Vive Cosmos Test: Ein Schritt vor, drei zurück
Im HTC Vive Cosmos Test prüfen wir, ob die Klagen über die VR-Brille berechtigt sind und wo ihre Stärken liegen.
Der Marktstart der Vive Cosmos im Oktober 2019 verlief alles andere als glücklich für HTC. Die Reviews waren ziemlich durchwachsen bis hin zu negativ. Vor allem das integrierte Tracking der VR-Brille wurde kritisiert.
Mittlerweile hat HTC durch Software-Updates nachgeholfen. Außerdem wurden weitere Varianten der Cosmos veröffentlicht. HTC möchte aus der VR-Brille eine komplette Plattform machen. Doch worauf baut die Vive Cosmos-Plattform auf? Wir haben die originale Vive Cosmos getestet und prüfen, was sich seit dem Launch getan hat und ob die VR-Brille mittlerweile konkurrenzfähig ist.
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Vive Cosmos Display: Auflösung, Farben, Bildwiederholrate
Die Vive Cosmos startet stark in den Test: Das Bild ist knackscharf und eine reine Freude - wenn man die VR-Brille richtig auf seinen Kopf eingestellt hat (dazu später mehr). Die Auflösung von 1.440 × 1.700 Pixeln pro Auge sorgt für ein glasklares und scharfes Bild, das für mich zum Besten gehört, was ich in VR gesehen habe.
Der Fliegengittereffekt ist kaum auszumachen und ich muss mich schon sehr auf helle Flächen konzentrieren, um das sonst so störende Pixelnetz zu bemerken. Allerdings machen sich an hellen Objekträndern chromatische Aberrationen deutlich bemerkbar: In mehreren Fällen leuchten eigentlich weiße Ränder in hellem Gelb. Davon abgesehen ist die Farbdarstellung satt und klar, was zu der hervorragenden Bildklarheit beiträgt.
Sogenannte God-Rays, also starke Lichtreflexionen auf den Linsen in kontrastreichen Umgebungen, kommen nicht deutlich häufiger vor als bei anderen VR-Brillen (Vergleich). Die Bildwiederholrate liegt bei 90 Hz und sorgt für eine saubere und flüssige Darstellung.
Sichtfeld, Sweetspot, Augenabstand
Das Sichtfeld liegt laut Datenblatt bei 110 Grad, also gleich den bisherigen Vive-Modellen. Allerdings kann die Brille durch die Kopfhalterung und die Aufklapp-Mechanik nicht dicht genug vor dem Gesicht getragen werden. Das volle Sichtfeld kann also nicht ausgenutzt werden. Auch können die Linsen nicht vor- oder zurückgeschoben werden, was für Brillenträger mit großen Brillengestellen ein Problem darstellt. Es bleibt insgesamt bei einem recht eingeschränkten, aber üblichen „Klorollen-Sichtfeld“.
Der Sweetspot, der Punkt des schärfsten Sehens, ist bei Cosmos eine schwierige Angelegenheit. Wenn ich es geschafft habe, die Vive Cosmos richtig zurechtzurücken (siehe dazu den Abschnitt zum Tragekomfort), dann genieße die hervorragende Bildklarheit. Doch bewege ich meine Augen nur ein kleines Stück, lässt diese Klarheit deutlich nach. Der Sweetspot ist also sehr eng.
Das zeigt sich auch bei der Einstellung des Augenabstands. Löblich: Es gibt weiterhin einen IPD-Regler, der die Feinjustierung des Augenabstands zwischen 61 und 73 mm zulässt. Auch gut gedacht: Die Schärfeanzeige bei der IPD-Einstellung bringt eine Anzeige für den richtigen Sitz des Headsets mit. Allerdings greift hier wieder der sehr enge Sweetspot: Ist die Brille nicht absolut perfekt zurechtgerückt, stellt sich Unschärfe ein, selbst bei exakter Einstellung des eigenen Augenabstands.
Vive Cosmos: Tracking und Controller
Das große Manko der Vive Cosmos und gleichzeitig der Fakt, der sich bei potentiellen Konsumenten eingebrannt hat, ist das suboptimale Inside-Out-Tracking. Doch mittlerweile gab es einige Updates. Ist das Tracking noch immer schlecht?
Zuerst das Positive: Ganze sechs Kameras sorgen für ein enormes Tracking-Volumen, sowohl vertikal als auch seitlich. Es macht sich besonders in Spielen bemerkbar, in denen ich die Controller seitlich oder weit oben bzw. weit unten benutze.
Das beeindruckt beispielsweise im Vergleich mit Oculus Quest (Test) beim Spielen von Beat Saber: Während bei der Quest immer mal wieder seitliche Tracking-Aussetzer zu Fehlschlägen führen, bleibt das Tracking der Vive Cosmos an dieser Stelle stabil.
Überhaupt war das Spielen von Beat Saber im Expert-Modus kein Problem und es ließ sich - abgesehen vom seitlichen Trackingvolumen – kein signifikanter Unterschied zur Quest ausmachen. Es gab zwar den ein oder anderen kurzen Aussetzer, den stelle ich aber auch bei der autarken Facebook-Brille fest. Wer allerdings richtig präzises Tracking bei einer Cosmos-Brille will, müsste zur Vive Cosmos Elite (Test) greifen oder upgraden,
Die Cosmos-Controller mit dem lichtbasierten Trackingring sind hier vielleicht das größte Problem der VR-Brille. Sie werden nur zuverlässig getrackt, wenn die Lichtverhältnisse perfekt sind. Mehrfach poppten Meldungen im Display auf, die Umgebung sei zu hell oder zu dunkel. Halte ich die Vive Cosmos-Controller einfach vor mich hin, bleiben sie häufig nicht an Ort und Stelle: Sie schwimmen hin und her, zittern und glitchen sogar ineinander.
Hinzu kommt, dass der Trackingring der Controller viel zu groß und der Griff unergonomisch ist. Bei Beat Saber muss ich die Griffe derart fest packen, dass es schon nach ein oder zwei Songs unangenehm wird. Außerdem habe ich dabei immer das Gefühl, die Controller rutschen jeden Augenblick nach oben aus der Hand bzw. Faust. Noch dazu drücke ich permanent ungewollt die Grip-Buttons im Controller-Griff.
Als VR-Gamer sind die Vive Cosmos-Controller für mich weitgehend unbrauchbar, zumal die beiden Batterien pro Controller nach maximal drei Stunden leer gesaugt sind. Zu diesem Kritikpunkt kommt auch noch der geringe Gesamt-Tragekomfort hinzu.
Tragekomfort, Sound und Kabel
Die Vive Cosmos setzt nicht auf eine Weiterentwicklung des Deluxe Audio Strap (Test), mit dem HTC vor einigen Jahren bereits eine hervorragende optionale Kopfhalterung auf den Markt gebracht hatte. Stattdessen besitzt sie einen sogenannten Halo-Strap, der sich an der PlayStation VR (Infos) orientiert. Die rund 650 g schwere VR-Brille liegt dabei vor allem auf der oberen Hälfte der Stirn auf, der Halo-Ring zieht die Brille dann über einen Drehknopf am Hinterkopf fest.
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Das Problem: Vive Cosmos passt nicht gut auf meinen Kopf. Bislang hatte ich mit keiner anderen VR-Brille solche Probleme, denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich sehe scharf und treffe genau den Sweetspot der Linsen. Oder die Brille sitzt bequem.
Rücke ich die Vive Cosmos so zurecht, dass sie bequem sitzt, schaue ich auf die untere Hälfte des Displays, während die obere Hälfte völlig unscharf ist. Nach oben blicken ist sinnlos, ich müsste für jede Änderung der Blickrichtung meinen Kopf bewegen, um scharf zu sehen.
Rücke ich die Cosmos statdessen so zurecht, dass ich den Display-Sweetspot perfekt treffe, sitzt der Halo-Ring bei mir auf dem oberen Hinterkopf auf. Das bedeutet, der Sitz ist nicht wirklich fest und rutscht bei bewegungsintensiven Spielen immer wieder herum. Dabei habe ich die ganze Zeit die Befürchtung, die Brille fällt mir gleich vom Kopf.
Die Stirnauflage ist zwar gut gedacht, liegt aber zu tief und drückt daher mehr gegen die Stirn, als dass sie auf der oberen Stirnhälfte aufliegt. Bei der vergleichbaren Halterung der PlayStation VR liegt der Schwerpunkt der Sony-Brille ganz oben auf der Stirn am Übergang zum Oberkopf, was den Druck von Stirn und Gesicht nimmt.
Dazu kann ich bei Sonys VR-Brille das eigentliche Headset an mein Gesicht heran schieben. Das geht bei der Vive Cosmos nicht, was zu einer zentimetergroßen Lücke zwischen Wangenknochen bzw. Nase und VR-Brille führt. Für ein durchgehend scharfes Bild bei vollem Sichtfeld und Lichtundurchlässigkeit an den unteren Rändern müsste ich Vive Cosmos mit einigem Druck per Hand durchgehend an mein Gesicht pressen.
Vielleicht liegt es an der Aufklapp-Mechanik, die ein schnelles Umschalten in die Realität ermöglichen soll, ohne dass die Vive Cosmos abgenommen werden muss. Das Problem dabei ist neben dem fehlenden Kontakt zum Gesicht zusätzlich, dass das Visier für Brillenträger ungeeignet ist: Das Brillengestell ist im Weg und verhindert das Aufklappen.
Der Sound mit den abklappbaren On-Ear-Kopfhörern - das einzige, was vom Deluxe Audio Strap übrig blieb - ist gut, aber nicht überragend. Mir fehlten hier die Tiefen. Die Ohrhörer können abgenommen werden, für eigene Kopfhörer ist eine 3,5 mm Klinke vorhanden.
Installation und Einstellung
Bei der Installation zeigt sich der Vorteil autarker Virtual Reality-Brillen im Vergleich zu PC-Systemen. Zwar ist die Einrichtung verhältnismäßig leicht, wenn man bereits Erfahrung mit PC-VR hat, aber es wird beispielsweise ein Displayport vorausgesetzt. Viele Grafikkarten haben nur einen Displayport, an dem oft ein Monitor hängt - bei mir ist das so. Umständliches Kabel umstecken ist Pflicht. Dazu kommt die Linkbox, die USB-Verbindung und natürlich das Kabel zum Headset, das allerdings einigermaßen flexibel ist.
Die Vive-Software begleitet die Installation ordentlich, sorgt aber für Bugs oder Kompatibilitätsprobleme mit Steam. In meinem Fall wurde die Ersteinrichtung der Spielfläche nicht vernünftig vorgenommen. Innerhalb von VR lässt sich das nicht über die Software erneut starten und ich musste über die Desktop-Software die Spielfläche neu einstellen. Danach funktionierte es einwandfrei.
Auch die Nutzung von Steam-Spielen machte zu Beginn Probleme. Der „Ladebildschirm“ erschien zwar, Spiele starteten aber nicht. Erst nachdem ich auf dem Desktop die Vive Software neu gestartet hatte, funktionierte es wie gewünscht. Ja, das mögen Kleinigkeiten sein, aber sie sind gerade für neue VR-Nutzer abschreckend. Der Installationsaufwand ist trotz der nicht mehr benötigten Basisstationen hoch und die Software zu wenig intuitiv.
Vive Cosmos Test-Fazit: Eine VR-Brille für niemanden
Ich werde meine gute alte HTC Vive immer in Ehren halten. Sie war meine erste VR-Brille und sie hat mir lange Zeit tolle Erlebnisse in Virtual Reality ermöglicht. Mittlerweile und spätestens nach meinem Test von Half-Life: Alyx ist sie allerdings auf dem Abstellgleis gelandet.
Die Vive Cosmos ist im direkten Vergleich zwar mit einem deutlich besseren Display versehen, verliert aber meiner Meinung nach bei Gesamt- und Nutzerkomfort gegen das alte HTC-Flaggschiff. Ich verstehe nicht, warum der Deluxe Audio Strap nicht weiterentwickelt und warum die neue Stirnhalterung nicht besser durchdacht wurde. Was bringt mir ein Aufklapp-Visier, wenn meine Brille das Aufklappen direkt verhindert? Wieso kann ich das Headset nicht bis an mein Gesicht führen, damit Lichtränder nicht stören und das Sichtfeld voll ausgenutzt wird?
Überhaupt: Warum hat HTC es nicht hinbekommen, Bildschärfe, Komfort und schnelle Bedienbarkeit so zu vereinen, dass das Aufsetzen der Cosmos-Brille nicht in eine massiv nervende Rück- und Schieb-Orgie ausartet? HTC hat meiner Meinung nach an den falschen Stellschrauben gedreht. Das Tracking ist zwar längst nicht mehr so schlecht, wie anfangs berichtet wurde, die Controller sind allerdings eine Zumutung. Da hilft auch das größere Tracking-Volumen nicht mehr.
Bei der Nutzung einer VR-Brille möchte ich mich nicht zwischen Komfort und Bildschärfe entscheiden müssen. Hier nehme ich lieber einen Kompromiss wie bei der Oculus Quest in Kauf, auch wenn sie in längeren Sessions unbequemer ist als die Vive Cosmos. Dafür sitzt sie stabil auf dem Kopf und das Bild ist durchgehend klar.
Unterm Strich bleibt bei der Vive Cosmos eine VR-Brille mit mittlerweile ordentlichem Tracking, hervorragendem Display und vielen kleinen Unzulänglichkeiten, die die Nutzung der Vive Cosmos zu einer Überwindung machen. In Verbindung mit dem überaus gesalzenen Preis von rund 800 Euro überzeugt mich Vive Cosmos nicht.
Die Vive Cosmos ist für euch geeignet, wenn ...
- ihr ein scharfes Bild wollt,
- euch eine gut verarbeitete VR-Brille wichtig ist,
- ihr Wert auf großes Tracking-Volumen legt,
- externes Tracking mit Basisstationen nichts für euch ist und
- euch der hohe Preis egal ist.
Die Vive Cosmos ist nicht für euch geeignet, wenn ...
- ihr jederzeit zuverlässiges und stabiles Tracking wünscht,
- ihr nicht ständig die Beleuchtung eurer Umgebung anpassen wollt,
- ergonomische Controller für euch wichtig sind,
- ihr eine perfekt sitzende VR-Brille erwartet, die nicht dauernd nachjustiert werden muss und
- leichte, intuitive Bedienung für euch zum Standard gehört.
Die HTC Vive Cosmos bekommt ihr hier
Letzte Aktualisierung am 2024-11-23 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API / Preis inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten
Datenblatt: HTC Vive Cosmos
DIMENSIONEN | ähnlich Oculus Rift S |
Gewicht: 651 Gramm | |
DISPLAY | Zwei VR-optimierte LC-Displays |
Größe: 3,4 Zoll | |
1.440 mal 1.700 Pixel pro Auge | |
Subpixel: volle RGB-Matrix | |
Low Persistence | |
Bildwiederholrate: 90 Hz | |
OPTIK | Linsentyp: Fresnel |
Fokusdistanz: unbekannt | |
Sichtfeld: 110 Grad | |
Augenabstand einstellbar (IPD) | |
Fokusrad | |
AUDIO | Integrierte On-Ear-Kopfhörer |
3,5 mm Klinke für Kopfhörer | |
Mikrofon | |
TRACKING | VR-Brille: 6-DoF (räumlich, Trackingkameras in die Brille integriert) |
Controller: 6-DoF (räumlich, werden durch Brille erfasst) | |
FEATURES | Gyroscope, Accelerometer, Magnetometer, sechs Kameras (frontal, seitlich, oben, unten) |
2x Cosmos Controller | |
Austauschbare Frontblende bspw. für SteamVR-Tracking (siehe Vive Cosmos Plattform) | |
VERBINDUNG | USB-C 3.0, DP 1.2, proprietäre Verbindung zu Mods |
Kabellänge unbekannt, Vive-Drahtlos-VR kompatibel | |
VERFÜGBARKEIT | 3. Oktober 2019 |
PREIS | 799 Euro |
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