Townsmen VR im Test: Ein grandioses Plädoyer für Virtual Reality
Townsmen VR ist die erste richtige Aufbau-Simulation in VR. Hier treffen die Siedler auf Black & White – par excellence.
In meinem Test zu Moss: Book II habe ich erst kürzlich über Gaming-Momente gesprochen. Das sind jene Momente, in denen Spiele-Enthusiasten nachhaltig das Herz aufgeht, in denen man etwas Neues, Überragendes kennen und lieben lernt und nicht so schnell wieder vergisst.
Townsmen VR ist jetzt schon der zweite „Gaming-Moment“ in diesem Jahr für mich. Das Aufbauspiel hat mich nicht nur überrascht – es hat mich umgehauen und mich mittlerweile mehr als 25 Stunden unter die Quest 2 (mit Link) gefesselt.
Warum ist es so gut?
Inhalt
Townsmen VR Review in aller Kürze
An diesem VR-Spiel haben Menschen mit ganz viel Herzblut und Leidenschaft gearbeitet. Die Inseln, auf denen ich Dörfer baue, sind wunderschön und bieten selbst nach mehreren Stunden Spielzeit immer wieder fantastische Panoramen. Die kleinen Siedler gehen fleißig ihren Aufgaben nach – alles ist fein und liebevoll animiert, eine Augenweide! Kleine Dörfler tragen Material von einem Ort zum anderen, klopfen an Baugerüsten oder Erzadern herum, schmelzen Eisen und Gold, rühren im Kochtopf, schießen Hasen und Rehe, züchten Vieh und verprügeln Eindringlinge.
Das Siedler-Diorama erwacht in VR zu echtem virtuellem Leben und lässt mich Zeit und Umgebung vergessen. Die Bedienung ist intuitiv und durchdacht, es gibt viele Gebäude und Berufe und die Kampagnenkarten sind eine abwechslungsreicher und spannender als die andere. Auch die Begleit-Geschichte der 15 Level umfassenden Kampagne ist hervorragend und humorvoll erzählt.
Townsmen VR ist ein Meilenstein für Virtual Reality und setzt die Messlatte für kommende Aufbauspiele ganz hoch an. Für Simulationsfans ist es ein Pflichttitel und ich lege es auch jedem anderen VR-Fan wärmstens ans Herz.
Primär getestet: Quest 2 + Oculus Link
Townsmen VR ist für mich geeignet, wenn …
- ich weiß, was gut für mich ist.
Townsmen VR ist für mich nur dann nicht geeignet, wenn …
- … ich Aufbauspiele hasse und auch sonst keine Freude am Leben finde.
Siedler trifft Black & White: Ich bin ein Gott!
Das Schiff liegt tief im Wasser, hat etwas Schlagseite. Der Mast ist gebrochen, an Weiterfahrt nicht zu denken. Doch da tauche ich auf: Wie ein junger Gott schwebe ich über Schiff und Mannschaft, hebe die Panzerhandschuhbewehrte Hand und … klaube fix ein wenig herumtreibendes Holz aus dem Wasser, um es an Bord zu schmeißen. Ein paar Hammerschläge später steht der Mast wieder und die vom Sturm gebeutelte Nussschale nimmt Fahrt auf.
So startet meine Karriere als himmlischer Aufpasser in einer mittelalterlichen Inselwelt über einen Haufen englischer Siedler unter ihrem Anführer Sir Clunkalot. Der und diverse andere Charaktere sagen mir, was zu tun ist, kaum dass der Kahn an die erste Insel andockt.
Intuitive Bedienung: Wirf mich!
Mit der Triggertaste greife ich nach Material – vom Holzstamm über Steinquader bis zum rohen Ei – oder Mensch und Tier. So kann ich etwa längere Laufstrecken verkürzen oder Siedler:innen einfach die benötigte Ressource in die leeren Hände legen. Wahlweise kann ich Gebäude auch direkt mit den nötigen Zutaten „füttern“ – die Siedler müssen es dann nur noch zusammenklöppeln. Übrigens kann ich die kleinen Bürger auch werfen, was für Eilige mit etwas Übung und Präzision viel Effizienz ins Spiel bringt.
Über den Analogstick rufe ich Menüs auf: Hauptmenü mit Speicherfunktion, Bevölkerungsübersichten, Bau-Menüs. Ich beginne mit einem Brunnen, den ich aus dem passenden Bau-Menü ziehe und auf einem der beiden Wasserlöcher platziere. Schon marschieren die kleinen Siedler los. Das will ich mir aus der Nähe ansehen: Ich halte die Grip-Taste eines VR-Controllers gedrückt und ziehe die Insel einfach näher an mich heran, drehe sie noch ein wenig für den perfekten Blickwinkel. Halte ich beide Grip-Tasten gedrückt und führe die Hände zusammen oder auseinander, skaliert die Welt auf Miniatur-Welt oder wird deutlich größer.
Das lässt sich intuitiv anwenden. In der Miniaturansicht bin ich jetzt ganz nah dran und sehe die Details beim Brunnenbau, die Siedlerin, die den Holzbalken schleppt, den Kollegen, der das Gerüst mit einem Hammer bearbeitet, bis ein hübscher Brunnen dasteht. Jetzt haben die Leute Durst und ziehen sich erstmal ein paar Schluck Wasser.
Verteile und herrsche ... und arbeite gefälligst mit, du fauler Gott!
Nun gilt es, die Arbeit gut zu verteilen: Ich setzte eine Holzfällerhütte, packe einen Siedler und ziehe ihn auf die Hütte. So werden die Jobs verteilt und so kann ich sie auch schnell wieder umverteilen. Die Hütte steht etwas weiter weg von der Ressourcenkiste, die Siedelnden müssen ganz schön laufen. Kurzerhand nehme ich die Holzstämme selbst und lade sei ins Gerüst ein. Dann packe ich einen Arbeiter und setze ihn direkt an der Holzfällerhütte ab: Zeit gespart, die Hütte steht. Automatisch wird der Arbeiter zum Holzfäller und geht Bäume umlegen.
Ich muss nicht alles selbst rausfinden, wenn ich nicht gerade direkt mit einer Sandbox-Runde losgelegt habe: Stück für Stück wird mir in der mindestens 15-20stündigen Kampagne – je nach eigener Spielgeschwindigkeit auch deutlich länger – von hervorragenden und verständlichen englischen Sprechern alles erklärt. Deutsche Untertitel gibt es auch.
Forschen, ausbauen und verteidigen
Die Aufgaben werden von Karte zu Karte komplexer. War erst noch die Taverne mit Kochstelle das große Ziel, ist es bald schon die Eisenschmiede, damit ich Bogenschützen und Schwertkämpfer bauen kann. Es gibt nämlich Piraten und Edgar, den großen Konkurrenten unseres geliebten Königs Richard von England. Die können ätzend sein, deshalb ist eine gute Verteidigung wichtig.
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Doch die Ausrüstung fürs große Hauen und Stechen muss erst noch gebaut werden. Dafür braucht es Brot, Kühe, Schafe und Waffen sowie Belagerungsgeräte. Die einzelnen Gebäude kann ich als Gerüste auf freie Flächen stellen und in die gewünschte Richtung drehen. Leider muss der Untergrund zwingend flach sein, an Hängen darf nicht gebaut werden. Macht nichts, es ist meistens genug Platz da.
Sind die Häuser fertig, darf ich Erweiterungen bauen, etwa das Schlachthaus für die Jagdhütte, damit die Jägerin auch Kühe fachkundig in Fleisch und Leder umwandeln kann. Oder ich baue einen Kräutergarten für die Kirche, um verletzte Einheiten mit Kräutern zu heilen.
In der Bibliothek – ebenfalls ein Kirchenanbau – betreiben ein paar Geistliche Forschung. Will ich etwa die dritte Stufe meiner Wohnhäuser bauen, müssen die Siedelnden lernen, wie das überhaupt geht. Die Nonne liest zu diesem Zweck einen Haufen Bücher, was ebenso wie die hunderten anderen Detail-Animationen einfach herrlich anzuschauen ist.
Es gibt immer was zu tun - und wenn es zuschauen ist
Überhaupt ist der Detailgrad fantastisch. Feines Gras wächst auf scharfen Bodentexturen, die Bäume schaukeln, wenn ich mit der Hand durch die Baumkronen fahre … oh, sorry! – da hab‘ ich leider den Holzfäller erwischt, der kurz benommen daliegt und sich daraufhin aufrappelt, mich mit zum Himmel gereckten Fäusten scharf kritisiert und dann weiter seinem Tagewerk nachgeht.
Ich könnte stundenlang schwärmen. Von den Schafen, den idyllischen Teichen mit Fischen, dem Falken, der irgendwann einfach auf meiner Hand landet, den Wolken, die ich mit einer Handbewegung aus meinem Sichtfeld scheuche und der Möwe, die dem Jäger die ganze Fleischkeule klaut.
Ihr wollt Kritik? Okay, bitte sehr.
Als alter Aufbaustratege finde ich natürlich Verbesserungspotenzial, das ich in dieser Ode an Townsmen VR nicht verschweigen will. Hier und da gibt es ein paar kleine Bugs, mal ein Sound-Loop, mal eine Animationsschleife. Die Truppensteuerung ist sehr einfach gehalten und Bogenschützen ballern gern ihren eigenen Kumpels in den Rücken. Siedelnde kapieren bedauerlicherweise erst am Ende ihres Weges, dass ihr Gott – Das bin ich! – bereits das Material am Arbeitsplatz aufgefüllt hat. Außerdem gibt es im freien Spiel „nur“ die Kampagnenkarten: Ich hätte so gern weitere, neue Inseln erforscht.
Letzteres ist eigentlich eher ein Kompliment an die Weltenbauer:innen bei Handygames.
Townsmen VR habe ich mit der Meta Quest 2 gespielt. Es funktioniert sowohl über das Meta Link-Kabel als auch Air Link ganz hervorragend. Bei letzterem ist allerdings der Akku deutlich schneller leer. Ich empfehle daher das Kabel, das überhaupt nicht auffällt, da ihr euch nicht drehen müsst, sondern alles mit den Händen steuern könnt.
Townsmen VR Test-Fazit: Ein Spiel für die Hall of Fame
Ich feiere Townsmen VR sogar noch mehr als ich Cities: Skylines zu Release gefeiert habe. Es hat mir als Aufbauspiel-Fan die Augen geöffnet: Denn Aufbauspiele am PC sind zwar nett – aber sie sind nicht lebendig. Sie sind immer noch nur auf einem 2D-Monitor. Sie sind platt und distanziert.
Wer als Aufbauspiel-Fan Townsmen VR spielt, will nicht mehr zum Monitor zurück – zumindest geht es mir so und ich kann mir schwer vorstellen, dass es euch anders ergeht. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, denn ich bin mittendrin, nicht nur davor. Ich sehe einen ganzen Mikrokosmos aus virtuellem Leben um mich herumwuseln. Natürlich hat die handwerkliche Finesse des Studios daran einen entscheidenden Anteil: Townsmen VR ist nichts weniger als ein spielbares Kunstwerk und ich danke dem Studio von ganzem Herzen, dass es dieses VR-Spiel in dieser herausragenden Qualität produziert hat.
Ich spielte Townsmen VR recht gemächlich und ließ die Siedlerinnen und Siedler oft über große Inseln laufen, ohne ständig einzugreifen. Nicht, weil ich nicht wollte – ich habe es einfach genossen, zuzuschauen und mich zu entspannen. Die Musik, der Blick auf eine idyllische, friedliche Insel, auf der rege Geschäftigkeit herrscht – einfach großartig. Vergesst Meditations-Apps für VR. Wenn ihr abschalten wollt, dann bringt euch Townsmen VR besser runter als jeder Yogi.
Klar, es gibt einiges, was noch verbessert werden könnte. Hier und da dauert es etwas zu lange, bis Arbeiter:innen ihre nächste Aufgabe angehen und ich muss aktiv nachhelfen, damit mal was losgeht. Manchmal sind auch die Einzugsbereiche für neue Jobs zu groß: Ich wollte nur mal kurz jemanden an der Feuerstelle absetzen, zack! ... da ist er schon Fischer, weil halt der Tümpel in der Nähe ist.
Das ist aber schon ziemliches Jammern auf hohem Niveau. Für mich gibt es nämlich keinen Zweifel: Townsmen VR ist ein Spiel für die Hall of Fame und für mich ein heißer Kandidat auf das VR-Spiel des Jahres. Ich kann absolut jedem empfehlen, dieses VR-Spiel zu kaufen, es ganz in Ruhe zu spielen und es anderen zu zeigen – denn es ist ein grandioses Plädoyer für Virtual Reality.
Townsmen VR könnt ihr hier kaufen:
Stores | Unterstützte Geräte | Preis |
---|---|---|
Rift Store | Rift (S), Quest (2) mit Air/Link | 39,99 Euro |
Steam | PC-VR-Brillen, Quest (2) mit Air/Link | 39,99 Euro |
Alle Informationen zur Meta Quest 2 findet ihr in im verlinkten Test.
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