Virtual-Reality-Therapie: Was VR leisten kann und wo die Grenzen sind

Virtual-Reality-Therapie: Was VR leisten kann und wo die Grenzen sind

Mit Psychotherapeut Felix Eschenburg spreche ich über die Zukunft und die Risiken von Virtual Reality für die Verhaltenstherapie. Er setzt die VR-Brille bereits ein und schildert seine Erfahrungen.

Felix Eschenburg ist studierter Psychologe und hatte schon in seinen Forschungsjahren an der Universität Köln Erstkontakt mit Virtual Reality. Seit 2013 ist er Therapeut und setzt VR ein.

VRODO: Wie setzt du VR in der Therapie ein?

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Felix Eschenburg: Ich benutze VR zur sogenannten Reizkonfrontation in einer Verhaltenstherapie, zum Beispiel bei Angsterkrankungen.

Betroffene sollen erfahren, dass die durch den Stimulus ausgelöste Angst zwar kurzfristig ansteigt, aber – wenn sie in der Situation bleiben – wieder abfallen kann.

VR bietet einen niedrigschwelligen Zugang: Wenn ich Leuten mit einer starken Spinnenangst vorschlüge, ihnen direkt eine Spinne auf die Hand zu setzen, würden die mir einen Vogel zeigen. Zurecht.

In VR wissen sie, dass die Spinne nicht real ist. Dennoch werden sie mit dem angstauslösenden Stimulus konfrontiert. Das ist bei Spinnen häufig das Bewegungsmuster – es braucht also gar keinen Fotorealismus.

Konkret habe ich VR-Anwendungen bei Höhen-, Spinnen- und Wespenangst eingesetzt. In der Wespenkonfrontation wird sowohl mit visuellen als auch mit auditiven Stimuli gearbeitet. So fliegt die Wespe beispielsweise kurz hinter den Nutzer und dieser darf sich nicht umschauen.

VRODO: Was für Hardware und Software nutzt du?

Eschenburg: Aktuell nutze ich GearVR und Oculus Go. Für die Höhenkonfrontation setze ich Samsungs „Be Fearless“ ein. Für die Spinnen- und Wespenkonfrontation nutze ich „Fearless VR“.

VRODO: Gibt es Vorteile von freier Raumbewegung im Vergleich zur 360-Grad-Erfahrung?

Eschenburg: Die würde sicher helfen. Gerade bei der Höhenkonfrontation: Patienten können selbst entscheiden, wie nahe sie an den Abgrund herantreten wollen.

Ich bin an kabellosen Lösungen interessiert, etwa an HTCs Drahtlosadapter oder an autarken, mobilen Brillen wie Oculus Quest. Kabel und Trackingsysteme können im Therapiesetting störend sein.

VRODO: Wann hattest du die Idee, VR-Therapie anzubieten?

Eschenburg: Nach meinem Diplom bin ich an die Uni Köln. Dort habe ich mit der Arbeitsgruppe von Gary Bente unter anderem an „Social Presence“ geforscht. Es geht darum, inwieweit bei einer elektronischen Kommunikation wie VR der Gesprächspartner als natürliche Person wahrgenommen wird.

Unter anderem haben wir mit einer Arbeitsgruppe des VR-Forschers Jeremy Bailenson kooperiert. Die hatten auf einer Tagung schon eine VR-Brille dabei – das war lange vor Oculus und Vive.

[blockquote cite="Felix Eschenburg, Psychotherapeut"]Studien zeigen, dass eine VR-Konfrontation Wirkung zeigen kann.[/blockquote]

Sie demonstrierten damals eine Höhenanwendung: Eine echte Planke lag auf dem Boden, die über ein virtuelles Loch führte. Das war für mich sehr eindrücklich, denn es gab Leute, die sich nicht über die Planke getraut haben. Da hat mein Interesse an VR für Therapie begonnen.

Später habe ich mir dann eine GearVR besorgt und die VR-Therapie einigen Patienten vorgeschlagen. Die fanden das gut.

VRODO: Ist VR in Therapie verbreitet? Gibt es da schon eine größere Bewegung?

Eschenburg: Soweit ich das einschätzen kann, ist VR in der Therapie kaum verbreitet. Ich kenne keine andere Person, die eine VR-Brille einsetzt. VR ist eher ein Forschungsthema. Dabei gibt es schon länger Studien, die zeigen, dass eine VR-Konfrontation Wirkung zeigen kann.

VRODO: Was fehlt dir noch?

Eschenburg: Mir fehlen Anwendungen für recht häufige Ängste: Öffentliches Sprechen, Autobahnfahrten oder Angst vor Nagern.

Die Ängste sind meist unterschiedlich, daher müssen verschieden Situationen eingestellt werden können, je nach Patient. Zum Beispiel bei der Autobahnfahrt: Ich fahre auf der rechten Spur und vor und hinter mir ist ein LKW. Das löst bei einigen Menschen große Panik aus. So eine Situation in VR konfrontieren zu können, wäre toll.

VRODO: Für öffentliches Sprechen gibt es doch schon Software.

Eschenburg: Ja, aber die Figuren wirken zu künstlich. Daher fehlt der Angststimulus. Das liegt vor allem am fehlenden Blickkontakt – Avatare bräuchten ein natürliches Blickverhalten. Die Person muss das Gefühl haben, angestarrt zu werden. Die Angst muss ausgelöst werden, nur so kann die Situation trainiert werden. Sonst ergibt die Konfrontation keinen Sinn.

[blockquote cite="Felix Eschenburg, Psychotherapeut"]Der Einstieg mit VR erleichtert weitere Konfrontationen im Therapieverlauf.[/blockquote]

Eine sehr nützliche Technologie für VR-Therapie ist daher Eye-Tracking. Wir haben damals in Köln dazu geforscht.

Wir konnten nachweisen, dass schon ein einfaches 2D-Strichmänchen, dessen Punktaugen über Eye-Tracking für Blickkontakt synchronisiert werden, bei Menschen ein Gefühl von „da ist jemand“ auslöst. Eye-Tracking würde die Interaktionsqualität auf jeden Fall erhöhen.

VRODO: Was sind deine Erfahrungen mit VR-Therapie?

Eschenburg: Die Erfahrungen sind positiv. Obwohl alles nur virtuell passiert, müssen sich meine Patienten überwinden. Sie müssen sich auf die Therapie einlassen.

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Der Einstieg mit VR erleichtert weitere Konfrontationen im Therapieverlauf. Ich habe das an meiner eigenen Wespenphobie getestet:

Sobald mich eine Wespe umkreiste, konnte nicht mehr ruhig an einem Tisch sitzen. Im Frühsommer habe ich die VR-Therapie durchlaufen. Im Sommer war die Phobie schon wesentlich besser. Jetzt kann ich sogar ruhig sitzen, wenn eine Wespe auf meiner Hand krabbelt.

[blockquote cite="Felix Eschenburg, Psychotherapeut"]Die Selbstüberwindung ist gut.[/blockquote]

So schnell geht das natürlich nicht immer. Ich weiß, was mich erwartet und was mir gelingen muss. Ich lasse mich daher anders auf die VR-Erfahrung ein. Ich lasse die Angst zu und unterdrücke sie nicht. Das wird nicht jeder Klient machen, die brauchen etwas mehr Zeit.

VRODO: Glaubst du, VR wird sich in der Verhaltenstherapie weiterverbreiten?

Eschenburg: Ja und Nein. Sicher wäre bei spezifischen Phobien einiges möglich, aber in der Regel treten solche nicht isoliert auf. Ich glaube nicht, dass es bestehende Therapiesettings ersetzen wird.

Ich kann mir gut vorstellen, dass VR dort eingesetzt wird, wo man Klienten nicht mehr erreicht – entweder aus Angst oder vor Scham. Es gibt Leute, die haben so starke Ängste, dass sie das Haus nicht mehr verlassen. Für die könnte es VR-Anwendungen geben, die eine Therapieumgebung simulieren. Dafür bräuchte man definitiv Eye-Tracking und idealerweise digitale Mimik.

VRODO: Und wäre das ein Ersatz für eine reale Therapie?

Eschenburg: Die Beziehung, die ein Therapeut anbietet, lässt sich in VR nicht vermitteln. In der Therapie erzählen meine Patienten teils schlimme Dinge und ich muss mitschwingen, mich darauf einlassen.

Wenn sie erzählen, muss ich minimale Abweichungen sehen. Oft vermeiden Klienten auch heiße Themen, das muss ich mitbekommen. Ich brauche den Menschen, der vor mir sitzt. Ansonsten kann ich keine Therapie machen.

Die VR-Methode hat noch einen weiteren Nachteil: Womöglich verlassen Betroffene dann ihr Haus gar nicht mehr.

VRODO: Also könnte VR-Therapie sogar ungewollte Folgen haben. Wie entscheidet man als Therapeut zwischen Potenzial und Risiko?

Eschenburg: Es gibt in der Therapie einen Grundsatz: Dem Patienten darf auf keinen Fall Schaden zugefügt werden. Ich sehe bei VR schon ein Schadenspotenzial, die Technologie sollte mit Bedacht eingesetzt werden.

[blockquote cite="Felix Eschenburg, Psychotherapeut"]Ich behalte den technischen Fortschritt im Auge. Die Technologie bietet viel Potenzial.[/blockquote]

VRODO: Zum Beispiel?

Felix Eschenburg: Opfer von Gewaltverbrechen haben meistens Angst vor bestimmten Merkmalen. Zum Beispiel fürchtet sich eine betroffene Frau pauschal vor Männern.

Sie weiß um den Einzelfall, aber sie hat die Angst nicht mehr im Griff, sobald sie einen Mann sieht. Hier könnte man auf den ersten Blick eine VR-Konfrontationstherapie für eine gute Idee halten.

VRODO: Was wäre hier das Risiko?

Felix Eschenburg: Solche Ängste treten häufig bei einer posttraumatischen Belastungsstörung auf. In der Traumabehandlung ist es wichtig, dass du ein menschliches, empathisches Gegenüber hast. In der VR bist du letzten Endes ja alleine.

Als Therapeut habe ich bei einer Person mit VR-Brille keine Möglichkeit, die Mimik zu lesen und somit wenig Hinweise darauf, wie es ihm gerade geht. Ich kann nur schwer empathisch auf den Patienten eingehen und er hat wenig Kontrolle über die präsentierten Stimuli.

Manche Betroffene verfallen bei starker Angst in eine Starre und könnten dann die VR-Brille nicht abziehen. Das wäre ein erneutes Ohnmachtserlebnis, ein Erleben von „ich bin ausgeliefert“. So bestünde die Gefahr einer Retraumatisierung.

Wir können auch nicht eins zu eins die spezifische Erinnerung der betroffenen Person nachbauen. Das wiederum wird meiner Ansicht nach nicht das Ziel fördern, die traumatische Erinnerung in das biografische Gedächtnis zu überführen - was ja der Sinn der Traumakonfrontation ist.

Es wäre daher unverantwortlich, das einfach zu probieren. Dazu muss erst noch weiter geforscht werden.

VRODO: Kannst du dir vorstellen, dass VR in Menschen Empathie hervorrufen kann in einem Maße, das höher oder anders als bei traditionellen Medien?

Felix Eschenburg: Ob und wie stark VR wirkt, hängt vom Nutzer und vom Inhalt ab: Wenn jemand die innere Bereitschaft mitbringt, das Erlebnis zu erfahren, glaube ich schon, dass es Empathie hervorrufen kann. Ohne diese Bereitschaft würde er wohl nichts spüren.

Empathie setzt immer die Bereitschaft zum Mitfühlen voraus. Ich muss mich öffnen. Ich muss selber an ein emotionales Erleben anknüpfen. Ansonsten spiele ich Empathie nur vor.

Ich denke, VR kann eine neue Erfahrung sein. Ähnlich wie ein Videospiel einen anderen Blickwinkel bietet im Vergleich zum Buch oder Film. Wenn ich zum Beispiel erlebe, dass mir Hass entgegengebracht wird - nicht für das, was ich tue, sondern für das, was ich bin.