Schrödingers Metaverse: Gleichzeitig Hype und kein Hype – Ausblick

Schrödingers Metaverse: Gleichzeitig Hype und kein Hype – Ausblick

Die einen predigen das Metaverse, die anderen können damit nichts anfangen. Was sagen Expert:innen? Ich war auf dem Gartner IT-Symposium 2022 und das sind die Trends für die nächsten Jahre.

Dr. Rolf Illenberger ist CEO von VRdirect, Speaker und Medienexperte mit jahrzehntelanger Erfahrung. Als Mitglied des World Economic Forum beschäftigt er sich mit dem Thema „Steuerung und Wertschöpfung im Metaverse“. Er war auf dem Gartner IT-Symposium 2022 in Barcelona und fasst für uns seine Eindrücke zusammen.

Wenige Themen erlebten in diesem Jahr eine solche Achterbahnfahrt wie das Metaverse. Von Meta angeführt, die sich das Metaverse sogar in den Namen geschrieben haben, entwickelte sich Anfang des Jahres ein regelrechter Goldrausch: Auf Messen in den USA wurden sogar LAN-Kabel mit „Metaverse-ready“-Aufklebern beworben.

Vor etwa einem Jahr zitierte mich die Washington Post zum Thema Metaverse wie folgt: „2022 ringen große Technologieunternehmen um Anteile an einem aufstrebenden Markt. Google, Microsoft und Apple könnten ihre eigenen Headsets und Betriebssysteme für das Metaversum einführen wie bei PCs und Smartphones."

Knapp ein Jahr später ist die Vision vom Metaverse noch nicht jedem klar: Was soll es denn werden? Ein neues Internet? Der Beginn einer Cyberpunk-Welt mit Ready Player One-Vibes? Oder doch nur ein Marketing-Vehikel für NFTs und Krypto-Spekulationen?

Gartner ist als IT-Beratungs- und Marktforschungsfirma unter anderem für den Gartner-Hype-Cycle bekannt. Trotz des Metaverse-Fallouts durch die Börsentalfahrt sowie dem durchwachsenen Image von Meta hat es das Metaverse im August dieses Jahres erstmals in den „Gartner Hype Cycle for Emerging Technologies“ geschafft.

Das Metaverse im Gartner Hype Cycle for Emerging Tech 2022. | Bild: Gartner

Ich war auf dem Gartner IT-Symposium in Barcelona, habe mir Gartners aktuelle Erkenntnisse und Ausblicke rund um das Metaverse angehört und mit führenden Innovationsexpert:innen gesprochen. Wie soll sich das Thema in den nächsten Jahren entwickeln?

Das Metaverse: Auf der Suche nach einer guten Erklärung

Das Metaverse definiert Gartner als kollektiv geteilten virtuellen Raum, der durch die Konvergenz von virtuell erweiterter physischer und digitaler Realität entsteht. Es sei „die nächste Stufe der Interaktion in virtueller und physischer Welt“. Persistenz ist dabei laut Gartner ein entscheidender Faktor: Virtuelle Räume und Gegenstände würden dauerhaft mit der Realität verbunden. Dezentralisierung und Blockchain-Technologie (Web3) können zudem Bereiche des Metaverse prägen, etwa Finanzen oder Serviceleistungen.

Besonders wichtig: Das Metaverse müsse interoperabel sein. Die Fähigkeit zum reibungslosen Zusammenspiel von realer und digitaler Welt, etwa bei digitalen Zwillingen, Gütern und Währungen sowie zwischen den verschiedenen Metaversen der Tech-Konzerne, sei für die Akzeptanz entscheidend. Der Zugang müsse dabei so einfach sein wie mit einem Browser, der alle Webseiten im Internet ansteuern kann.

Ein komplettes Metaverse setzt sich für Gartner aus drei Bereichen zusammen:

  • Transport: Die Möglichkeit, in eine virtuelle Welt einzutauchen.
  • Transform: Die digitale Welt wird in die physische Welt gebracht. Dies ermöglicht Zugang zu Echtzeit-Informationen, Zusammenarbeit und Erlebnissen in der physischen Welt durch Augmented-Reality-Funktionen.
  • Transact: Wirtschaftliche Grundlage des Metaversums durch den Einsatz von Kryptowährungen, NFTs und Blockchain.

Evolution statt Revolution

Seit dem Start kommerzieller VR im Jahr 2016 wird immer wieder vom Massenmarkt fabuliert. Der Durchbruch für VR sei nur eine „Killer-App“ entfernt. Standalone-VR werde automatisch dafür sorgen, dass sich jeder Mensch eine VR-Brille aufsetzt. Cloud-Streaming wird fotorealistisches VR für Standalone-VR-Brillen möglich machen.

Auch wenn sich die Technologie insbesondere im Business-Bereich in den vergangenen zwei Jahren immer mehr durchgesetzt hat – es wird noch eine Weile dauern, bis VR und später auch AR in der Breite angekommen sind. Gartner spricht deshalb von einer Evolution, die in drei Phasen ablaufen soll:

  1. Emerging: App-basiert, geräteabhängig, zugangsbasierte Preisgestaltung
  2. Advanced: Super Apps, raumbezogen, Beginn der Interoperabilität
  3. Mature: standardbasiert, geräteunabhängig, hochgradig interoperabel, abgestufte Erlebnisse

Gartners Metaverse-Timeline vom Gartner IT-Symposium 2022. | Bild: Gartner

Den Status „Emerging“ sieht Gartner noch bis einschließlich 2027. „Advanced“ soll ab 2025 Fahrt aufnehmen. Das komplette, „Mature“-Metaverse verorten die Expert:innen für die Zeit nach 2029. Die Timeline deckt sich weitgehend mit den Aussagen von Meta-Chef Mark Zuckerberg, der einen echten „Return of Investment“ für seine Metaverse-Investitionen erst in den 2030er-Jahren erwartet.

Im Unternehmenskontext würden sich diese Entwicklung auf die Erfahrungen der Mitarbeitenden und ihre Arbeitsabläufe auswirken: Neue Wege der Zusammenarbeit, neue Märkte, effizientere Prozesse und eine bessere Einbindung der Mitarbeiter:innen verändern die Arbeitswelt sukzessive.

Die Idee von zunehmenden VR-Meetings hält sich auch bei Gartner: Hauptvorteil gegenüber Videokonferenzen sei höheres Engagement und keine „Always-on Camera“-Müdigkeit. Der Nachweis dieser These in der Breite steht allerdings noch aus und bedarf womöglich noch signifikanten Fortschritten bei Hard- und Software. Auch der Trend zu Mixed Reality und damit der Verschmelzung von virtueller und physischer Erfahrung dürfte dabei ein wichtiger Baustein sein.

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Gartner & das Metaverse: Hürden, Möglichkeiten, Ergebnisse

Gartner teilt das Metaverse in die folgenden Bereiche auf und nennt die jeweiligen Schwierigkeiten, denen die Technologie derzeit gegenübersteht:

  • Spatial Computing: Technologie, insbesondere für AR-Brillen, ist noch stark limitiert
  • Gaming: Neue und gute Inhalte sind teuer
  • Digital Humans: Limitierte Möglichkeiten, erst im Entstehen begriffen
  • Virtual Spaces: Komplex und teuer in der Skalierung
  • Shared Experiences: Ungleiche Zugangsmöglichkeiten zu Tools und Vernetzung
  • Tokenized Assets: Cybersicherheit und Betrug sind hier ein großes Problem

Das Gartner-Metaverse-Wheel vom Gartner IT-Symposium 2022. | Bild: Gartner

Gleichwohl sieht Gartner es als lohnend an, diese Hürden zu überwinden und prognostiziert handfeste Ergebnisse, die durch Metaverse-Technologien (etwa Augmented Reality) in den nächsten Jahren erreicht werden. Dazu gehören Verbesserung der Arbeitssicherheit und Steigerung von Einzelhandelsumsätzen, etwa durch VR-Training oder Mixed Reality.

Umsatzmöglichkeiten durch persistente Güter sollen neue Erlösquellen eröffnen und Mitarbeitende werden besser vernetzt, können besser zusammenarbeiten und werden effizienter in Unternehmensprozess eingebunden.

Empfehlungen zum Metaverse: Lernen, Erkunden, vorsichtig Einführen

Mutig ist die Prognose, dass bis 2027 mehr als 40 Prozent der großen Unternehmen weltweit eine Kombination aus Web3, Spatial Computing und digitalen Zwillingen in Metaverse-basierten Projekten zur Umsatzsteigerung einsetzen sollen. Das passt zu einer Befragung des Branchenverbandes Bitkom in Deutschland: 58 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass das Metaverse das Internet spürbar verändern und eine Vielzahl neuer Geschäftsmöglichkeiten bieten werde.

Trotzdem sollten Investitionen mit Umsicht und Vorsicht vorgenommen werden, da noch nicht abzusehen sei, welche Bereiche langfristig relevant werden. In den nächsten ein bis drei Jahren sollten sich Unternehmen deshalb primär auf das Metaverse vorbereiten.

Konkret empfiehlt Gartner:

  • Erarbeitung von Beispielen für die Abstimmung von Metaverse-Anwendungsfällen mit Kerngeschäftsvorgängen
  • Entwicklung von Geschäfts- und Technologiestrategien zur Teilnahme
  • Vorsicht bei Investitionen in spezifische Metaversen

Das Metaverse benötigt viel Aufklärung

Krypto-Technologien und Web3 werden häufig mit dem Metaverse in einen Topf geworfen. Zwar gibt es hier Berührungspunkte und im Hinblick auf persistente digitale Güter, sicheren Handel und Finanzen womöglich Vorteile –doch haltlose Spekulationen ohne fundamentale Wirtschaftsdaten mit NFTs und Krypto-Währungen verbrennen den Boden für sinnvolle Konzepte.

Das Metaverse als Buzzword leidet noch unter der unklaren Vision und häufig unpassender Kommunikation. Dabei sind die Vorteile immersiver Technologien wie Virtual Reality schon seit Jahren bekannt und werden zunehmend in Unternehmen genutzt: VR hat die Experimentierphase längst verlassen und schafft neue Arbeitsprozesse, etwa in der Remote-Kollaboration im 3D-Design oder beim Routineaufbau durch Trainings.

Trotzdem befinden wir uns laut Gartner weiter in der Phase der Innovation und der Early Adopter. Damit Metaverse-Technologien und das Metaverse einmal „erwachsen“ werden, muss mehr über die Ergebnisse der Innovationsphase gesprochen werden. Der Nutzen muss in der Breite gesehen werden. Warum ist etwa VR sinnvoll und wie bringt es mein Unternehmen und mich weiter? Die beeindruckende Technologie sowie initiale „Wow“-Effekte reichen als Selbstzweck jedenfalls nicht aus – schon gar nicht im Geschäftsleben.

Die Grundlagen für das Metaverse werden jetzt gelegt

Laut Gartner soll das Metaverse sämtliche Bereiche des Lebens berühren, von der Technologie über Umweltfragen und Politik bis zu sozialen und kulturellen Bereichen. Die Grundlagen werden jetzt gelegt: Unternehmen, die jetzt mit VR starten, denken ihre Arbeits- und Produktionsprozesse fürs Metaverse, setzen auf VR-Inhalte und führen Mitarbeitende an das neue Digitalzeitalter heran. Das macht sie attraktiver für Nachwuchskräfte.

Das Metaverse ist zudem ein Zeitpunkt, nämlich der, ab dem wir in unserem digitalen Alltag mehr VR und AR nutzen als traditionelle Bildschirme. Wenn dieser Zeitpunkt kommt, sind VR-erfahrene Unternehmen schon längst Metaverse-ready – ähnlich den Unternehmen, die vor dem großen Internet-Boom ihre erste Webseite online hatten.

Quellen: Washington Post