HTC Vive Pro 2 Test: Der Preis-Leistungs-Verlierer

HTC Vive Pro 2 Test: Der Preis-Leistungs-Verlierer

Wir haben die HTC Vive Pro 2 getestet: Sind die hohe Auflösung und das vergrößerte Sichtfeld ein Kaufgrund für PCVR-Fans?

HTC hat eine bewegte VR-Vergangenheit hinter sich. Nachdem das taiwanesische Unternehmen mit der originalen HTC Vive 2016 geradezu fulminant startete, konnten die Nachfolger sich nur noch schwer am Markt behaupten. Hohe Preise und teilweise deutliche Mängel (etwa bei der Cosmos-Reihe) sowie eine übermächtige Konkurrenz aus dem Hause Facebook ließen HTC-Brillen im Konsumenten-Bereich immer mehr an Attraktivität verlieren. HTC änderte seine Strategie und nahm vor allem Unternehmen ins Visier.

Auch die HTC Vive Pro 2 soll vor allem für Unternehmen gedacht sein, man wehrt sich aber auch nicht gegen betuchte Heimanwender. Wir haben die Vive Pro 2 getestet und sagen euch, ob sich der Kauf lohnt.

Tolle Bild-Darstellung trifft auf mäßigen Bild-Eindruck

HTC wirbt für seine neue VR-Brille mit einer Auflösung, die auf dem Papier richtig steil geht: Satte 2.448 x 2.448 Pixel pro Auge sollen ein knackscharfes Bild bieten und den Fliegengittereffekt so gut wie beerdigen. Und das tun sie auch.

Das Bild im Sweetspot ist messerscharf und die Bild-Darstellung bietet eine Klarheit, die mit der 8KX von Pimax (die immerhin mit nativen 4K pro Auge kommt) vergleichbar ist. Die Farbdarstellung ist satt, die Schwarzwerte für ein LC-Display sehr ordentlich und das sogenannte Fliegengitter, die Pixelstruktur des Displays, finde ich maximal angedeutet, wenn ich in hellen Bereichen danach suche. Chromatische Aberration, also farbige Säume an grafischen Übergängen, konnte ich nicht feststellen.

VR Brille HTC Vive Pro 2 von oben

Die Vive Pro 2 von oben: Recht mächtig und jetzt auch mit hoher Auflösung | Bild: MIXED

Aber: Das Bild ist trotzdem nicht klar. Den scheinbaren Widerspruch möchte ich mit einer – möglicherweise etwas willkürlichen – Unterscheidung von Bild-Darstellung und Bild-Eindruck auflösen. Während die Darstellung des Bildes mitten im Sweetspot und ohne Bewegung wunderbar scharf ist, ist der Gesamteindruck bei normaler Nutzung, also beim Umschauen und Interagieren mit VR-Elementen, immer etwas „vernebelt“ oder "verschmiert".

Ausgeprägt: Scheinwerfer-Glare, God-Rays, Fresnel-Ringe, vertikale Unschärfe

Das liegt unter anderem am ausgeprägten Glare-Effekt von hellen Grafikelementen im Sichtfeld. Beispielsweise zieht weiße Schrift einen Strahlenrahmen oder „Heiligenschein“ mit sich, der mit der Kopfbewegung „reist“. Diese Lichtbrechung der neuen dualen Fresnellinsen habe ich bislang noch nie so deutlich und so störend in einer VR-Brille gesehen. Die Oculus Quest 2 (Test) hat den Glare-Effekt ebenfalls, dort fällt er aber kaum auf.

Bei der Vive Pro 2 klebt dieser Glare-Effekt an allen hellen Bildelementen, was zu einem unscharfen, verschmierten Bild-Eindruck führt, obwohl die eigentliche Bild-Darstellung scharf ist. Dazu kommen starke God-Rays, also Lichtstrahlen, die von einer hellen Lichtquelle im Bild ausgehen und sich ebenfalls auf der Linse brechen. Die Rillen des Fresnel-Schliffs treten unangenehm deutlich hervor – manchmal besteht das halbe Blickfeld nur aus erleuchteten Fresnel-Kreisen.

Die Linsen der HTC Vive Pro 2 aus der Nähe

HTC hat bei der Vive Pro 2 ein duales Fresnellinsen-System verwendet, wahrscheinlich um das Sichtfeld zu vergrößern. Ein Nachteil ist allerdings, dass deutlich stärkere Lichtreflexionen entstehen können. | Bild: MIXED

Heftiges Glare, starke God-Rays und dominante Fresnel-Ringe in hellen Szenen sorgen für den visuellen Widerspruch: Die statische Bild-Darstellung ist von enormer Schärfe – aber der Gesamteindruck in Bewegung ist, als ob ich durch einen je nach Lichtverhältnissen unterschiedlich starken Schleier blicke. Beim Spielen, etwa von Half-Life: Alyx (Test), tritt das in den Hintergrund – aber die Diskrepanz zwischen Darstellung und Eindruck fällt vor allem in Menüs immer wieder auf.

Bis hierhin bezieht sich alles auf das Bild im Sweetspot, der zwar etwas leichter zu finden ist als noch bei den Cosmos-Brillen, mir jedoch vor allem seitlich ausgeprägt erscheint. Vertikal ist der Sweetspot deutlich enger als bei anderen VR-Brillen, sogar der originalen Vive. Das führt zu einer starken Unschärfe vor allem im oberen und unteren Drittel, wenn ich ohne Kopfbewegung mit den Augen hoch oder runterschaue. Selbst große Menüüberschriften in der SteamVR-Umgebung werden im oberen Blickfeld sehr unscharf und auch in Spielen wie Project Cars 2 verschwimmen die Armaturen. Daran gewöhnt man sich leider nicht so schnell.

Aus rund mach breit: HTCs Sichtfeld-Experimente

Nur im engen mittleren horizontalen Streifen des Sichtfelds wirkt das Bild normal. Bewege ich meine Augen hoch oder ganz runter, verschwimmt das Bild. Das hat vielleicht auch mit dem neuen Sichtfeld zu tun. 120 Grad horizontales Sichtfeld versprechen die Daten – und ja, das Blickfeld wirkt horizontal tatsächlich weiter. Messungen ergeben Werte um die 116 Grad, je nachdem, wie dicht das Auge an die Linsen kommt.

Blick in die Innenseite der HTC Vive Pro 2, auf die Linsen

HTC hat die Linsen oben und unten abgeschnitten. Bild: MIXED

Der generelle Eindruck des seitlich größeren Blickfelds ist gut. Zwar wird das Bild zu den seitlichen Rändern unscharf, aber längst nicht so unangenehm, wie im oberen Bereich der Linsen. Im normalen Gebrauch ergibt sich ein recht ordentliches, weites, horizontales Bild, dass die übliche "Klorollen-Ansicht" von VR-Brillen (Vergleich) angenehm aufbricht.

Wäre da nicht das vertikale Sichtfeld, das abgeschnitten wirkt: Oben und unten sind die sonst runden Linsen einfach begradigt und das vertikale Sichtfeld sichtbar verkleinert worden. Das neue Darth-Vader-Gedächtnis-Sichtfeld hat ein 16:9-Format, das die seitliche auf Kosten der vertikalen Sichtfeldweite vergrößert. Letztere wirkt dadurch beengt.

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Nur Top-Grafikkarten reichen

Die Vive Pro 2 braucht einen starken Rechner, um die höchste Auflösung bei 120 Hz auf die Brille zu zaubern. Diese Einstellung nennt sich in der Vive Konsole „Extreme“. Die SteamVR-Renderauflösung muss zusätzlich manuell geprüft werden: Automatisch stellt Steam bei mir 150 Prozent ein (3.080 x 3.080 Pixel pro Auge). Gehe ich auf 100 Prozent, sind es immerhin noch 2.648 x 2.648 Pixel pro Auge. Dazu muss man wissen, dass diese Renderauflösung etwas höher auflöst, als es die native Auflösung des Headsets tut, um Verzerrungseffekte in den Griff zu bekommen. Das passiert aber nur auf der Grafikkarte: Bei 100 Prozent Renderauflösung in SteamVR gibt das Headset seine nativ eingestellte Auflösung aus.

Mein PC (RTX 3080, Ryzen 9 3900X, 64 GB RAM) schafft die SteamVR-Renderauflösung von 150 Prozent ohne erkennbare Probleme. Das ist beeindruckend, stelle ich allerdings auf 100 Prozent (2.648 x 2.648), sehe ich kaum Unterschiede. Ab einer gewissen Auflösung geht es meiner Meinung nach ohnehin nur noch um Glaubensfragen. Sweetspot, Bildklarheit und -Eindruck verändern sich übrigens auch nicht, was darauf hindeutet, dass die Linsen-Lösung das eigentliche Problem der Vive Pro 2 ist. Viel höher als 150 Prozent Renderauflösung geht übrigens nicht – dann gibt die Vive Pro 2 bei mir den Geist auf.

Die Ultra-Einstellung der Vive Konsole bringt ebenfalls die volle Auflösung, aber „nur“ bei 90 Hz. Gehe ich niedriger (High-Einstellung, 3.672 x 1.836) bekomme ich die versprochene Auflösung eben nicht mehr – der Unterschied ist dann bei genauem Hinschauen durch eine etwas weichere Bilddarstellung erkennbar. Das nimmt zu, je weiter ich die Einstellungen herunterdrehe – im Performance-Modus mit 2.448 x 1.224 Pixeln Gesamtauflösung sieht auch der Laie den Unterschied anhand eines deutlich verwaschenen Bildes.

Der Rest ist die gleiche Vive Pro wie vor drei Jahren

Ansonsten gibt es bei der Vive Pro 2 nichts Neues – abseits der Displays und Linsen handelt es sich um eine Vive Pro (Test). Der Komfort des bulligen VR-Headsets mit dem Charme eines modifizierten Integralhelms ist okay – der Anpressdruck insbesondere im Bereich der Stirn ist aber auch signifikant. In langen Sessions ist die Vive Pro 2 meiner Erfahrung nach unbequemer als die Quest 2 mit Elite-Strap. Das dicke, steife Kabel der Vive Pro verliert den Vergleich mit dem dünnen Oculus Link-Kabel. Meine Brille passt perfekt unter die VR-Brille und ich kann Linsenabstand und IPD bequem einstellen. Der Tiefen-arme Sound ist nur gut, wenn die Ohrhörer direkt aufs Ohr geklappt werden, das Mikrofon ist für heutige Verhältnisse hingegen schlicht Müll.

VR Brille HTC Vive Pro 2 mit Vive Controllern

Die Vive Pro 2 unterscheidet sich von der Vive Pro ausschließlich durch Displays und Linsen. Die alten Vive-Controller hat HTC bislang auch nicht ersetzt. | Bild: MIXED

Das SteamVR-Tracking über die beiden Basis-Stationen ist wie gehabt präzise. Vorteil hier: Wer die alten 1.0-Basistationen noch besitzt, kann die Vive Pro 2 direkt und ohne Einschränkungen nutzen. Gleiches gilt für die Controller, die sogenannten Vive-Wands. Die ollen Steinzeit-Prügel taugen zwar zur Selbstverteidigung gegen Einbrecher, aber nicht für intuitive und komfortable Nutzung von VR-Apps und VR-Spielen. Ergonomisch, wie von HTC beworben, waren die Vive Wands noch nie und sind es auch beim jetzigen Revival nicht. Neue Controller gibt es nur für die Vive Focus 3. Warum wissen nur die „Marktstrategen“ bei HTC. Ich empfehle stattdessen die Index Controller, die sich ebenfalls mit der Vive Pro 2 nutzen lassen.

Der Vollständigkeit halber erwähne ich auch noch die Möglichkeit, sich ein Wireless-Modul auf den Kopf zu pflanzen – allerdings lässt sich damit weder die volle Auflösung noch 90 Hz Bildwiederholrate erreichen.

HTC Vive Pro 2 Test-Fazit: Wer will sie haben - und warum?

Die Installation der Vive Pro 2 hat mich richtig genervt, obwohl die Basisstationen schon lange an meinen Wänden hängen: der Kabelsalat, die vielen Steckdosen für Linkbox und Basisstationen, die Um- und Absteckerei von Display-Port- und USB-Kabeln. Dazu kommt die ganze Software, die installiert, eingestellt und aktualisiert werden muss: Vive Konsole, Viveport, SteamVR. Nach Änderungen an Einstellungen der Vive Konsole stürzt SteamVR regelmäßig ab. Monitor-Konflikte führen zur Zwangsabschaltung der Vive-Linkbox, weil diese meine PC-Monitore bei Neustarts blockiert. Einiges davon ist Einmal-Aufwand, anderes nervt immer wieder.

Für einen sinnvollen Betrieb der Vive Pro 2 ist ein kostspieliger PC mit derzeit kaum zu bekommender Grafik-Hardware nötig (Achtung: Displayport 1.4 ist für volle Auflösung zwingend erforderlich!). Das gesamte Vive Pro 2-Set wird ohne PC 1.400 € kosten (noch nicht verfügbar), das reine Headset immerhin noch satte 800 Euro.

Die Vive Pro 2 ist meiner Meinung nach absolut nichts für Einsteiger und VR-Casuals, denn die zusätzliche Bildschärfe im Vergleich zu einer Oculus Quest 2 mit Link-Kabel ist für jemanden, der einfach nur schnell, komfortabel und mit gutem Bild zocken will, definitiv keinen zusätzlichen Tausender wert.

Bleiben noch die VR-Enthusiasten, die in der PCVR-Nische immer das Beste vom Besten wollen. Die werden doch mit der hohen Auflösung und dem erweiterten Sichtfeld gut bedient, oder? Werden sie nicht. Wer penibel genau auf die Pixelausleuchtung achtet, Softwarevermessungen fürs Display vornimmt, mit unbequem dünnen Gesichtspolstern auf Teufel komm raus an den 120 Grad FOV kratzt und tausendundeine Einstellung in Vive-Konsole und SteamVR vornimmt, um das letzte bisschen (eingebildete?) Bildschärfe rauszuquetschen, der wird Scheinwerfer-Glare und Unschärfen der Vive Pro 2 unzumutbar finden.

Unterm Strich liefert HTC eine inkonsequente VR-Brille mit fehlerhafter Linsenkonstruktion. Streng genommen ist sie nur eine Vive Pro mit anderem Display und Linsen – eine echte Nachfolgerbrille ist das nicht. Schaue ich mir das Preisschild, die Hardware-Voraussetzungen und den Installationsaufwand an, dann ist die HTC Vive Pro 2 die VR-Brille mit der bislang größten Diskrepanz zwischen Preis (inklusive Nebenkosten und anderen Aufwänden) und eigentlicher Leistung.

Die HTC Vive Pro 2 ist für euch geeignet, wenn ...

  • ihr Wert auf die derzeit wohl schärfste Bild-Darstellung legt,
  • euch Glare und God-Rays egal sind,
  • ihr Klorollen-Sichtfeld gegen Briefschlitz eintauschen möchtet,
  • eine gutsitzende VR-Brille mit IPD-Regler und Linsen-Abstandseinstellung sucht und
  • einen PC mit mindestens einer RTX 3080 besitzt.

Die HTC Vive Pro 2 ist nicht für euch geeignet, wenn ...

  • ihr einen klaren Bild-Eindruck wünscht,
  • ein abgeschnittenes vertikales Sichtfeld nicht in Frage kommt,
  • ihr kein Scheinwerfer-Glare, God-Rays und stark unscharfe Bereiche wollt,
  • ihr ergonomische und moderne VR-Controller vorzieht,
  • keinen sündteuren PC besitzt und
  • ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis wünscht.

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HTC Vive Pro 2 Datenblatt