist „Metaverse“ mittlerweile negativ konnotiert und für viele untrennbar mit Virtual Reality verbunden. Danke für nichts, Metaverse.
Verständliche Sprache, nachvollziehbarer Nutzen
Auch das Begriffsroulette der letzten Jahre, das Microsoft, Meta, Pimax, HTC und Co. so gerne spielen, hat für Außenstehende unnötige Hürden aufgebaut. Wann ist es Augmented Reality, wann Mixed Reality? Kann ein Mixed-Reality-Headset auch VR und was bitte sind Passthrough-AR und Meta Reality?
Apple spielt da nicht mit und setzt stattdessen auf verständliches Vokabular und einfache, aber (wahrscheinlich) sehr gut funktionierende Anwendungen. Typische VR-Probleme wie Motion Sickness treten beim Fernsehen auf der virtuellen Leinwand oder beim Arbeiten im immersiven Büro in der Regel nicht auf. Die viel diskutierte Isolation? Hey, wir haben einen Drehregler, mit dem man ganz einfach den gewünschten Grad der Immersion einstellen kann. Genial!
Apple will den Massenmarkt, keine Nische
Diese Herangehensweise ist sehr, sehr clever. Denn Apple will mit Vision Pro einen Neustart für immersive Technologie, eine Revolution ohne negative Assoziationen und aufgeblasene Tech-Begriffe, die niemand versteht.
Apple Vision Pro soll langfristig – vielleicht erst in der vierten oder fünften Iteration – die Art und Weise verändern, wie wir mit Technologie im Alltag umgehen.
Und das „wir“ in diesem Satz schließt uns alle ein. Nicht nur die Hardcore-VR-Bubble, die sich Motion Sickness „abtrainiert“. Nicht nur die Technik-Nerds, die in jedem Bug eine Herausforderung sehen. Nicht nur die Gamer:innen, die das nächste Half-Life: Alyx suchen. Apple will den Massenmarkt und den erreicht es seit jeher durch einfache Bedienbarkeit, flüssige Performance und Barrierefreiheit.
All das kann VR heute noch nicht leisten und hat daher (noch) keinen prominenten Platz in Vision Pro. Bis es so weit ist, wird es ein Nischendasein in Apples Headset fristen. Sollte sich Apples Spatial Computing durchsetzen und vielleicht irgendwann an die Bedeutung des Smartphones heranreichen, wird auch Virtual Reality von diesem Erfolg profitieren. Wenn auch vielleicht unter einem anderen Namen.
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