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VR-Brillen: Auf der Suche nach dem Existenzgrund

VR-Brillen: Auf der Suche nach dem Existenzgrund

Virtual Reality ist noch immer eine Nische und das zu Recht. Meta und Apple dürften ihr ab 2023 eine neue Richtung geben.

Vor ein paar Jahren hatte ich einen deutschen IT-Unternehmer zu Besuch, der es zu bedeutendem Wohlstand brachte. Der Zweck der Visite: Ich sollte ihm den Stand der VR-Technik vorführen. Mit moderner Highend-VR war er noch nicht in Kontakt gekommen.

Viel gab es damals nicht zu zeigen. Wenn ich mich recht erinnere, probierte mein Gast Google Earth VR aus und spielte etwas Beat Saber. Seine erste Reaktion: Die Geräte sind noch immer wuchtig und unbequem.

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Dann kam die Gretchenfrage, die mein Gast mit einem tiefen Stirnrunzeln stellte: "Gibt es etwas, das Virtual Reality besser kann als ein herkömmlicher Computer, eine grundlegende Arbeitsanwendung, die in VR besser funktioniert?"

Virtual Reality hat (noch) beschränkte Reichweite

Ich hatte damals keine Antwort parat und habe sie, ehrlich gesagt, selbst heute nicht.

Die bislang erfolgreichste Anwendung der Technologie sind Spiele. Das zeigen die millionenfachen Verkäufe der Meta Quest 2.

Danach kommen Anwendungsfelder wie Training, Schulungen und 3D-Visualisierung, die primär für Unternehmen und professionelle Anwender:innen interessant sind – ein überschaubarer Markt. Und dann gibt es noch VR-Fitness, über dessen Reichweite wir nur spekulieren können.

Selbst wenn VR-Brillen verkaufstechnisch mit Spielkonsolen gleichziehen könnten, beschränkte sich die Zielgruppe auf einen niedrigen dreistelligen Millionenbereich. Und diesen Stellenwert muss Virtual Reality erst noch erreichen. Vom "Mainstream" ist die Technologie weit entfernt.

Produktivität als nächstes großes Ziel

Mark Zuckerberg, der früh in Virtual Reality investierte und noch immer aggressiv investiert, sieht in Spielen nur eine Brücke. Die Technologie hat für ihn eine höhere Bestimmung: Sie trägt das Potenzial einer neuen, womöglich letzten Computerplattform in sich und als ultimative Kommunikationstechnologie, die Menschen auf Distanz verbindet, als wären sie vor Ort.

Als solche bräuchte sie keine Killer-App, weil die Killer-App in ihrem universellen Charakter, ihrer unglaublichen Vielseitigkeit bestünde.

Metas vorläufiges, hochgestecktes Ziel ist, die Arbeitswelt zu erobern und von dort aus in sämtliche Bereiche des Alltags vorzudringen. Zuckerberg hofft auf Headsets, die eines Tages herkömmliche Computer ersetzen können und den klassischen Arbeitsplatz verdrängen, indem sie das eigene Büro tragbar machen und beliebig viele, beliebig große Monitore in den Raum projizieren.

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Verbraucher:innen hätten dann neben einem Grund für den Headset-Kauf auch eine Rechtfertigung. Dies ist laut Metas Technikchef Voraussetzung für eine Durchbruch der Technologie.

Arbeiten mit Headset: Gimmick oder echter Mehrwert?

Metas erster VR-Arbeitscomputer namens Cambria (Infos) kommt im Herbst auf den Markt und ist ein erster Schritt in diese Richtung. Apples erstes Headset dürfte ebenfalls auf Produktivität zielen und könnte dank einer tiefen Integration in Apples Ökosystem die Nase vorn haben.

Die entscheidende Frage ist, ob das Arbeiten in Virtual oder Augmented Reality genug Mehrwert bietet, dass Menschen bereit sind, sich einen Computer vors Gesicht zu schnallen. Im Raum schwebende 2D-Monitore? Das klingt wie ein Gimmick.

Eine technische Umwälzung, wie sie Zuckerberg vorschwebt, bedarf großer Tech-Revolutionen, insbesondere beim Interface. Um die Produktivität mit Headsets wirklich zu steigern, braucht es neue Schnittstellen, die Sprachsteuerung, Hand- und Blickverfolgung und sogar neuronale Signale umfassen.

Ob und wie diese Interfaces Word und Co. verändern werden, ist noch nicht absehbar. Aber sie werden Arbeitsprozesse einfacher und schneller machen müssen, um sich zu bewähren.

Die Beweislast liegt bei Meta und Co.

Vielleicht stellt sich am Ende heraus, dass die bestehenden Arbeitswerkzeuge (Laptops, Desktop-Computer, Tablets und Smartphones) ihren Zweck hinreichend erfüllen und nicht neu erfunden werden müssen.

Mein Macbook Air mit M1-Prozessor ist dünn, leicht, schnell, hält bei voller Ladung zwei volle Arbeitstage durch und hat ein ausreichend scharfes Bild. Für meine Meta Quest gilt nichts von dem und ich bezweifle, dass die ersten Cambria-Generationen an diesem Leistungsgefälle groß etwas ändern werden.

Meine Vermutung ist, dass Meta, Apple und Co. selbst nicht recht wissen, wohin die Reise geht und das Naheliegendste ausprobieren. Das ist normal – und ungeheuer spannend.

Das Aufregende an neuer Technologie ist seit jeher, dass sie Anwendungen schafft, die wir vorab nicht erwarteten. Das Einzige, das gewiss ist, sind Überraschungen.