Sorry, Bastille, aber euer "immersives Konzert" ist Schrott
Ich bin frustriert von Konzertmitschnitten, die halbherzig in die Virtual Reality verfrachtet werden. Kann der neue Versuch der Band Bastille mein leidgeprüftes Musiker-Herz wieder höherschlagen lassen?
Anfang der Woche ging die Meldung durch die Medien, dass die britische Indie-Pop-Band Bastille eine immersive Konzerterfahrung namens „Give Me The Future VR“ für die Meta Quest 2 veröffentlicht. Zwar ließen mich diese Art von digitalen Events bislang ausschließlich enttäuscht zurück, aber irgendwie packte mich die Neugierde.
VR-Konzerte sind schließlich toll – in der Theorie. Virtual Reality bietet schier unendliche Möglichkeiten, eine musikalische Darbietung anzureichern. Dennoch bekommen wir seit Jahren nichts außer halbgarer 360-Grad-Musikvideos.
___STEADY_PAYWALL___VR-Konzerte haben Potenzial – sie verstehen es nur nicht
Zunächst zur Einordnung: Ich bin selbst Musiker und liebe es, Livekonzerte zu besuchen. Die spezielle Verbindung zwischen Künstler:innen und ihrem Publikum und die Energie, die durch das Geschehen auf und vor der Bühne freigesetzt wird, sind einmalig und werden niemals durch ein digitales Medium ersetzt werden können. Egal, wie weit die Technik noch voranschreitet.
Dennoch sehe ich in virtuellen Konzerten Potenzial. Sie könnten eine sinnvolle Möglichkeit für Künstler:innen werden, sich mit ihrem Publikum auf einer völlig neuen Ebene zu verbinden. Noch haben die Macher der digitalen Events aber nicht verstanden, wie sie das neue Medium Virtual Reality für sich nutzen können.
Aktuelle VR-Konzerte: Schlecht, langweilig und enttäuschend
Für mich gibt es derzeit zwei Kategorien von immersiven Konzerten: schrottige 180-Grad-Videos und schrottige 360-Grad-Videos mit fragwürdigen Licht- und Grafik-Effekten. Keine davon ist überzeugend. Die knallbunten Avatar-Shows im Fortnite-Universum lasse ich mal außen vor.
Die Tragödie der VR-Konzerte begann mit der Erfindung der 360-Grad-Kamera und billigem Kopfdreh-VR mit dem Smartphone. Der Wow-Effekt – hui, ich bin ja mittendrin – verblasst in der Regel schon vor dem ersten Refrain. Feste Standpunkte im Geschehen, keine Interaktionsmöglichkeiten – von echter Virtual Reality ist hier keine Spur.
Auch wenn Smartphone-VR tot ist und ausgereifte VR-Brillen immer besser werden, sind 360-Grad-Mitschnitte von Live-Konzerten weiter eine unscharfe und von miserabler Soundqualität gequälte Zeitverschwendung.
Wenn das audiovisuelle Erlebnis bei einem Konzert eine Katastrophe ist, was bleibt dann noch als Selling Point? Die Foo Fighters, dachte sich Meta und verpflichtete die Band um Dave Grohl für eine Live-Aftershow-Party am Super Bowl Sunday.
Meta scheitert an der Technik
Nicht einmal eine der bekanntesten Rockbands unserer Zeit konnte Metas kostspieliges Desaster verhindern. Die digitalen Türen in Metas Social-VR-Event-App Horizon Venues waren bis kurz vor Konzertbeginn wegen technischer Probleme für Besucher geschlossen. Der folgende Andrang überlastete die Server. Viele Besucher:innen verpassten den Event. Die Glücklichen.
Denn die Bildauflösung war gering, die zwei automatisch wechselnden Perspektiven auf die Bühne ungünstig gewählt und ständig liefen Kameraverantwortliche durch das Bild. Die zeichneten für die klassische 2D-Übertragung des Konzerts auf. Wer sich selbst ein Bild machen möchte: Das Produktionsdebakel gibt es kostenlos auf Oculus TV.
Mittendrin ist nicht immer besser als nur dabei
Das Konzert scheitert aber nicht nur an der Technik. Die Foos stehen auf einer dunklen Bühne in einem schwarzen Raum. Für Fernsehübertragungen, bei denen mehrere Kameras verschiedene Blickwinkel liefern und dynamische Schnitte die Action immer im Fokus haben, reicht das völlig.
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Stehe ich aber unmittelbar davor und sehe jedes Kabel und Team-Mitglied drumherum, verabschiedet sich die Magie. Die Band selbst hat auch nicht viel mehr zu tun, als ihre Songs abzuspulen.
Das Publikum, ohne das Grohls beliebte Show-Einlagen schlicht nicht möglich sind, fehlt an allen Ecken und Enden. Wer sich die Live-Blu-Ray des legendären Foo Fighters-Konzerts im Londoner Wembley Stadion ansieht, bekommt einen Eindruck davon, was reales Publikum aus einer Band herausholen kann.
Warum immer diese sonderbaren Effekte?
Ein anderes Beispiel ist Billy Corgans VR-Musikvideo Aeronaut auf SteamVR, das mich knapp drei Euro und vier Minuten meines Lebens kostete. Corgan trällert in diesem „VR-Erlebnis“ ein einziges Lied am Konzertflügel, um ihn herum entstehen ein paar lahme visuelle Effekte, fertig. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum Produktionsfirmen beim Brainstorming für VR-Konzerte „Immersion“ immer gleichsetzen mit Lichteffekten, Glühwürmchen oder Flugeinlagen.
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Immersion entsteht nicht nur durch Effekte. Es braucht keine High-End-Grafik à la Half-Life: Alyx, auch Comic-Umgebungen wie in Walkabout Minigolf genügen. Sie müssen nur eben glaubwürdig inszeniert sein. Was nie reicht, ist ein als 360-Grad-Video getarntes 180-Grad Video mit durch die Luft fliegenden, pixeligen Glitzersteinchen.
Bastille: Fünf Gigabyte immersiver Konzert-Müll oder VR-Konzert neu gedacht?
Genug in schlechten Erinnerungen geschwelgt. Was liefert also Bastille? Stolze 4,8 Gigabyte fordert Give Me The Future VR auf meiner Quest 2 ein. Das verspricht auf den ersten Blick zwar einiges an Inhalt. So viel vorweg: Give Me The Future VR kommt diesem Versprechen nicht ganz nach. Ganze vier Songs haben es in die virtuelle Aufführung geschafft, die sich nicht gerade mit VR-Prunk schmückt.
Ich starte die VR-Erfahrung und lande auf dem Sofa meiner futuristischen Wohnung, die selbst die Home-Umgebung der Meta Quest 2 besser hinbekommt. Die Menü-Tafel ist so nah an mir dran und direkt mit meiner Blickrichtung verbunden, dass ich sie kaum lesen kann. Ich wähle die komplette Reise in das „Innerverse“ und bin gespannt, wo sie mich hinführt.
Die ewig gleiche Zukunftsvision
Eine Cyberpunk-Stadt. Ah ja. Interessantes Zukunftsszenario. So noch nie gesehen. Ich schwebe langsam zwischen Wolkenkratzern, um mich herum fliegende Autos und viel Neonlicht.
Die an den Fassaden der Hochhäuser platzierten Leinwände zeigen Bastilles Live-Performance von „Distorted Light Beam“. Im Grunde sehe ich also wieder nur eine sterile Bühnenperformance, auch wenn sich um mich herum etwas mehr bewegt.
Die Umgebung wirkt hingeklatscht. Bei genauem Hinsehen ist die Stadt nur eine dünne Kulisse mit vielen Copy-Paste-Elementen. Immerhin gibt es so etwas wie Publikum, das vor einer gigantischen Leinwand tanzt. Die schwarz gestrichelten Figuren sind allerdings so rar gesetzt, dass man sich bei einem echten Konzert fragen müsste, ob das Eintrittsgeld noch für die Miete der Band-Mitglieder reicht.
Ein kleines Highlight zum Abschluss
Nach zwei Songs beginnt die Piano-Version der Ballade „No Bad Days“, die Leinwand verschwindet und der Sänger wird zu einer gigantischen Erscheinung aus unzähligen kleinen Lichtern. Während des Liedes gleite ich langsam immer weiter in den Himmel.
Das ist das große Highlight von Give Me The Future, weil das Lied die durch das Erlebnis erweckte Emotion trägt. Mitten in einer lauten, kühlen und anonymen Stadt, in der ich mich einfach nur unwohl fühle, wiegen mich ruhige Töne behutsam aus dem Chaos um mich herum.
Bastilles VR-Erfahrung: 2D-Videos in einer 3D-Umgebung anschauen
Ich lande schließlich in der Wüste in einer Art virtuellem Burning Man Festival, weit abseits der hoch technologisierten düsteren Stadt. Eine kleine Party zum Ende. So richtig zum Feiern ist mir aber nicht zumute.
Bastille performen dieses Mal auf einem gigantischen Röhrenfernseher und zeigen damit das Problem dieser Konzerte – gewollt oder nicht – perfekt auf: Ich gehe in die Virtual Reality, einen Ort mit unendlichen Möglichkeiten und sehe mir dann die „Live“-Performance einer Band auf einem digitalen Flachbildschirm an. Etwas, das ich mit meinem Smartphone jederzeit und überall in der echten Welt tun kann.
VR-Konzerte, ihr verliert mich bald endgültig
Bastilles Give Me The Future VR reiht sich für mich in die lange Liste der großen VR-Konzert-Enttäuschungen ein. Nach den gut zwanzig Minuten bleibt wieder das Gefühl, dass hier so viel mehr möglich gewesen wäre, als auf eine 2D-Aufnahme einer musikalischen Darbietung zu glotzen.
Eine schlecht designte, tausendmal gesehene Zukunftsvision einer Großstadt mit Leinwänden und lahmen Hüpf-Klonen lässt VR-Konzerte 2022 einfach nur albern wirken.
Wer sich Bastilles „Give Me The Future VR“ auf der Meta Quest 2 ansehen will, kann das über App Lab tun. Schaltet die kostenlose VR-Erfahrung über den Oculus-Store frei und installiert die fast fünf Gigabyte in der VR-Brille.
Alle Informationen zur Meta Quest 2 findet ihr in im verlinkten Test.
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