The Under Presents im Test: Zwei neue Genres! Mindestens!
Update vom 19. Dezember 2019:
Tender Claws bringt Neuigkeiten für "The Under Presents" im Doppelpack: Die außergewöhnliche VR-Erfahrung ist ab sofort im Oculus Store für Rift verfügbar.
Außerdem gibt's einen neuen Akt: In "King Crob" untersucht ihr das Geheimnis eines in der Arktis gestrandeten Schiffs, dessen Crew Mann für Frau verschwindet.
___STEADY_PAYWALL___Ursprünglicher Artikel vom 20. November 2019:
Die Nutzer-Bewertungen zum neuen Oculus Quest-Titel überschlagen sich geradezu vor Begeisterung. Blinder Hype oder berechtigte Euphorie?
Virtual Reality hat’s nicht leicht. Man muss es schon selbst erlebt haben, um den ganz besonderen Zauber von VR zu kennen. Man muss auch genug Zeit, Muße und teilweise auch Platz haben, um immer wieder in die virtuelle Realität zurückzukehren.
Dann kommen noch Hardware-Einschränkungen durch Tracking-Stationen und lange Kabel zum Headset … Halt! Nicht hier! Nicht mit der Oculus Quest, für die gerade das interaktive Kabinettstückchen The Under Presents erschienen ist.
Inhalt
Surrealistische Freiheit
Ohne Kabel, ohne zusätzliche Sensoren, setze ich mir die autarke VR-Brille Oculus Quest (Test) auf den Schädel und lande in einem schwarzen Meer. Meine Hände sind Klumpen aus schwarzer, klebriger Flüssigkeit, deren Finger ich erst durch Trigger- und Grip-Tasten der Quest-Controller Stück für Stück befreien muss.
Erst bekomme ich eine Maske, die mir Orientierung bietet. Dann lerne ich eine coole neue Fortbewegung, eine Art Dalí-sche Teleportation: Ich greife mit gedrückter Grip- und X-Taste in den Raum und ziehe meinen Zielpunkt näher an mich heran. Dabei krümmt sich der Raum vor mir, Objekte und Umgebung verzerren sich wie in einem ultra-langsamen Warp-Tunnel.
Lasse ich los, bin ich näher am Ziel, ganz ohne typischen Teleportations-Blackout. Die Immersion wurde bewahrt und sogar noch erweitert: Im Stile surrealistischer Künstler kann ich das Geschehen verzerren, solange ich beide Tasten festhalte und damit Zeit und Raum meinem Willen und einer eingehenden Betrachtung unterwerfen.
Das ist irgendwie geil.
Neue Bewegungsmuster ohne Menü-Umwege
Ich muss mich trotzdem erst ein bisschen dran gewöhnen. Manchmal ziehe ich mich zu nah an eine Wand heran. Oder ich versuche, nach hinten zu greifen, was nicht so gut funktioniert. Aber dafür gibt’s noch die langsame, flüssige Fortbewegung über den Stick (nach vorn und nach hinten, langsam und ohne Motion Sickness-Risiko), sowie die stufenweise Drehung ebenfalls über den Stick (rechts und links). Insgesamt eine sehr intelligente Nutzung verschiedener Bewegungssysteme, ohne in einem Menü umschalten zu müssen.
Auf der nächsten Spielfläche steht ein Gebäude, eine Bar, aber die Tür ist verschlossen. Nachdem ich ein sehr cool animiertes Wesen aus einem Müllcontainer befreit habe, führt es mich in den Club. Der neue Begleiter erzählt mir ab jetzt jedes Mal, wenn er bei mir auftaucht, etwas zur Welt und später auch zur eigentlichen Geschichte.
Das fühlt sich trotz der merkwürdigen Umgebungen absolut natürlich an. Der erste große What-the-Fuck-Moment beginnt, als mein Begleiter im Fahrstuhl verschwindet und ich einen Zeitsprung zum Punkt vor Betreten des Fahrstuhls mache. Nur bin ich jetzt er und sehe mich selbst als stilisierte, schwarze Figur mit Maske – und ich kann genau beobachten, wie ich mich zuvor verhalten habe. Wie ich mich umgesehen habe, etwas unbeholfen bewegt, den Fahrstuhlknopf gedrückt.
Irre cool.
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Neues Genre #1: Live-Theater im Spiel
Es folgen Rätsel: Ich soll beispielsweise die richtige Tür finden oder die gerade beschriebene Zeitmechanik dazu nutzen, mit meinen anderen Ichs Dinge in Gang zu setzen, die ich dann zum Weiterkommen brauche.
Die Bar, in der eine zweibeinige Giraffe singt und plötzlich andere Mitspieler nahtlos im Multiplayer auftauchen und Sachen ausprobieren, winken, Chaos stiften – all das ist irgendwie ganz normal. Einen der Schauspieler, die sich immer mal wieder unters Volk mischen, habe ich noch nicht getroffen. Vorerst bis März 2020 gilt der Vertrag mit der New Yorker Theatergruppe „Piehole“.
Andere Nutzer berichten von Wesen wie etwa Katzen, die nicht wie die üblichen Spielerfiguren aussehen und perfekt auf die Aktionen der Spieler reagieren. VR-Theater der Zukunft eben. Definitiv ein neues Theater-Genre, vielleicht „Live in VR-Game“? Jedenfalls hat es massives Potenzial.
Denn es ist clever. Innovativ. Spannend.
Neues Genre #2: Diorama-Kino
So viele Superlative, Ben? Du bist ja als Euphoriker bekannt, aber… echt jetzt? Geduld, lieber Leser. Der Höhepunkt ist noch gar nicht erreicht – und ich verspreche, nicht viel weiter zu spoilern. Aber das Schiff in der Flasche, das ich nach dem Club-Besuch vorgesetzt bekomme, zeigt erneut zukünftige Film- und Theatergenres rund um VR: Miniaturenfilm, Diorama-Kino, Modellbau-Theater – wie auch immer ihr es nennen wollt.
Während mein distinguierter Begleiter mir die Geschichte des auf Grund gelaufenen Schiffs erzählt, das in der Flasche konserviert wird, kann ich die fein animierten Figuren auf dem Schiff durch Drehen an einer Uhr zum Leben erwecken. Es ist wie ein Film, den ich mir von oben anschaue, wie Theater im Puppenhaus. Ich kann es von allen Seiten begutachten, sehe alles aus der Vogelperspektive.
Dann werde ich auf das Schiff selbst versetzt. Die Zeit ist stehengeblieben, es dreht ja schließlich keiner mehr an der Uhr, nichts und niemand bewegt sich, außer …
Test-Fazit zu The Under Presents: Wer es nicht selbst gesehen hat, glaubt es kaum
Wie es weiter geht, findet ihr mal schön selbst heraus. Dass es sich lohnt, kann ich euch versprechen. Für weitere Ausführungen müsste ich in ellenlangen Wortgebilden auf unendlich viele Feinheiten und geradezu philosophische Gegebenheiten eingehen, sodass ich a) erst stundenlang drüber nachdenken müsste und b) der Rahmen dieses Tests komplett gesprengt würde.
Also kurz und knackig: The Under Presents fühlt sich an wie ein interaktives Gemälde des Surrealisten Salvadore Dalí. Doch ich fühle mich dort nicht fremd. Das liegt unter anderem an den hervorragenden Animation der NPCs, aber auch am geschickten, nahtlosen Übergang in den Multiplayer.
Die Welt ist spannend und macht neugierig, die Geschichte auch. Die Entwickler von Tender Claws (Virtual Virtual Reality) haben eine beeindruckende Reise in eine wirklich völlig andere Welt geschaffen, die mich hineinzieht und nicht etwa durch kontextlose Absurdität abstößt. An The Under Presents sehe ich deutlich, dass das Studio VR verstanden hat – und es bietet einen Ausblick darauf, was mit VR noch alles möglich ist.
Oh, ich habe noch gar nichts zur Quest, Qualität, Tracking und so gesagt? Nun. Gibt auch nichts zu sagen. War bei mir alles super. Los, probiert es selber aus und dann singt in den Kommentaren weitere Loblieder. The Under Presents hat's verdient.
Ihr solltet The Under Presents spielen, wenn …
- ihr mal was komplett anderes erleben wollt,
- euch Dalí immer schon etwas zu sagen schien, ihr aber nie wusstet, was,
- ihr einen Blick auf neue Kunstgenres im Film- und Theaterbereich werfen wollt
- ihr mal mit echten Schauspielern in VR interagieren wollt.
Ihr solltet The Under Presents nicht spielen, wenn ihr …
- Angst vor Surrealisten oder ganz neuen Erfahrungen habt,
- andere, echte (Schau)Spieler euch gefühlt eurer virtuellen Privatsphäre berauben,
- und ihr keine Oculus Quest habt (ok, dann könnt ihr es nicht spielen, weiter unten findet ihr aber Links zur Selbsthilfe! Gern geschehen!).
The Under Presents bekommt ihr hier
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