Virtual Reality soll ADHS-Symptome bei Kindern erkennen

Virtual Reality soll ADHS-Symptome bei Kindern erkennen

Forschende stellen ein VR-Spiel vor, das ADHS-Symptome besser erkennen soll als herkömmliche Methoden. Wie hilft Virtual Reality bei psychischen Beeinträchtigungen?

Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung, kurz ADHS, ist eine weitverbreitete Verhaltens- und Emotionsstörung. Mehr als fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen weltweit und 4,4 Prozent allein in Deutschland sollen betroffen sein. Damit gilt ADHS als häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen.

Ein Problem in der Therapie stellt häufig die Diagnose dar. Patient:innen müssen Symptome in Interviews oder Fragebögen erklären und werden unter subjektiven Beobachtungen diagnostiziert. Symptome an sich reichen allerdings nicht für eine ADHS-Diagnose. Diese erfolgt in der Regel erst, wenn die Defizite das Leben von Patient:innen stark beeinträchtigen. Ob das tatsächlich der Fall ist, lässt sich anhand eines Fragebogens schwer beurteilen.

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Um die Diagnose zu erleichtern, setzt ein finnisches Forschungsteam deshalb auf einen praktischen Ansatz und beobachtet Betroffene in Alltagssituationen. Dafür nutzen die Forschenden Virtual Reality und Eye-Tracking.

VR-Spiel simuliert Alltagssituationen

Virtual Reality ist längst in der Medizin und Forschung angekommen. Marktforscher sehen VR in der Medizin als künftigen Milliarden-Markt. Schon jetzt wird VR in OP-Sälen als Beruhigungsmittel eingesetzt. In Großbritannien dient die VR-Brille als Narkosemittel vor schmerzhaften Eingriffen.

Forschende der Universitäten Aalto, Helsinki und der Åbo-Akademi haben nun ein VR-Spiel namens EPELI entwickelt – die Kurzform für „Executive Performance in Everyday Living“ – das bei der Diagnose von ADHS helfen soll. Dabei finden sich Proband:innen in einem virtuellen Kinderzimmer wieder und müssen alltägliche Aufgaben erledigen, wie das Bett zu machen oder das Zimmer aufzuräumen. Währenddessen sehen sie sich einer Reihe von Ablenkungen wie Hundegebell, Spielzeug und vielen Interaktionsmöglichkeiten ausgesetzt.

„Das Spiel bietet eine Liste von Aufgaben, die das tägliche Leben simulieren, wie Zähneputzen und das Essen einer Banane. Der Spieler muss sich an die Aufgaben erinnern, obwohl es in der Umgebung Ablenkungen gibt, wie einen laufenden Fernseher. Das Spiel misst alles: wie oft das Kind auf die Bedienelemente klickt und wie effizient es die Aufgaben erledigt. Die Effizienz korreliert mit dem Funktionieren im Alltag, womit Kinder mit ADHS oft Probleme haben“, erklärt Entwickler Topi Siro.

Eye-Tracking hilft bei der Diagnose

Die Forschenden probierten EPELI und noch ein weiteres VR-Spiel in einer Studie aus. Dabei mussten Kinder eine Zielscheibe in der VR-Umgebung ausfindig machen und auf sie schießen. An der Studie nahmen 37 Kinder mit diagnostiziertem ADHS und 36 Kinder in einer Kontrollgruppe teil.

Mit dem Eye-Tracking der VR-Brille messen die Forschenden die Augenbewegungen der Teilnehmenden, während die die Aufgaben lösen. „Wir verfolgten die natürlichen Augenbewegungen der Kinder, während sie verschiedene Aufgaben in einem Virtual-Reality-Spiel erfüllten, und dies erwies sich als wirksame Methode zur Feststellung von ADHS-Symptomen“, so Liya Merzon, Doktorandin an der Aalto-Universität.

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„Die Blicke der ADHS-Kinder hielten länger auf verschiedenen Objekten in der Umgebung inne, und ihr Blick sprang schneller und häufiger von einem Punkt zum anderen.“ Dies könne auf eine Verzögerung in der Entwicklung des visuellen Systems und eine schlechtere Informationsverarbeitung als bei anderen Kindern hindeuten.

Virtual Reality als Therapie bei ADHS vorstellbar

Neben der praktischen Simulation von Alltagssituationen sieht Projektleiter Juha Salmitaival einen weiteren Vorteil in der VR-Diagnose: „Dies ist nicht nur eine neue Technologie zur objektiven Bewertung von ADHS-Symptomen. Die Kinder finden das Spiel auch interessanter als neuropsychologische Standardtests.“

Neben der Diagnose und Bewertung der Symptome können sich die Forschenden deshalb auch vorstellen, dass VR-Spiele als Rehabilitations-Hilfsmittel für ADHS eingesetzt werden können.

„Wir wollen eine digitale Therapie auf der Grundlage von Spielen entwickeln, die Kindern mit ADHS helfen kann, sich für Dinge zu begeistern, die sie sonst nicht tun würden. In den USA gibt es bereits ein zugelassenes Spiel für die Rehabilitation von ADHS“, so Salmitaival.

Virtual Reality: Ein vielseitiges Diagnose-Instrument

„Ich halte die virtuelle Realität für ein interessantes Instrument, weil man damit genau kontrollieren kann, was in der Welt der Reize passiert, und gleichzeitig Informationen über das Verhalten in einer natürlichen Situation sammeln kann“, sagt Linda Henriksson, Expertin für die Verarbeitung visueller Informationen durch das Gehirn und ebenfalls an EPALI beteiligt.

Die Forschenden sehen großes Potenzial in EPALI. Durch Anpassungen könnte das VR-Spiel auch bei Diagnosen und Therapien von Menschen mit Autismus, Sprachproblemen oder Hirntraumata sowie bei Erwachsenen mit ADHS, Symptomen im Zusammenhang mit zerebraler Lähmung oder abnehmender Gedächtnisleistung im Alter verwendet werden.

„Unsere Partner in Genf untersuchen altersbedingte Krankheiten. Zu den wichtigsten Möglichkeiten, die sich abzeichnen, gehört die Früherkennung von Parkinson- und Alzheimer-Krankheiten“, sagt Salmitaival.

Quellen: Scientific Reports (Studie), Alto Universität