Battlescar Filmkritik: Was den VR-Film so einzigartig macht
In dem VR-Animationsfilm „Battlescar“ machen wir eine wilde Zeitreise durch das New York der späten 70er. Um was sollte es da anderes gehen als um Punk Rock?
Autorin: Pola Weiß, bloggt bei VRGeschichten.de
Seitdem ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, bin ich verliebt: in den Rhythmus, die Musik und die Hauptpersonen. Nach langer Wartezeit ist dieses VR-Meisterwerk nun endlich veröffentlicht.
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Punkgirls erobern die Welt
„Battlescar“ ist eine Koproduktion verschiedener Partner, darunter - wie auch schon bei Gloomy Eyes - das französische Produktionshaus Atlas V und der Fernsehsender Arte. 2018 bereits feierte das erste Kapitel des rund 30-minütigen Filmes beim Tribeca Film Festival seine Weltpremiere. Ich war dort – und ab der ersten Sekunde begeistert.
Noch nie zuvor hatte ich ein solches Tempo, einen solchen Rhythmus in Virtual Reality erlebt. Das liegt nicht zuletzt am Thema, denn es geht um Musik. Genauer: um den Punk im New York der 70er Jahre.
Sie alle waren damals da und traten in den Clubs der Bowery auf: Patti Smith, The Ramones, Talking Heads, Blondie, The Runaways. Es war der Aufbruch in eine neue Zeit und in eine andere Gesellschaft. Frauen spielten übrigens eine wichtige Rolle in der aufkommenden Punkszene und eroberten sich nach und nach ihren Platz in der Musikgeschichte. Genau darum geht es auch in „Battlescar“, dessen Untertitel die Marschrute vorgibt: „Punk was invented by girls“.
Zwei Teenager streifen durch New York City
Der Film spielt im Jahr 1978. Die 16-jährige Lupe, Amerikanerin puerto-ricanischer Herkunft, ist von zuhause ausgebüxt und findet sich über Nacht in einer Jugendstrafanstalt wieder. Dort lernt sie Debbie kennen, ziemlich cool und ziemlich wild. Kaum wieder in Freiheit, nimmt Debbie Lupe mit durch New Yorks Lower East Side - geradewegs hinein in die damals junge Punk-Szene. Voller Tatendran hecken die beiden einen Plan aus: Sie wollen eine eigene Band gründen. Oder wie Debbie sagt: „Let’s grab Alphabet City by the balls!“.
Für die beiden Regisseure, Martin Allais und Nico Casavecchia, war das Filmprojekt die perfekte Gelegenheit, um sich endlich einmal näher mit Punk Rock zu beschäftigen. Etwas, das sie ohnehin interessiert hatte, wie mir die beiden bei einem Interview am Rande des Filmfestivals von Venedig im Sommer 2019 erzählten. Dort war „Battlescar“ das erste Mal in voller Länge und mit allen drei Kapiteln zu bestaunen.
Doch der erste Anstoß für das Projekt kam von einem Buch: Mercedes Arturo, Casavecchias Ehefrau, las „Just Kids“ von Patti Smith. Das Paar lebte damals für einige Zeit in New York. Die Welt, die das Buch beschrieb, empfanden sie als sehr immersiv und ganz unterschiedlich zu dem New York, das sie täglich erlebten.
Ode an eine vergangene Zeit
Warum also nicht eine Zeitreise ins New York der späten 70er, sagten sich Casavecchia und Allais, die eine langjährige Freundschaft verbindet. Die beiden starteten ihr erstes gemeinsames Projekt.
Es gibt drei Hauptpersonen in „Battlescar“. Neben Lupe und Debbie ist es die Stadt selbst, New York City. Das zeigt sich durch viele Anspielungen: Straßennamen, Viertel und Geräusche wachsen zusammen zu einer atmosphärischen Collage. Wie im Rausch und voller wachsender Begeisterung folgt man den beiden jungen Frauen durch die Stadt. Auf diese Weise macht „Battlescar“ erlebbar, was die Regisseure aus den Büchern herauslasen.
Um dieses Gefühl aus den 70ern zu wecken, kreierten sie eine ganz neue Bildsprache: Manchmal zoomen sie aus dem Bild heraus und die User sehen von oben auf die Stadt hinunter. In einer Art 3D-Stadtkarte, die übrigens auf einem realen Stadtplan basiert, wuseln Lupe und ihre Freunde von Avenue zu Avenue. Was sich hier in VR am Anfang noch ungewohnt anfühlt, ist eine fabelhafte Idee: Casavecchia und Allais haben so fast nebenbei das VR-Äquivalent für den filmischen Mastershot erfunden.
„Battlescar“ ist eine Schatztruhe für immersives Erzählen
Und auch sonst experimentieren die beiden Regisseure bei „Battlescar“ wild herum. Paper Cut-Animationen, Szenen, die an Retro-Computerspiele erinnern, bunte Collagen in Stop-Motion, Pop-up-Bilderbücher…
Sie wollten bloß nichts Langweiliges machen, erzählten mir Allais und Casavecchia bei unserem Interview 2019. Zu meinem großen Erstaunen ließen sie sich für den Film auch kaum von anderen Virtual Reality-Werken inspirieren.
Martin Allais: „Wir hatten uns einige VR-Erfahrungen angeschaut, aber wir sind da ganz allgemein nicht so verrückt nach – wir wollen lieber selbst welche erschaffen. Und wir fragten: Wie können wir es interessant und aufregend machen für die Leute - und für uns? Alles entspricht dem, was wir selbst mögen. Wir haben nur versucht, eine Sprache zu finden, anstatt eine Sprache zu definieren. Battlescar versucht etwas zu finden.“
Eine Sprache zu finden – das ist ihnen gelungen. Durch ständiges Ausprobieren und in vielen Gesprächen miteinander. „Battlescar“ ist zwar nicht interaktiv, sondern klassisch linear erzählt, doch setzt gleich drei neue Ideen ein, die mich ganz besonders beeindruckt haben: Buchstaben zur Unterstützung der Erzählung, das Spiel mit Größe und Skalierung, und ein hervorragendes Voiceover.
Szenenübergänge und die Sache mit den Buchstaben
Wenn ich an „Battlescar“ denke, fallen mir zuallererst Worte ein: Große Buchstaben, in krakeliger Schrift in den Raum geschmettert. Denn während Lupe spricht – der ganze Film wird von ihrer Stimme aus dem Off erzählt –, erscheinen bestimmte Worte in geschriebener Form immer wieder vor den Augen des VR-Publikums. Für das Medium VR ist die Idee ein neuer Ansatz. Wie kamen die Regisseure darauf?
Nico Casavecchia: „Im ersten Kapitel liest Lupe aus ihrem Tagebuch, das sehr wichtig ist, da sie darin ihre Erinnerungen sammelt. Wir hatten bereits angefangen, dafür einen Stil zu entwickeln und die Buchstaben zu zeichnen. Irgendwann, wahrscheinlich zufällig, merkten wir, dass wir die geschriebenen Worte als eine Art Anker einsetzen können. So wird man von der immersiven Welt nicht überfordert. Die Buchstaben bringen einen zurück zur Geschichte und lenken die Aufmerksamkeit zurück auf die Stimme der Erzählerin.“
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Inhaltlich passt es perfekt zu „Battlescar“: Punk ist auch Graffiti und Graffiti heißt Rebellion. Und wie der Film rebelliert! Tempotreiber sind vor allem die gelungenen Szenenübergänge: In einer Szene fahren wie im Theater Kulissen ins Bild, in anderen Szenen spielt der Film mit Licht und Scheinwerfern, manchmal fliegen wir durch zum Leben erweckte Seiten aus Lupes Tagebuch.
Und immer wieder sind es die Buchstaben, die den perfekten Übergang von einer Szene in die nächste bieten, da sie den Blick und die Aufmerksamkeit der User für einen kurzen Augenblick zu fangen wissen. Zugegeben: Da die Schrifteinblendungen selbst nicht übersetzt wurden, wirkt der Effekt nicht so gut in der deutschen Version. Ein weiterer Grund, sich die englische Original-Fassung anzusehen, die ich euch sehr ans Herz lege (mehr dazu weiter unten).
Mal groß, mal klein – „Battlescar“ spielt mit Skalierung
Was zusätzlich den Rhythmus antreibt, ist der originelle Umgang mit Größenverhältnissen: Mal bin ich sehr groß und schaue auf eine Miniaturwelt, dann werde ich mit Schwung wieder in das Universum von Lupe und Debbie hineingeworfen und stehe ihnen Auge in Auge gegenüber. Meist ist der Film in der dritten Person erzählt, doch immer wieder, und dann nur für wenige Augenblicke, erlebt man die Geschichte aus der Sicht von Lupe.
Es gibt eine Szene – die beiden Teenager treffen auf einen wütenden Kleinkriminellen –, da werden sie (und das VR-Publikum mit ihnen) auf einmal sehr klein. Die Waffe vor ihren Köpfen ist riesig und wirkt dadurch sehr bedrohlich. An solche Momente seien sie ganz intuitiv herangegangen, erzählen mir Allais und Casavecchia. Die Fragen, die sie sich für die Umsetzung gestellt haben, waren: Welcher Charakter ist gerade stärker? Wer hat die Macht und wer fühlt sich klein oder ängstlich?
Mit dieser Experimentierfreude entwickelt „Battlescar“ den sogenannten „Puppenhaus-Stil“ weiter, den man mittlerweile in vielen VR-Werken erleben kann (zuletzt beispielsweise in „Paper Birds“ oder „Minimum Mass“). Durch die vielen Perspektivwechsel in „Battlescar“ werden die Szenen aber besonders immersiv, ja, geradezu als Erlebnisse geschaffen. Man kommt den Protagonistinnen und ihrer Gefühlswelt so sehr nah.
Voiceover: Rosario Dawson in einer grandiosen One-Woman-Show
Die Regisseure teilten sich die Arbeit untereinander auf: Während Allais sich vor allem um die Musik und die Atmosphäre kümmerte, schrieb Casavecchia die Handlung. Es gab allerdings zu keinem Zeitpunkt ein richtiges Drehbuch mit Dialogen und Szenenanweisungen. Stattdessen war es ein Kurzroman, in den die wörtliche Rede der Charaktere eingebunden war – eigentlich nur die Vorstufe zu einem Drehbuch.
Das legten sie nun der Schauspielerin Rosario Dawson vor, als sie sich das erste Mal trafen. Dawson legte einfach los und begann, den Text laut vorzulesen. Dabei sprach sie sämtliche Charaktere gleich mit. Ihre spontane Idee wurde zum Stilmittel: Der ganze VR-Film wird von Lupe aus dem Off erzählt, denn es sind ihre Erinnerungen. Wenn auch der bärtige Riese an der Kreuzung seine Drohungen in Lupes Stimme knurrt, wirkt das lustig und befremdlich zugleich. Doch es verstärkt die Bindung zu Lupe, die mehr und mehr zur Freundin wird.
Rosario Dawson, die selbst puerto-ricanische Wurzeln hat, trägt mit einer fantastischen Leichtigkeit durch die Geschichte: Ganz selbstverständlich nutzt sie Worte in „Spanglish“, springt nahtlos zwischen Englisch und Spanisch hin und her. Lupe lebt zwischen zwei Kulturen, das sieht und das hört man. Und auch wenn die deutsche Synchronsprecherin, Lo Rivera, ihre Sache wirklich sehr gut macht – gegen Hollywoodstar Rosario Dawson kommt auch sie nicht ganz an.
Doch egal, in welcher Sprache, egal, ob man Punkmusik mag oder nicht: „Battlescar“ sollte man auf keinen Fall verpassen. Der Film ist eine spannende Coming of Age-Geschichte, eine Liebeserklärung an den Animationsfilm und eine große Bereicherung für das Medium Virtual Reality.
Hier könnt ihr Battlescar anschauen
„Battlescar“ ist eine Koproduktion zwischen ATLAS V, Albyon, 1stAvenue Machine, Arte France, Oculus und Ryot und wurde durch die Plattform Kaleidoscope und französische Förderinstitutionen unterstützt.
Ab dem 14. Januar ist der Film in 6DoF im Oculus Store für Oculus Quest (2) (Test) und Rift in den Sprachen Englisch, Deutsch und Französisch erhältlich. Eine PC-Version auf Steam folgt zu einem späteren Zeitpunkt im Januar. Auf Youtube soll außerdem eine 360°-Version erscheinen.
Mehr Informationen zu "Battlescar" findet ihr in Kürze auf VR Geschichten.
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