VR-Theater “Solo”: Live-Action-Virtual-Reality-Point-&-Click-Adventure

VR-Theater “Solo”: Live-Action-Virtual-Reality-Point-&-Click-Adventure

Die VR-Pionierarbeit am Staatstheater Augsburg geht weiter. Wie gut ist der interaktive VR-Krimi „Solo“?

Ich habe mittlerweile eine ganze Reihe 360-Grad-Produktionen gesehen. Während viele davon grundsätzlich dadurch beeindrucken, dass sie mich deutlich besser in ein Szenario versetzen, als es einfache Flat-Videos vermögen, ist die Verbreitung gering und nur wenig Weiterentwicklung zu erkennen. Letzteres resultiert wiederum aus der geringen Verbreitung – ein Teufelskreis, der das Genre ausbremst.

Das Staatstheater Augsburg ist wohl eine der bekanntesten Kultureinrichtungen Deutschlands, die sich seit einiger Zeit mit der Umsetzung von Theaterstücken für Virtual Reality beschäftigen und dabei das Medium 360°-VR inhaltlich weiterentwickeln. Lest dazu etwa meinen Test zum VR-Angebot des Staatstheaters Augsburg sowie den Test zum VR-Ballett „kinesphere“.

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Mit dem neuen Stück „Solo“ geht das Staatstheater noch einen Schritt weiter und will VR-Theater auch technisch auf eine neue Stufe heben: Zuschauende sollen selbst in die Handlung involviert werden. Wie geht das und was noch wichtiger ist: Ist es gut?

VR-Theater „Solo“: Review in aller Kürze

Solo ist ein beeindruckendes VR-Experiment, das Nutzer:innen erstmals dazu bringt, ein 360-Grad-Stück mehrfach anzuschauen. Die Interaktionen sind ähnlich wie bei Point & Click-Adventures einfach, aber effektiv: Mehrere Enden können „freigespielt“ werden und auch beim dritten Durchlauf entdecke ich noch neue Dialoge oder Ereignisse.

Vereinzelt gibt es technische Unzulänglichkeiten. Als Pionierarbeit ist „Solo“ aber ein Schritt in die Zukunft und wir sehen hoffentlich künftig weitere interaktive Theaterstücke, Serien oder Filme in VR.

„Solo“ ist für euch geeignet, wenn …

  • ihr (VR-)Theater an sich mögt,
  • immer schon mal an einem Theaterstück teilnehmen wolltet,
  • Kriminalgeschichten und Ermittlungen liebt und
  • Ein VR-Stück mehrfach (ab)spielen wollt, um alle losen Fäden und Dialoge zu erleben.

„Solo“ ist für euch eher nicht geeignet, wenn ...

  • ihr eine perfekte Cyberpunk-Kulisse und Hochglanzproduktion erwartet,
  • keine Geduld für VR-Theater aufbringt und
  • 360-Grad-VR nichts abgewinnen könnt.

VR-Theater „Solo“: Mord im Cyberpunk-Büro

Ein Typ fliegt aus dem Fenster eines Hochhauses in Augsburg. Im Gebäude residiert Golden Mind Inc., ein Unternehmen, dass auf Brain Computer Interfaces spezialisiert ist und damit ein Programm umsetzt, das sich „Bundes-Isolationsjahr“ nennt. Dabei verbringen Freiwillige ein komplettes Jahr in einer Virtual-Reality-Welt, die sich direkt in ihrem Kopf abspielt. Warum sie das tun, verrate ich an dieser Stelle nicht.

Jedenfalls kam der Tote direkt aus dem Büro der Chefin von Golden Mind Inc. geflogen. Ich werde mit meiner Partnerin, Kommissarin Alina Decker, hinzugezogen, um den Mord aufzuklären. Dazu untersuchen wir Tatorte und befragen Zeugen.

Simple Kulisse, starke Interaktion

Die Kulisse ist simpel: Straße und die Büro-Etage sind nur als Markierungen auf dem Boden dargestellt. In den Räumen stehen ein paar Möbel, zersplittertes Glas liegt im Büro der Chefin, ein Spind steht im Sicherheitsraum. Dazwischen sorgt Theaterbeleuchtung für Spotlights – eine klassische Theaterkulisse eben.

Die Schauspieler:innen beziehen mich mit ein. Alina interagiert mit mir wie mit einem Kollegen, teilt ihre Gedanken mit, wirft mir vielsagende Blicke zu, wenn ein Verdächtiger komisches Zeug erzählt. Und dann werde ich selbst aktiv: Wie in einem Point & Click-Adventure kann ich zwischen kurzen Dialogen auswählen, um Fragen zu stellen, etwa ob die Chefin Feinde hatte. Oder ich kann den Raum nach bestimmten Gegenständen untersuchen, indem ich sie mit dem Cursor-Punkt fixiere: Ich schaue kurz darauf, bis der Kreisbalken voll ist und dann wechselt die Handlung zur damit zusammenhängenden nächsten Szene.

Das funktioniert dank Kioskmodus der VR-Brille Pico Neo 2 einfach und intuitiv: Ob Menü oder eben Auswahl im Theaterstück – ich muss nur den entsprechenden Punkt kurz fixieren, dann ist der „Klick“ gemacht und es geht weiter.

Clever: Da ich in den verschiedenen Räumen immer an einer festen Stelle positioniert bin, werden Hinweise und Gegenstände als Bild oder Video im Sichtfeld eingeblendet, wie mit einer Augmented Reality-Brille oder einem Cyberpunk-AR-Implantat.

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Telltale wird blass vor Neid: Kaum Pseudo-Wahlmöglichkeiten

Aber sind die Auswahlmöglichkeiten für Dialoge eher so Telltale-mäßig, also ohne echte Auswirkung auf die Story, oder ändert sich etwas? Erstaunlicherweise ändert sich ziemlich viel. Je nach Reihenfolge der Befragung kann die gleiche Dialogauswahl andere Dialoge und Ereignisse beinhalten. Auch kann ich nicht jede Dialogoption wählen: Entscheide ich mich für A, kann es sein, dass B danach nicht mehr zur Verfügung steht.

Das sorgt für Wiederspielwert, wie es im Gaming heißt. Ich möchte wissen, welche Szenen ich verpasst habe oder ob mein erstes erlebtes Ende nach rund 45 Minuten die einzige Auflösung des Falls ist. Kleiner Spoiler: Ist es nicht – es gibt drei verschiedene Enden, die von meinem jeweiligen Ermittlungsweg abhängen.

„Solo“ ist damit nicht einfach vorbei, wenn ich es einmal gesehen habe. Es ist aber auch zum Verständnis der Geschichte von Vorteil, wenn ich es mehrfach anschaue – beim ersten Durchgang konnte ich nicht alles nachvollziehen.

Kleine technische Unzulänglichkeiten

Die Geschichte ist nicht neu und wer möchte, findet sicherlich auch die ein oder andere Logiklücke, „typisch deutsche“ Dramaturgie und ein paar Längen. Das Budget für das Stück war offensichtlich begrenzt – das Mobiliar ist wenig cyberpunkig und es braucht etwas Fantasie, um die Handlung gänzlich zu visualisieren. Letzteres gehört aber zu Theater dazu, also geschenkt.

Technisch gibt es hin und wieder Fehler: Nach der Untersuchung des Tatorts im Büro etwa ist der Schnitt nicht ganz sauber und ich hatte zweimal das Problem, dass das Bild nach der Auswahl einer Dialogoption einfror, während die Handlung hörbar weiterging. Auch der Sound ist verbesserungswürdig, die Qualität der Audiodialoge schwankt stark. Tipp: Wenn ihr selbst reinschaut und euch zu Beginn komisch wird, weil die Sicht falsch wirkt, müsst ihr die Sicht neu zentrieren (Pico-Taste rechts an der VR-Brille).

„Solo“ in der VR-Theater-Kritik: Der nächste Schritt der Evolution des Theaters

Davon abgesehen, finde ich die gesamte Inszenierung richtig spannend: Ich fühle mich erstmals nicht einfach nur näher am Geschehen, wie das bei 360-Grad-Formaten eben so ist. Ich bin Teil des Geschehens, Teil des Theaters. Außerdem nutzt das Staatstheater Augsburg die vollen 360-Grad: Ich muss mich umdrehen, um einen Zeugen anzusehen, der sich hinter mir befindet oder den Raum untersuchen – ganz wie in einem Videospiel.

Die große Leistung von „Solo“ ist es, Theater interaktiv zu machen. Virtual Reality bietet dafür die perfekte Technologie: Theater trifft hier Videospiel und macht mich zum Hauptcharakter. Solche gelungenen Experimente und Weiterentwicklungen lassen großes für die Zukunft hoffen, was die Evolution von Kulturveranstaltungen angeht. Hier sind Entwicklungen im Bereich Film und Serie denkbar, die an Experimente wie Black Mirror: Bandersnatch anknüpfen und Zuschauer:innen künftig zu Protagonisten machen.

Ich kann „Solo“ wärmstens empfehlen, wenn ihr sehen wollt, wie Theater sich nicht nur technisch weiterentwickelt und auch in Pandemiezeiten seinen wichtigen Stellenwert im Kulturangebot behält.

Hier könnt ihr "Solo" bestellen:

VR-Erfahrung Store & VR-Brille Preis
Solo (Versand) firstrow (Pico Neo 2) 19,90 € (zzgl. Versand)
Solo (Download, noch nicht verfügbar) Staatstheater Augsburg (eigene VR-Brille via Download) n/a

Mehr VR-Angebote des Staatstheaters Augsburg findet ihr hier: vr-theater@home

Hinweis: Das Staatstheater arbeitet auch an einer Downloadmöglichkeit für die eigene VR-Brille zu Hause, etwa Meta Quest 2. Allerdings ist das technisch nicht ganz trivial, daher kann das noch etwas dauern. Wenn verfügbar, werden wir das hier aktualisieren.