Air Race X: AR-Show demonstriert spannende Zukunft von Sportevents
Die 2019 eingestellte Motorsport-Flugrennen Red Bull Air Race erlebt ein Revival – mit Augmented Reality via Styly. Ich habe mir die Show in Japan angesehen.
Das Red Bull Air Race war eine Serie von Luftrennen, in der Piloten einmotorige Propellermaschinen mit Geschwindigkeiten von bis zu 370 km/h durch einen mit 25 Meter hohen, aufgeblasenen Pylonen markierten Kurs lenkten. Dieser Sport erforderte von den weltweit besten Piloten Konzentration, extreme Präzision und bei Beschleunigungskräften von bis zu 12G auch erhebliche körperliche Fitness.
Im Mai 2019 brach Sponsor und Veranstalter Red Bull die Rennserie aufgrund mangelnden Publikumsinteresses und hoher Kosten ab. Allein die Logistik, um jedes Mal bis zu 14 Piloten samt Flugzeug und Zubehör an die Veranstaltungsorte zu bringen, beinhaltete enormen Aufwand.
Drei Piloten, Matt Hall (Australien), Yoshi Muroya (Japan) und Pete Mcleod (Kanada) wollten die Rennserie jedoch nicht einfach beerdigen. Sie suchten nach Wegen, um Air Race mit weniger Aufwand und vor allem durch entfallende Monster-Logistik deutlich weniger umweltbelastend wiederzubeleben.
Das Ergebnis ist Air Race X mit dem Finale am 15. Oktober in Shibuya, Tokio. Wie funktioniert das genau – und wer gewann das erste Rennen? Ich war in Japan vor Ort und habe mir das digitale Finale angesehen.
Inhalt
Das ist Air Race X
Bei Air Race X reisen die Piloten nicht mit Flugzeug und Rennstall um die Welt. Sie fliegen stattdessen in ihrer jeweiligen Heimatbasis. Lokalmatador Yoshi Muroya trainiert und fliegt etwa im Fukushima Air Park. Die Qualifikationsrunden und das Finale fliegen die Piloten ebenfalls an ihren Heimatflughäfen. Der Kurs, der für jeden Piloten exakt gleich ist, ist digital angelegt: Die Piloten sehen die Pylonen nur anhand von Positionsdaten.
Für den Wettkampf ist die Sensortechnologie entscheidend. Präzise Flugdatenmesstechnik erfasst in Tausendstel Sekunden sämtliche Daten, etwa Flugbahn, Höhe, Geschwindigkeit, G-Kräfte und Luftdruck. Diese Daten werden dann an die Wettbewerbszentrale geschickt und dort verarbeitet.
Dazu gehören auch Wetter- und Umgebungsdaten, die bei allen Piloten jeweils unterschiedlich sind. Über komplizierte Berechnungen werden Zeit-Boni oder -Strafen zu den Flugzeiten hinzugefügt, um Vorteile einzelner Piloten aufgrund wetterbedingter Umstände auszugleichen.
Über sechs Tage fliegen die Piloten ihre Qualifikations- und Ausscheidungsrunden, bis nur noch vier Teams übrig sind. Das Finale bestritten in diesem Jahr Matt Hall (Australien), Yoshi Muroya (Japan), Juan Velarde (Spanien) und Martin Sonka (Tschechien).
Die Besonderheit: Flugrennen in AR nachverfolgen
Besonderer Clou der Rennen und ein weiterer Grund für die präzise Datenauswertung: Die Flugshow kann über die XR-Plattform Styly des japanischen Metaverse-Studios Psychic VR Labs als Augmented-Reality-Version verfolgt werden.
Aber nicht einfach irgendwo, sondern mitten in Tokio, zwischen Wolkenkratzern und direkt über der berühmten Kreuzung Shibuya Crossing. Die App ermöglicht unter anderem Inhalte, die über räumliche Verankerung (Spatial Anchors) an physische Orte gebunden sind.
An mehreren Veranstaltungsorten in Tokio kommen an diesem Sonntag eine erstaunliche Menge Menschen zusammen, um sich das aus den Einzelrennen und den verfügbaren Daten zusammengestellte und aufgezeichnete Rennen anzusehen. Ich nehme mit weiteren Journalisten im 15. Stock des Büro-Wolkenkratzers Shibuya QWS am Final-Event teil. Der Raum ist prallvoll, japanische Presse und Fernsehen begleiten die Veranstaltung und VIPs verfolgen mit Pico-4-Enterprise-Brillen durch das Passthrough der VR-Brille das Rennen an den großen Fenstern.
Alle anderen schauen durch Smartphone und Tablet dem AR-Rennen zu, während Sportkommentator:innen die jeweiligen Aktionen der Piloten professionell kommentieren. Die digitalen Flugzeuge donnern über meinen Kopf hinweg, der Sound der Maschinen dröhnt perfekt abgestimmt zu meiner Position aus den Boxen der Eventlocation.
Smartphone-AR vs. XR-Brille
Rein technisch funktioniert das Event bestens. Während das Rennen auch auf den Monitoren läuft (siehe Youtube-Video), muss ich die Maschinen durch mein iPhone verfolgen, was nach einer Weile ziemlich lästig ist.
Allerdings habe ich generell wenig für Smartphone-AR übrig, auch wenn es bislang noch das qualitativ beste AR liefert. Der Blick durch ein Display-Fenster bietet nur einen Hauch von Immersion.
Ich wünsche mir solche AR-Erfahrungen stattdessen über eine XR-Brille. Während des Finales kann ich leider nicht auf die reservierten Pico-4-Brillen zugreifen. Dafür hatte ich bereits früher am Tag eine Demo auf einer Terrasse im 20. Stock eines anderen Veranstaltungsortes erlebt. Während ich es immer wieder erlebe, dass mir für VR- und AR-Demos veraltete Hardware auf die Birne geschraubt wird, hatte Psychic dort die Quest 3 am Start, die erst fünf Tage zuvor auf den Markt kam.
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Diese Erfahrung war einer der Höhepunkte meiner Japan-Reise: Nicht nur funktioniert das Passthrough der Quest 3 auch draußen hervorragend, die AR-Erfahrung der digitalen Flugzeuge, die sich oberhalb der Wolkenkratzerwelt von Tokio durch den Shibuya-Kurs jagten, war teils exzellent.
Mangelnde Verdeckung killt die Immersion
Allerdings ist die fehlende Verdeckung (Occlusion) ein ordentlicher Wermutstropfen: Wenn die Flugzeuge an mir vorbei und hinter das nächste Hochhaus donnern, kann ich sie weiterhin vor dem Hintergrund des Hochhauses sehen, was die Immersion zerstört.
Besonders deutlich wird das in der Eventlocation. Während ich hinter der Bühne am Fenster stehe und den digitalen Flug betrachte, habe ich im Hintergrund immer den Raum und seine Ausstattung. Der anfängliche Zauber leidet stark, wenn die ortsgebundene Räumlichkeit der Erfahrung durch Gebäudeteile, Möbel und technisches Equipment verloren geht.
Schließlich ist es der Clou eines solchen Rennens, zu sehen, wie Flugzeuge um die Hochhäuser herumkurven. Bei einem Formel-1-Rennen beklagt sich auch niemand, dass die Boliden an der Tribüne vorbeirauschen und dann hinter der nächsten Kurve verschwinden.
Digitales mit der Realität zu verschmelzen heißt für mich, dass physische Gegebenheiten sich realistisch auswirken müssen. Ohne die realistische Einbeziehung dieser physischen Gegebenheiten ist es egal, wo ich mir das Rennen anschaue – die tolle Kulisse ist dann nur noch Beiwerk, aber kein notwendiger Teil der Show.
Eine teilweise offene Plattform wie auf der Demo-Terasse und ein Kurs, der besser auf die örtlichen Gegebenheiten angepasst ist sowie realistische Verdeckung könnten diese Erfahrung perfektionieren. Psychiv VR Labs gab auf Nachfrage an, dass Verdeckung mit der Styly-App möglich ist, allerdings sei es für Air Race X aufgrund von technischen Unzulänglichkeiten deaktiviert. Außerdem würden dann Teile des Rennens nicht mehr sichtbar für Beobachter:innen.
Doch für ein realistisches Erlebnis wäre genau das der ausschlaggebende Punkt.
Table-Top-AR und das Live-Problem
Eine andere interessante Erfahrung war das physische Block-Modell von Shibuya, auf dem ich ebenfalls über die Styly-App die fliegenden Boliden beobachten konnte. Auch hier fehlt die Verdeckung, allerdings sehe ich als Table-Top-Fan viel Potenzial: Mit einem realistischen, virtuellen Stadtmodell könnte ich mir ein solches Rennen, Flugshows oder andere Events (etwa Radrennen, Formel 1 usw.) auch bequem zu Hause auf dem Wohnzimmertisch in echtem 3D anschauen.
Ein anderes Problem besteht für mich in der Tatsache, dass es sich nicht um Live-Sport handelt, sondern um eine Aufzeichnung. Insbesondere die Überraschungen und Spannung eines echten Live-Wettkampfs fehlen für mich völlig. So bleibt nur die Technologie und der Ausblick auf mögliche Weiterentwicklungen in der Zukunft.
Air Race X Fazit: Nicht perfekt, aber ein spannender Blick in die Zukunft
Als XR-Enthusiast finde ich den Aufwand und auch die technische Umsetzung im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten beeindruckend. Hier wird hart daran gearbeitet, das Potenzial von VR und AR zu heben und Metaverse-Konzepte zu validieren. Ich bin ein großer Fan davon, wenn Zukunftsvisionen konzentriert verfolgt werden und Psychic VR Lab ist hier bereits in Umsetzungsphasen, von denen andere Plattformen oft nur träumen. Zudem beweist dieses Event, dass die Visionen rund um XR in der Unterhaltung Zukunft haben können.
Allerdings sind noch viele Fragen offen: Wie bekommt man genug Zuschauer:innen in die Show, wie monetarisiert man sie und wie gewinnt man mehr Sponsoren, die auf den digitalen Billboards werben? Wie transportiert man in Zukunft den Wettbewerbs-Charakter besser als durch eine bloße Aufzeichnung? Wie kann das digitale Geschehen realistisch mit der Realität verschmolzen werden, damit die Glaubwürdigkeit nicht leidet?
Viele Antworten werden wahrscheinlich in weiteren technologischen Entwicklungen der Zukunft liegen. Weiterhin muss konsequent an der Verwirklichung der Inhalte gearbeitet wird.
Geht es nach den Veranstalter:innen, soll Air Race X künftig regelmäßig durchgeführt werden. In Japan haben technologische Neuerungen und Experimente, auch wenn sie nicht perfekt sind, einen deutlich höheren Stellenwert als bei uns, was das Land der aufgehenden Sonne zu einem idealen Experimentierfeld macht. Bei ausreichender technischer Gesamtreife kann dieser Nischensport möglicherweise eines Tages auch ein westliches Publikum finden.
Der Start mit Air Race X war unter dem Strich aus meiner Sicht erfolgreich und zeigte eine spannende Vision für XR-Unterhaltung in der Zukunft. Alles hängt nun davon ab, wie konsequent die Erfahrung in den nächsten Jahren ausgebaut werden kann und ob sich weiterhin genug Geldgeber finden, damit diese – oder ähnliche Projekte – weiterentwickelt werden.
Hinweis zur Transparenz: Psychic VR Lab hat MIXED zu einer dreitägigen Media Tour eingeladen und die Kosten für Anreise, Unterkunft und Verpflegung übernommen.
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