Bizarre TV-Show: Mutter trifft verstorbene Tochter in VR

Bizarre TV-Show: Mutter trifft verstorbene Tochter in VR

Der südkoreanische TV-Sender MBC überträgt die Virtual-Reality-Wiedervereinigung einer Mutter mit dem Avatar ihrer verstorbenen Tochter. Das irritiert, schockiert vielleicht sogar. Zurecht?

Die siebenjährige Nayeon erkrankte und verstarb plötzlich an der sehr seltenen Erbkrankheit Hämophagozytische Lymphohistiozytose. Vom Zeitpunkt der Erkrankung bis zu ihrem Tod verging nur rund ein Monat.

Mit der VR-Brille sollte die Mutter die Gelegenheit zu einem letzten Abschied außerhalb eines Krankenzimmers haben: Entwickler kreierten die virtuelle Nayeon in rund acht Monaten anhand von Fotos, Videos und Erzählungen der Familie sowie 3D-Scans ihrer jüngeren Schwester. Die VR-Wiedervereinigung wurde in der TV-Dokumentation "Meeting You" ausgestrahlt.

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Der Tochter-Avatar reagiert dank Spracherkennung auf die Stimme ihrer Mutter und kann einfache Dialoge führen. Die Mutter wiederum sieht ihre eigenen Hände in VR - die haptischen Handschuhe, die sie dafür trägt, vermitteln ihr zumindest ein rudimentäres Gefühl einer Berührung. Die realistischen Umgebungen, in denen die Mutter ihrer Tochter begegnet, sind digitale Nachbauten gemeinsam besuchter Orte.

Technik gegen den Tod: Verstorbenen Menschen digital gedenken

Dass bereits verstorbene Menschen digital wiederbelebt werden, ist ein bekanntes Phänomen. Star-Trek-Stark William Shatner wünschte sich einst VR-Hologramme einer Person, die zu Lebzeiten aufgenommen und dann am Grabstein für Hinterbliebene aufbewahrt werden. Er selbst habe seine Erscheinung schon auf diese Art konservieren lassen.

Der Japaner Yoshiyuki Kator, Geschäftsführer eines Grabsteinherstellers, ließ eine AR-App entwickeln, mit der Hinterbliebene an realen Orten virtuelle Grabstätten für Verstorbene einrichten können. Eine Band ging mit einem Hologramm ihres verstorbenen Sängers auf Welttournee.

Ronnie James Dio prägte als Frontmann von Bands wie Black Sabbath den Heavy Metal.

Ronnie James Dio prägte als Frontmann von Bands wie Black Sabbath den Heavy Metal. Für eine Tour kehrte er als Hologramm zurück. Bild: Eyellusion (Youtube-Screenshot)

Die Firma Worldwide XR ist spezialisiert auf XR-Technik und hält die Rechte an vielen verstorbenen Schauspielern, Sportlern und Künstlern. Im Kriegsfilm "Finding Jack" soll die 1955 verstorbene US-Schauspielerlegende James Dean die Hauptrolle übernehmen. Dean soll mit  Digitaltechnik in den Film eingefügt werden. Schüler könnten im Unterricht mit VR- oder AR-Brille ins Gespräch mit historischen Persönlichkeiten kommen, so die Vision der Firma.

In den neuen Star-Wars-Filmen wurde das Gesicht der verstorbenen Carrie Fisher über das Gesicht einer anderen Schauspielerin gelegt, um ihre Rolle zu wahren. Mit Deepfake-Technologie könnte dieser technisch bislang aufwendige Prozess der Allgemeinheit zugänglich werden. Die KI-gestützte Methode benötigt in erster Linie viele Fotos eines Menschen, damit sie gute Ergebnisse liefert. Im Smartphone-Zeitalter sollten die im Familienkreis vorhanden sein.

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Was zählt ist, was die Mutter fühlt

Es gibt weitere Beispiele dieser Art: Der Tod ist für die Digitalbranche lange kein Tabuthema mehr. Doch keines davon ist so intim, wie die Mutter, die ihrer verstorbenen Tochter für einen letzten Abschied virtuell erneut begegnet. Auch weil die Anwendung technisch einen Schritt weitergeht als andere Versuche. Aus ethischer Perspektive gibt es sicher viele Gründe, weshalb diese VR-Wiedervereinigung nicht existieren sollte.

Mutter und Avatar-Tochter beim virtuellen Picknick.

Computer-Mutter und Avatar-Tochter beim virtuellen Picknick. Einige Menschen dürften solche Szenen als befremdlich empfinden. Bild: MBC

Die einseitige Mutter-Tochter-Begegnung irritiert, sie ist fremd. Vielleicht schockiert sie sogar, die aufgeregte Mutter, die sich in ihrem unförmigen Computer-Körper hölzern bewegt und dramatisch in den Schuhkarton vor ihrem Gesicht weint, während Programmiercode ihre Tochter spielt.

Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei dem Format um TV-Unterhaltung handelt. Die moralische Gemengelage, die sich daraus ergibt, ist für mich kaum zu ertragen – wahrscheinlich geht es anderen Zuschauern ähnlich. Doch bei Trauer zählt nicht, was der Zuschauer fühlt. Und Menschen mehr Möglichkeiten zu geben, Trauer zu bewältigen, ist auch aus ethischer Perspektive zunächst keine schlechte Sache.

Via: Road to VR