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Die Apple-Brille wird ein Experiment ohne Experimente

Die Apple-Brille wird ein Experiment ohne Experimente

Apple stellt wohl in wenigen Monaten die erste eigene VR-AR-Brille vor. Sie wird ein Experiment ohne Experimente - und das ist gut für die Industrie.

Die Gerüchte um Apples XR-Brille begleiten uns seit Jahren. In wenigen Monaten könnte es endlich so weit sein: Laut Apple-Analyst Ming-Chi Kuo wird die VR-AR-Brille im Januar 2023 starten oder zumindest vorgestellt. Die Massenproduktion soll in diesem Sommer anlaufen.

Auch Apple-Reporter Mark Gurman glaubt an eine bevorstehende Enthüllung und berichtet, im aktuellen Prototyp sei Apples neuer M2-Chip inklusive 16 Gigabyte verbaut.

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Die XR-Brille hätte so einen deutlichen Hardwarevorsprung vor Metas Cambria, die wohl auf eine verbesserte Version von Qualcomms XR2-Chip und 12 Gigabyte Arbeitsspeicher setzt. Zudem soll Apple fortschrittliche Micro-OLED-Displays mit 3K-Auflösung pro Auge verwenden.

Mit der schnellen Hardware, einem starken Fokus auf AR und gleichzeitig erstklassiger VR-Darstellung, baue Apple sein bisher kompliziertestes Produkt, glaubt Kuo. Er spricht sogar von einer „Post-Meta-Ära“: Die Industrie werde in Zukunft Apple nachahmen.

(K)ein Bruch mit der Vergangenheit

Doch dafür braucht es mehr als Hardware-Innovation. Meta gab kürzlich einen Einblick ins eigene VR-Labor mit Fokus auf wichtige Zukunftstechnologien für VR-Brillen. Doch bisher gibt es wenig bis keine Informationen über Software und Anwendungen für Metas Cambria. Apple dagegen hat bereits ein umfassendes Software-Ökosystem und wird die eigene Brille in dieses einbinden.

Kein anderes Unternehmen habe so gute Voraussetzungen, zentrale Probleme der nächsten Computerwelle zu lösen wie Apple, schreibt dazu MIXED-Kollege Tomislav.

Meta hingegen habe „nur Hardware“ und sei auf das Wohlwollen und die Schnittstellen anderer Firmen angewiesen. Apple könne mit gewohnt erstklassiger Hardware, schnellen Chips und einer Integration in das Apple-System die Brücke zwischen neuer und alter Technologie schlagen.

Apples XR-Headset wird eine Tradition fortsetzen

Apple-Hardware steht in vielen Bereichen synonym für erstklassige Verarbeitung, intelligentes Design und eine optimale Symbiose von Hard- und Software.

Mit dem ersten Apple-Chip M1 hat das Unternehmen zudem gezeigt, dass es eigene Prozessoren herstellen kann, die die Konkurrenz gnadenlos abhängen. Ein weiteres Mal hat Apple so eine massive Verschiebung im Hardwaremarkt erzwungen: den Wechsel von x86-Prozessoren auf ARM-basierte Chips für mobile Computer. Entsprechende Hardware von Qualcomm wird frühestens 2023 erscheinen.

Apples XR-Brille wird diese Tradition qualitativ hochwertiger Hardware fortsetzen – alles andere wäre ein Marketing-Desaster.

Smartphone-Rennen und Gesichtscomputer

Werden andere Unternehmen Apple nachahmen oder nicht? Die Wahrheit liegt wohl zwischen diesen beiden Polen.

Ein guter Anhaltspunkt ist der jahrelange Wettbewerb zwischen Apples iPhone und Android-Smartphones. Apple gründete die Smartphone-Kategorie fast im Alleingang. Das iPhone war mehr als die Summe seiner Teile. Doch nach dem iPhone-Moment übernahmen Apple und Android-Hersteller abwechselnd Hard- und Softwareinnovationen. Ein dominanter Innovationstreiber ist nicht mehr auszumachen.

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Im XR-Bereich ist eine ähnliche Entwicklung zu erwarten, minus des iPhone-Moments. Denn die Gerätekategorie XR-Brille für den Büroeinsatz existiert spätestens mit Metas Cambria. Apple wird sie nur besser, teurer und mit hervorragender Software-Integration bauen.

Dennoch wird auch Apples Produkt noch weit von der Science-Fiction-Version der ultimativen, flachen XR-Brille entfernt sein, die in Büros überall auf der Welt Monitor, Maus und Tastatur ersetzt.

Auf der Hardwareseite erwarte ich jedoch den bis dato ultimativen Gesichtscomputer: hohe Auflösung, gute Linsen, gute Kameras und Sensoren, bequemer Sitz, integriertes Audio, schnelle Hardware. Zielgruppe: Technikbegeisterte. Experimente: Fehlanzeige.

Apples XR-Brille und der Plattformkrieg

Apples XR-Brille wird konservativ, ein optimiertes Highend-Produkt im jungen Tech-Sektor: Brain-Computer-Interfaces, Haptik-Feedback gegen Motion Sickness oder andere noch nicht erwiesenermaßen nützliche Technologien wird Apple ignorieren.

Die Zielgruppe wird über die Anwendungen und Unterhaltungsfunktionen klar erkennbar sein. Apple erfindet das Rad nicht neu, wird lediglich stärker versuchen, das eigene Produkt produktiv zu machen.

Wer von Apples XR-Brille die Erfüllung der seit 2016 konstant enttäuschten Hoffnung auf den Durchbruch in den Massenmarkt erwartet, sitzt weiter einer Illusion über das Reichweitenpotenzial des aktuell technisch Möglichen auf.

Doch das ist ein gutes Zeichen. Apples Einstieg zeigt, dass die Zeit für wilde Experimente vorbei ist. XR-Brillen erreichen eine Produktreife, die sie zu einem aussichtsreichen Markt für das weltweit wertvollste Unternehmen macht.

Apple wird diesen Markt vorerst nicht mit dem Smartphone-Markt vergleichen. Das Metaverse ist noch weit weg, und für Apple angeblich sowieso nicht relevant. Die Verkaufszahlen der Apple-Brille werden im besten Fall die von Metas Quest 2 überschreiten - das wäre bereits ein fantastischer Erfolg.

Apples Markteinstieg wird der Startschuss für ein Wettrennen, in dem Innovationen auf Hard- und Softwareseite von allen Beteiligten ausgetauscht werden. Meta wird weiter eine zentrale Rolle auf der Hardwareseite einnehmen und muss mit Cambria beweisen, dass es die Software-Integration für bestehende Ökosysteme ermöglichen kann. Google, Microsoft und andere werden ebenfalls mitmischen wollen.

Wie bereits Oculus-Gründer Palmer Luckey 2016 zum Start der Oculus Rift sagte: „Die Plattformkriege sind unvermeidlich.“