Ausprobiert: Wie gut ist Segas Virtual-Reality-Arcade in Tokio?
In Tokios Elektrostadt Akihabara startete Sega Mitte Juni eine neue VR-Erfahrung, die dank Rucksack-PC und freier Bewegung im Raum die maximale Immersion verspricht. Ich habe mir die VR-Brille aufgesetzt und entdeckte neben dem abgeleierten Spielszenario jede Menge Potenzial.
Nachdem ich mich in Segas Tokioter Flaggschiff-Arcade fünf Stockwerke durch reihenweise altertümliche Baller-, Prügel- und Greifarmautomaten sowie ohrenbetäubenden Lärm gekämpft habe, finde ich auf der sechsten Etage in der hintersten Ecke den VR-Bereich. Der wirkt so unscheinbar, dass ich ihn wohl kaum entdeckt hätte, wäre der Weg nach oben nicht mit Werbeplakaten gepflastert.
Der Anblick löst nicht auf Anhieb Begeisterung aus: Vier Männer stehen auf einer Fläche von rund 30 Quadratmeter und schießen mit Plastikpistolen Löcher in die Luft. Doch der erfahrene VR-Enthusiast weiß: was zählt, ist in der VR-Brille. Also investiere ich die 1.500 Yen (rund 12 Euro) für zehn Minuten VR-Spaß ohne Leine.
___STEADY_PAYWALL___クラブセガ秋葉原新館「SEGA VR AREA AKIHABARA」のMortal Blitzプレイの様子です。音量注意。周りから見ると超シュールだけど、遊んでる側は楽しぃんだなぁ。 pic.twitter.com/Ko4zsFieAo
— あおぞらVR (@aozoravr) 29. Mai 2017
Stumpfsinniges Geballer
Segas VR-Erfahrung heißt "Mortal Blitz" und basiert auf dem gleichnamigen VR-Ballerspiel für Playstation VR, bei dem man sich auf einer verlassenen Raumstation gegen allerlei Ungeheuer wehren muss.
Um es gleich vorwegzunehmen: Das Spielszenario ist maximal einfallslos. Während ich mit meinem Plastikgewehr in die Dunkelheit ballere, frage ich mich, welcher Kreativdirektor morgens aufwacht und spontan beschließt, dass die Welt einen weiteren Sci-Fi-Shooter mit Zombie-Monstern braucht. Wahrscheinlich lautet die Antwort: Keiner. Dafür gibt es ja Vorgesetzte.
VR-Entwickler hätten gerade bei solchen aufwendigen Arcade-Installationen die einmalige Möglichkeit, fantasievolle, inspirierende, völlig frei begeh- und erfahrbare Welten zu erschaffen, die sogar verändern könnten, wie Menschen denken und fühlen.
Viel zu oft verlassen sie sich stattdessen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Gaming-Zielgruppe: Knarren und Monster. Die Branche – damit sind Produzenten und Verbraucher gemeint – könnte ruhig etwas mutiger sein.
Interessanter Hardware-Mix
Spannender als der Inhalt ist daher die Technologie, die Sega für die VR-Erfahrung nutzt. Das Tracking übernehmen circa 20 3D-Sensoren des auf Motion-Capturing spezialisierten Unternehmens Optitrack.
Die Kameras sind rund um die Spielfläche aufgereiht und erfassen bis zu vier Spieler gleichzeitig von schräg oben. Die tauchen nicht in dieselbe virtuelle Welt ein, sondern erleben jeweils ihr eigenes Abenteuer. Das Tracking arbeitete bei meiner Demo störungsfrei, abgesehen von wenigen Rucklern, die wohl eher auf die schlechte Performance des Spiels zurückzuführen waren. Ansonsten wurden meine Bewegungen flüssig und ohne spürbare Verzögerung in die Virtual Reality übertragen,
Die VR-Brille stammt vom chinesischen Hersteller Pimax und löst mit 4K auf. Die Bildqualität ist gut, nur das Sichtfeld etwas eng. Angeschlossen wird die Brille an einen Rucksack-PC von MSI, der so leicht ist, dass ich ihn während der VR-Erfahrung komplett vergesse.
Neben der VR-Brille gibt es noch zwei Handschlaufen und das zuvor beschriebene Plastikgewehr. In der Virtual Reality sehe ich ein ähnlich modelliertes virtuelles Gegenstück zum realen Objekt, sodass ich das Gefühl habe, tatsächlich eine Waffe in den Händen zu halten.
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Sowohl VR-Brille, Handschuhe als auch das Gewehr sind mit optischen Markern versehen – das sind die auffälligen Kugeln an den Geräten – die von den Optitrack-Sensoren erfasst werden.
Einzelne Fingerbewegungen werden vom System nicht berücksichtigt, stattdessen werden die virtuellen Hände in der VR-Brille als vorberechnetes und statisches 3D-Modell angezeigt. Für die einfache Interaktion bei Mortal Blitz – Abzug ziehen und Knöpfchen drücken – reicht das völlig aus.
Die freie Bewegung ist das Highlight, nicht das Spiel
Schaut man sich das VR-Treiben von außen an, wirkt es recht statisch. Die bis zu vier Spieler auf der Spielfläche traben gemächlich von einer Station zur nächsten, wo sie für einen kurzen Moment verweilen, sich ein wenig drehen und die Waffe abfeuern. Besonders verwegene VR-Soldaten gehen mal in die Knie oder ducken sich, aber das ist eher die Ausnahme.
In der VR-Brille fühlt sich das Erlebnis allerdings ganz anders an, als es von außen wirkt. Direkt nach dem Start der VR-Erfahrung vergesse ich, dass ich eigentlich nur auf einem blauen Teppich in einer karg eingerichteten Spielhalle stehe und wähne mich tatsächlich an Bord einer monsterverseuchten Raumstation. Zu diesem Zeitpunkt habe ich die Orientierung im realen Raum schon völlig verloren.
Pfeile am virtuellen Boden zeigen mir an, in welche Richtung und wie weit ich laufen darf. Das schränkt zwar etwas ein, hilft aber gleichzeitig bei der Orientierung. So ganz sicher bin ich mir nämlich nicht, dass ich in der Realität nicht doch vor eine Mauer oder in einen anderen Spieler renne. Die Laufwege sind so konzipiert, dass die Spieler der Reihe nach im Uhrzeigersinn alle vier Ecken der Spielfläche besuchen. Virtuelle Vehikel wie ein Fahrstuhl oder ein Förderband sorgen dafür, dass etwas mehr Dynamik und Distanz in die Fortbewegung kommt, die ansonsten eher gemächlich und schleichend stattfindet.
Die von einer fixen Position losgelöste und von Kabeln befreite Fortbewegung in einer komplett virtuellen Umgebung ist das eigentliche Highlight der Virtual-Reality-Erfahrung. Sie begeistert mich viel mehr als das Spiel selbst, das nur eine tausendfach gesehene Aneinanderreihung von Ballerarenen mit Schießbuden-Charme ist.
Wer regelmäßig Highend-Brillen für PC und Konsole nutzt, muss sich erst mal einige Minuten an die neue Bewegungsfreiheit gewöhnen. Ständig meine ich, dass ich beim nächsten Schritt das HDMI-Kabel aus dem Rechner reiße. Dass ich nicht mehr auf einen kleinen Raum begrenzt und an ein Kabel gebunden bin, macht für meine VR-Erfahrung einen gewaltigen Unterschied.
Ein Balanceakt als immersives Highlight
Den immersiven Höhepunkt bietet Mortal Blitz ganz am Ende der Erfahrung. Nachdem ich erfolgreich aus der in Flammen aufgehenden Raumstation geflüchtet bin, muss ich auf einer schmalen Planke zum Rettungsschiff hinüberbalancieren. Was ich nicht weiß: Dort, wo sich die virtuelle Planke befindet, liegt an gleicher Stelle ein reales Brett.
Als ich den Schritt über den virtuellen Abgrund wage und dabei tatsächlich eine schmale Planke unter meinen Füßen spüre, überschreibt mein Instinkt meinen Verstand. Für einen kurzen Moment bin ich felsenfest davon überzeugt, dass ich über einen Abgrund balanciere. Der Effekt ist so überraschend und stark, dass ich das Gleichgewicht verliere und stolpere.
Dieser Moment und die freie Bewegung zeigen mir, wie mächtig das Konzept von Mapped-Reality-Spielhallen wie „The Void“ ist, die die virtuelle und die reale Welt und Realität übereinanderlegen.
Segas Mortal Blitz ist zwar nur ein Vorgeschmack auf das weitaus komplexere Void-Vorbild. Aber das Erlebnis überzeugt mich davon, dass ein ernstzunehmender Markt für solche ultraimmersiven Highend-VR-Erfahrungen außerhalb der eigenen vier Wände existiert. Und das sicher nicht nur fürs Entertainment.
Einen weiteren Bericht zur Arcade gibt es hier zu sehen, allerdings nur in japanischer Sprache.
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