Virtual Reality trifft auf Immanuel Kant: Ein philosophischer Ausflug in die Vergangenheit

Virtual Reality trifft auf Immanuel Kant: Ein philosophischer Ausflug in die Vergangenheit

Immanuel Kants Königsberg in Virtual Reality: Große Ambitionen, aber die Umsetzung lässt zu wünschen übrig.

Virtual Reality und Philosophie? Kann das zusammenpassen? Am 17. April eröffnet in Lüneburg ein Museum zum vielleicht bekanntesten deutschen Philosophen: Immanuel Kant. Mehrere VR-Erfahrungen gehören zur Ausstellung. Ich habe sie mir vorab angesehen. Die Idee ist schön – die Umsetzung hätte aber besser ausfallen können.

Immersive Kant-Ausstellung: Virtuelle Reise ins 18. Jahrhundert

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) ist ein Schwergewicht der Philosophiegeschichte. Wer (wie ich) Philosophie studiert hat, kommt an ihm nicht vorbei. Aber seine Texte sind auch nicht gerade einfach. Eine Museumsausstellung über ihn so zu machen, dass sie der Person und dem Werk gerecht werden, ist also keine leichte Aufgabe. Anlässlich des 300. Geburtstages des wichtigsten Philosophen der Aufklärung und Erfinders des „Kategorischen Imperativs“ versucht sich ein Museum in Lüneburg daran – inklusive Virtual Reality.

Zur Ausstellung gehören unter anderem sieben Stationen, an denen Besucher:innen eine VR-Brille aufsetzen können, um der Stadt Königsberg zur Zeit Kants einen virtuellen Besuch abzustatten. Kant hat sein ganzes Leben in dieser Stadt in Ostpreußen verbracht und sie kaum je verlassen. Daher ergibt es Sinn, Kant-Interessierten nicht nur dessen Texte nahezubringen, eine Haar-Locke in einer Vitrine zu zeigen oder ein Glas, aus dem er getrunken hat. Sondern eben auch ein 3D-Modell der Stadt, in der er Philosophie gelehrt und seine berühmten Spaziergänge gemacht hat.

Kant trifft auf Virtual Reality

Schon jetzt kann ich mir diese VR-Erfahrungen in der Bonner Kunsthalle ansehen. Dort ist unabhängig vom Lüneburger Museum noch bis zum 17. März 2024 die Ausstellung „Immanuel Kant und die offenen Fragen“ geöffnet. Neben Texten und Ausstellungsstücken wie besagter Locke oder den Schuhen des Denkers finde ich dort auch die Erstausgabe der „Kritik der reinen Vernunft“ und die bereits angesprochenen VR-Erlebnisse.

Blick auf das Königsberger Schloss in der 3D-Rekonstruktion. | Bild: men@work Media Services S.R.L.

Die ostpreußische Universitätsstadt Königsberg wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. Ein Team von 3D-Grafiker:innen rekonstruierte die Stadt digital so, wie sie zur Zeit Kants im 18. Jahrhunderts ausgesehen hat. Sie nahmen dafür Kartenmaterial, Chroniken, Stadt- und Naturbeschreibungen als Basis und hatten fachliche Beratung von Historiker:innen, teilt das Museum mit. „Die Rekonstruktion Königsbergs ist eines der ambitioniertesten VR-Projekte weltweit“, heißt es sogar in der Pressemitteilung. Verantwortlich für das Projekt ist „men@work Media Services S.R.L.“ in Bukarest.  Die Erfahrungen entstanden unter Leitung des Dokumentarfilmers Martin Papirowski, der unter anderem mehrere Terra-X-Filme produzierte.

Umfangreiche, aber inkonsequente VR-Rekonstruktion von Königsberg

Die Zahlen sind stattlich: Die Rekonstruktion umfasst 5.378 Häuser, 557 städtische/kommunale Gebäude, 3.369 Neben- oder Stallgebäude, 444 industrielle- und Hafengebäude sowie 2.205 Gärten und 680 Parks. Das 3D-Modell der Stadt sieht auch wirklich gut aus. Leider lassen die VR-Erlebnisse aber vor allem inhaltlich zu wünschen übrig.

Ich schwebe in diesen VR-Erfahrungen meistens über der Stadt. Ein Sprecher erklärt dabei jeweils etwas zur Stadt Königsberg oder zu einem Thema aus Kants Philosophie. Etwa: Was bedeuteten für Kant Raum und Zeit? Wie ging er mit den Erkenntnissen Isaac Newtons zur Gravitation um? Dabei fühlte ich mich öfter überfordert. Vielleicht ist die Philosophie Kants auch einfach zu kompliziert für kurze Audio-Schnipsel? Ich konnte mich kaum darauf konzentrieren, auch weil ich zu sehr mit der Hardware kämpfen musste. Dazu gleich mehr.

Ich hätte mir aber auch mehr Interaktionsmöglichkeiten gewünscht. Ein Besuch in den Straßen der Stadt vielleicht oder Erklär-Tafeln, die ich selbst öffnen und schließen kann. Die wichtigsten Orte Königsbergs werden mir bedauerlicherweise auch nicht präsentiert: Wo lebte Kant? Wo arbeitete er? Wo führte sein berühmter Spazierweg entlang? Vielleicht hätte man auch ein Treffen mit Kant persönlich (in Form eines Avatars) inszenieren können? Allerdings ist dafür der Aufwand vielleicht (noch) zu hoch.

Manchmal lande ich in einem alten Gemälde, das aus jener Zeit stammt oder sonst thematisch zum Inhalt passt. Aber auch diese VR-Repräsentationen wirken eher wie lieblos aus einzelnen Puzzleteilen zusammengestückelt. Das hat man woanders schon besser gesehen, etwa in Art Plunge oder Mona Lisa: Beyond The Glass.

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Eine VR-Installation, die unter der Hardware leidet

Verwendet wurde eine HTC Vive Pro 2. Die wuchtige Brille und die großen Kopfhörer engen stark ein, es wird nach kurzer Zeit recht warm an meinem Kopf. An jeder Station muss ich den „VR-Helm“ neu justieren – das nervt schon ziemlich. Das ganze Bild wirkt zudem unruhig und wackelig, sobald ich den Kopf bewege. Die heftigen Glare-Effekte der Fresnel-Linsen sind extrem störend und wirklich scharf ist das Bild nur in der Mitte.

An fast allen VR-Stationen nervt das viel zu kurz geratene Kabel. Entspanntes Abtauchen in die VR-Welten war für mich innerhalb der eingezäunten Stationen kaum möglich. Warum muss man als Besucher:in von Museums-VR-Welten eigentlich immer stehen?

Eine der sieben VR-Stationen der Kant-Ausstellung in Bonn. | Bild: men@work Media Services S.R.L.

Manchmal bewegte ich mich innerhalb der VR-Erfahrungen automatisch langsam über die Stadt. Empfindliche Menschen könnten hier mit Motion Sickness zu tun bekommen – mir selbst hat das ebenfalls nicht zugesagt, obwohl ich an VR gewöhnt bin.

Hinzu kommt, dass die einzelnen Kapitel manchmal plötzlich mittendrin abbrechen. An manchen Stationen fehlt der Ton oder ich weiß einfach nicht so recht, worum es eigentlich gerade geht. Die VR-Stationen sind zudem unbetreut, was die von mir wahrgenommene geringe Nutzung der VR-Brillen während meiner Zeit dort erklären könnte.

Fazit zum VR-Besuch im Königsberg der Kant-Zeit

Schade, denn die Kombination aus Virtual Reality und Philosophie hat mit Sicherheit mehr zu bieten. Mehr über diese spezielle Verbindung erfahrt ihr auf dem Youtube-Kanal „ AltVR“, in dem ein norwegischer Philosoph Fragen rund um Virtual Reality, Bewusstsein, Wissenschaft und Philosophie behandelt.

Man weiß, dass er Königsberg kaum verlassen, sich aber über Bücher, Bilder und Berichte umfassend über der Welt informiert hat. Ich könnte mir daher vorstellen, dass Kant selbst Freude an VR gehabt hätte. Der Philosoph Tengyue Peng sagt dazu: „Immanuel Kant hat gezeigt, dass die inneren Fähigkeiten die Bedingungen für die Konstituierung der Subjekt-Objekt-Beziehung sind, und so liefert Kants Theorie das Grundprinzip der interaktiven Struktur, er hat das Verständnis der virtuellen Realität stark gefördert.“

Ganz abseits von philosophischen Betrachtungen hatte dieser VR-Installation eine moderne und simpel zu bedienende VR-Brille gutgetan. Etwas mehr Interaktivität und ein stärkerer inhaltlicher Fokus auf Leben und Wirken des großen deutschen Denkers würde die Person Kants den Besuchenden auch virtuell noch einmal näher bringen.

Hier könnt ihr die Kant-Ausstellung besuchen