End of Night: Diese VR-Erfahrung werdet ihr so schnell nicht vergessen
End of Night erzählt die Geschichte eines Mannes, der mit seiner Familie vor den Nazis flüchtet. In einer Weise, wie es nur Virtual Reality kann.
Als der VR-Film End of Night beginnt, sitze ich in einem Ruderboot inmitten eines dunklen, stillen Ozeans. Mir gegenüber sitzt ein Mann im Herbst seines Lebens und blickt mich an.
„Jede Nacht reise ich durch meine Erinnerungen“, sagt er und beginnt zu rudern. Während er von seiner Flucht vor den Nazis im Jahre 1943 erzählt, weicht die Dunkelheit und das Meer einer Stadt. Wir gleiten eine taghelle Straße entlang, zwängen uns in Gebäude und wieder hinaus und rudern schließlich in eine lange, tiefe Nacht hinein.
Nach und nach wird mir klar, was er mit seinen Worten meinte: Was wir durchqueren, sind seine Erinnerungen an die Stationen dieser viele Jahre zurückliegenden Flucht. Wir sehen den alten Mann in der uns umgebenden Szenerie als jungen Menschen, als Ehemann und Vater und erfahren Stück für Stück, was ihm und seiner Familie auf der Flucht von Dänemark ins neutrale Schweden widerfahren ist.
Eine bewegende Erinnerungsfahrt in Virtual Reality
Knapp 50 Minuten dauert der VR-Film und während dieser Zeit bin ich mit dem Mann im Ruderboot gefangen. Das schafft Nähe – und Beklemmung.
Seinem Blick und seiner Erzählung ausgeliefert, verfolge ich den unerbittlichen Gang der Geschichte, die sich um uns herum entfaltet. Ich sehe Räume an mir vorbeiziehen, Schemen, die aus dem Nichts auftauchen und wieder in der Dunkelheit verschwinden.
50 Minuten sind eine qualvolle lange Zeit in Virtual Reality, wenn man nichts anderes tun kann, als still dazusitzen, zuzuhören und sich umzusehen. Dass mir der VR-Film die Handlungsfreiheit nimmt und mich auf die Folter spannt, ist beabsichtigt. Auf diese Weise lässt er mich die Ausweglosigkeit des Mannes, sein banges Warten auf das Ende einer endlos scheinenden Nacht nachempfinden.
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Räumlich gefilmt: Ein bestechender visueller VR-Stil
Der VR-Film ist in grobkörnigem Schwarzweiß gehalten, so als wäre ich in einen alten Film hineinversetzt worden. Die mit Photogrammetrie digitalisierten Straßen und Räumlichkeiten der Stadt, durch die wir im Ruderboot schweben, wirken echt und bruchstückhaft zugleich wie Erinnerungen. Das Gleiche gilt für die Figuren, die mit einer 3D-Kamera gefilmt wurden, sodass sie zwar räumlich, aber dennoch unvollständig erscheinen: mit geisterhaften Konturen, die zu den Seiten hin ausfransen.
Diese digitalen Fehler und Mangelhaftigkeiten sind ein Stilmittel, das den Traum- und Erinnerungscharakter der Geschichte perfekt wiedergibt. Ein Thema und eine Aufnahmetechnik, die Regisseur David Adler schon mit seinem vorangegangenen VR-Film A Taste of Hunger (Kritik) erforschte.
Erinnerung in VR erleben: Von wahren Begebenheiten inspiriert
End of Night ist von Adlers Familiengeschichte inspiriert sowie von den Fluchtgeschichten seiner Heimatstadt. „Ich möchte, dass die Zuschauer eine persönliche Begegnung mit einem Asylsuchenden haben, mit jemandem, dessen Leben von Erinnerungen geprägt ist“, sagt Adler. „Flucht ist nicht etwas, dass anderen Menschen an anderen Orten widerfährt. Sie hat stattgefunden und findet auch in unserer Zeit statt.“
Es gibt vielerlei Fluchten: vor Krieg und Hass, aber auch vor der Wirklichkeit und in die Erinnerung, in der Hoffnung, Geschehenes ungeschehen zu machen. Der Mann im Ruderboot kennt beide Arten der Flucht. Seine Reise endet, so stelle ich zum Schluss betroffen fest, dort, wo sie angefangen hat.
End of Night war bislang nur im Rahmen von Festivals und Ausstellungen zu sehen. Das verantwortliche VR-Produktionshaus Makropol sucht derzeit Distributionsmöglichkeiten, um den VR-Film einem größeren Publikum verfügbar zu machen.
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