Was ein VR-Pionier der 90er Jahre heute über Virtual Reality denkt

Was ein VR-Pionier der 90er Jahre heute über Virtual Reality denkt

In den 90er Jahren gab Ben Delaney das Virtual-Reality-Magazin CyberEdge heraus. Er begleitete den Aufstieg und den Fall der Branche. Was denkt er heute über VR?

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2015, 2017, 2020: Schon zum dritten Mal unterhalte ich mich mit Delaney über seine Sicht auf die VR-Branche. Weshalb? Um zu erfahren, wie sich seine Meinung entlang der Entwicklung der Branche ändert - oder auch nicht.

Als ich 2015 das erste Mal mit Delaney sprach, als der Hype gigantisch und die Visionen noch viel größer waren, gehörte er zu den Warnern, die nicht glaubten, dass VR schnell zum Massenphänomen wird - trotz der viel besseren Technologie im Vergleich zu den 90ern.

___STEADY_PAYWALL___ [blockquote cite="Ben Delaney im September 2015"]Alles ist wie in den 90ern! Niemanden kümmert die Fehler, die schon gemacht wurden und was daraus gelernt wurde. Ich sehe genau dieselben dummen Erwartungen, haltlose Vorhersagen und den gleichen schlechten Inhalt, diesmal eben mit viel besserer Bewegungserkennung und in hoher Auflösung. Aber hoch aufgelöster Müll ist immer noch Müll.[/blockquote]

In meinem zweiten Gespräch mit Delaney 2017 schlug der Journalist und Berater versöhnlichere Töne an, kritisierte aber den aus seiner Sicht noch immer zu starken Fokus auf Spiele, hier speziell Ballerspiele. Abseits der VR-Brillen gebe es zu wenig Innovationen, beispielsweise für haptische Reize oder glaubhafte virtuelle Fortbewegung.

VR heute: Mehrwert insbesondere für Unternehmen

Mittlerweile ist Delaney selbst wieder in der VR-Branche als Berater aktiv. Gemeinsam mit erfahrenen Kollegen und Kolleginnen aus der XR-Branche wollen die ImmersivEdge Advisors Entscheidern und Unternehmen helfen, immersive Technologie sinnvoll in die eigene Arbeitswelt zu integrieren.

Im Unternehmensbereich sieht Delaney das größte Potenzial von XR-Technologie: "In der Gesundheitsbranche, beim Training, der Wartung, beim Notfalltraining, in der Logistik und in vielen weiteren Industrien hat XR-Technologie einen starken Return of Investment und hilft, Kosten zu reduzieren und Angestellte zu aktivieren."

Generell biete VR-Technologie der Welt den größten Mehrwert, wenn sie "Menschen dabei helfe, einen guten Job zu machen."

Hat sich Mark Zuckerberg verschätzt?

Dass VR bald zu einem Massenmarkt skaliert, glaubt Delaney nicht. "Beim Entertainment gehe ich davon aus, dass ein kleines, begeistertes Publikum eine kleine Anzahl Entwickler unterstützt", sagt Delaney.

360-Videos seien "nicht besonders interessant" und sozial schwer teilbar. Hier sieht er mehr Potenzial in virtuellen Reisen oder Shopping-Angeboten als in der Unterhaltung.

https://www.youtube.com/watch?v=Is8eXZco46Q

Mit "Horizon" bringt Facebook demnächst eine soziale VR-Welt auf den Markt, nachdem das erste Social-Experiment Facebook Spaces scheiterte. Delaney geht davon aus, dass Mark Zuckerberg Zeit und Aufwand für die Entwicklung nützlicher sozialer VR-Anwendungen "massiv unterschätzt" hat. Aktuelle Social-VR-Apps böten im Vergleich zu Videokonferenzen einen geringen Mehrwert.

"Die fehlende Mimik ist ein großes Problem und es wird noch Jahre brauchen, um das ökonomisch sinnvoll zu lösen", sagt Delaney. "Es mag einen größeren Markt für Gelegenheitsnutzer geben - vielleicht ist es Facebook in 3D. Aber die Hardware-Kosten, der geringe Tragekomfort und die fehlenden substanziellen Vorteile werden Social-XR für noch mindestens fünf Jahre einschränken."

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Oculus sollte bessere VR-Brillen bauen

Delaneys Rat an Oculus lautet folgerichtig: "Baut eine bessere VR-Brille!" Die Displays seien "gerade so in Ordnung", die Systeme aber noch unbequem. Oculus' Vorzeigebrille Quest (Test) verrutsche auf dem Kopf und biete eine "unterdurchschnittliche Bildqualität".

"Oculus wurde gegründet, um VR-Brillen in jedes Zuhause zu bringen. Davon sind sie weit entfernt", sagt Delaney. Anders als HTC, das sich bei VR primär auf Unternehmen fokussiere, sei Facebooks VR-Geschäftsmodell "fehlerhaft".

Oculus Quest frisch aus der Verpackung: Facebooks ambitionierteste VR-Bille. Bild: Oculus

Facebooks Vorzeige-VR-Brille Oculus Quest ist Delaney nicht gut genug. Bild: MIXED

Der XR-Markt insgesamt werde groß, schätzt Delaney, VR allerdings würde unter Endverbrauchern so bald keine weit verbreitete Technologie. "AR wird die dominante Technologie, weil sie in vielen Bereichen deutlich nützlicher ist." Aber auch dieser Markt sei noch fünf bis zehn Jahre entfernt.

Die Vision einer virtuellen Realität mit all ihren digitalen Freiheiten sei zwar stark. Aber die technische Umsetzung weit davon entfernt, diese Vision Realität werden zu lassen. Dafür bräuchte es deutlich hochentwickeltere Technologie, die derzeit noch Science-Fiction ist.

Ein Überfluss an Unterhaltung

Meine Frage, ob die heutige VR-Branche noch immer Fehler aus den 90ern wiederhole, bejaht Delaney auch in unserem dritten Gespräch: Die Technologie sei zwar viel besser, aber es fehlten interessante Inhalte mit mehr Tiefgang als Videospiele. Nutzer-Interfaces seien häufig nicht gut genug und Geschäftsmodelle würden auf Basis von Wünschen statt auf Marktforschung entwickelt.

Die VR-Industrie werde groß, aber vornehmlich im Unternehmenssektor: "Die Visualisierung großer Datensätze, die Unterstützung von Fachleuten im Gesundheitswesen, die Ausbildung von Mitarbeitern für komplexe und gefährliche Aufgaben, die Simulation neuer Produkte, bevor diese gebaut werden, die Planung komplexer Missionen, der Einsatz in der militärischen und extraterrestrischen Erkundung, Unterricht, Psychotherapie und vieles, vieles mehr."

Mit Oculus Quest kann man jetzt Mixed-Reality-Videos aufnehmen

Selbst Delaney kann sich dem Phänomen Beat Saber nicht entziehen. Ansonsten hält er wenig von VR-Games. Bild: Facebook / Beat Games

Er hege keine generelle Abneigung gegen Games oder Entertainment, aber Menschen hätten ohnehin schon Zugriff auf "viel mehr Unterhaltung, als es gesund ist".

"Ich wünschte mir, die Leute würden weniger herumspielen und stattdessen mehr Energie in ernste Probleme investieren wie den Klimawandel." Ein VR-Spiel hat Delaney dann doch gepackt: "Ich liebe Beat Saber und finde es super, dass ein Spiel, in dem man nicht töten muss, ein großer Hit ist."

2014 veröffentlichte Delaney das Buch Sex, Drugs and Tessellation: The Truth About Virtual Reality. Er ist außerdem bei Twitter aktiv.