VR-Pornografie: Neue virtuelle Freizügigkeit oder nur mehr Ausbeutung?

VR-Pornografie: Neue virtuelle Freizügigkeit oder nur mehr Ausbeutung?

Virtual-Reality-Pornografie ist zwar eine Nische, aber eine wachsende. Sie bietet zahlreiche neue sexuelle Freiheiten, die sich sowohl positiv als auch negativ auswirken können.

VR-Technologien bieten zuvor nie dagewesene Freiheiten, Sexualität zu erleben – mit zahlreichen positiven wie negativen Aspekten. Fraglich ist, ob ethische Erwägungen mit den Entwicklungen der Industrie mithalten können.

Seit dem Erscheinen des ersten Playboy-Magazins im Jahr 1953 nahm die Mainstream-Pornografie einen beachtlichen Verlauf. VHS-Kassetten machten sie in den 80er-Jahren einer breiteren Masse zugänglich, und mit der Verbreitung von Pornografie durch das Internet etablierte sie sich als lukratives Geschäft.

Heute prägt die Mainstream-Pornografie maßgeblich unser Verständnis von Sexualität, gelten ihre dargestellten Narrative doch häufig als „normal“. Gleichzeitig begünstigt sie sexualisierte Gewalt primär gegen Frauen und setzt diese (aber auch Männer) unter erheblichen Druck, beim Geschlechtsakt dem vorgegebenen, oft eher ungesunden Rollenverhalten zu entsprechen.

Formen der VR-Pornografie im virtuellen Raum

Welche neuen Formen VR-Pornografie in einem irgendwie gearteten Metaverse künftig annehmen könnte, ist noch offen und abhängig von weiteren technologischen Entwicklungen. Die aktuell verfügbaren Angebote in Virtual Reality sind jedoch ein guter Indikator, in welche Richtung sich die Pornokultur entwickelt.

Zu den bereits bekannten oder absehbaren Entwicklungen gehören unter anderem die folgenden:

  • Echte Sexworker:innen filmen sich live per Webcam, etwa über Rundum-Kameras, und kommunizieren per Chat mit ihren Kund:innen. Diese wiederum geben Anweisungen, was sie gerne sehen möchten, und zahlen entsprechend dafür – also ganz analog zu Webcam-Angeboten im Internet.
  • Pornofilme in Virtual Reality mit realen Darsteller:innen oder virtuellen Avataren. Beim Betrachten nimmt man meist die Perspektive (Point of View) eines Darstellers ein.
  • Man nimmt mit einem selbst gewählten Avatar an einem virtuellen Sex-Event teil, etwa in einem VR-Sexclub. Auch die anderen Besucher:innen sind real existierende Menschen mit entsprechenden virtuellen Avataren. Sexspielzeuge lassen sich via Bluetooth mit virtuellen Berührungen synchronisieren.
  • Man befindet sich in einem virtuellen Raum mit virtuellen Sexworker:innen, deren Aussehen frei modifiziert werden kann. Per Controller können Handlungen ausgewählt werden. Die Stimulation des eigenen Körpers erfolgt über Bluetooth-synchronisierte Sexspielzeuge.

VR-Pornografie: Vor- und Nachteile

Vorteile

Sexworker:innen, die ihre Dienstleistungen in Virtual Reality anbieten, befinden sich in einem gewissen „Safe Space“ und sind besser geschützt vor übergriffigen Kunden oder sogar Gewalt. Sexuell übertragbare Krankheiten spielen keine Rolle. Die Sexworker:innen können ihrer Tätigkeit meist unbeschwerter nachgehen.

Im Falle von VR-Angeboten, in denen es um gänzlich virtuelle Figuren geht, besteht anders als bei real gefilmten Pornofilmen keine Gefahr, dass die Sexworker:innen unter fragwürdigen Bedingungen arbeiten mussten, schlecht behandelt oder sogar vergewaltigt wurden.

Die Gestaltungsfreiheit sowohl der Wunschpartner:innen als auch von sexuellen Handlungen hat das Potenzial, mehr Offenheit und Toleranz zu schaffen. Man erlebt sich selbst in einem anderen Körper, einem anderen Geschlecht und kann Erfahrungen mit unterschiedlichen Körpern und Geschlechtern sammeln. Das kann auch der erste Schritt sein, Fantasien auszuleben, für deren Umsetzung im realen Leben bisher noch der Mut fehlte.

Die Option, virtuelle Körper individuell zu modifizieren, lässt sich auch in Richtung "Body Positivity" auslegen: Im Gegensatz zur Mainstream-Pornografie werden hier keine vermeintlich perfekten Schönheitsideale vorgegeben. Stattdessen können Nutzer:innen selbst entscheiden, mit wem sie als Wunschpartner:in Sex haben möchten. Viele diverse Körpertypen sind wählbar.

Umgekehrt kann man mit einem selbst gewählten Avatar an virtuellen Sex-Events teilnehmen; eventuelle Komplexe, die man gegenüber dem eigenen Körper empfindet, fallen dabei weg. Das eröffnet eine Bandbreite an Möglichkeiten, frei von Scham Sexualität und Intimität zu genießen. Dabei könnte sich dadurch sogar ein positiveres Körpergefühl entwickeln.

Den größten Nutzen sehe ich in diesem Zusammenhang bei Menschen mit körperlichen Einschränkungen, die es im realen Leben schwer haben, Partner:innen zu finden, oder deren Behinderung das Erleben von Sexualität gänzlich unmöglich macht. Hier kann VR-Pornografie als wertvolle Technologie zu einem veränderten Lebensgefühl beitragen.

Nachteile

Die Zielgruppe der VR-Porno-Technologie sind – wenig überraschend – vorrangig heterosexuelle, weiße Männer mittleren Alters. Statistiken zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen männlichen Pornokonsumenten und Haltungen gibt, die Gewalt gegen Frauen befürworten. Außerdem konnte eine Studie nachweisen, dass Pornos Gewalt als Fantasie überwiegend gegenüber Frauen verherrlichen. So richtete sich Aggression in den untersuchten Filmen in 97 Prozent aller Szenen gegen Frauen.

Der in der Mainstream-Pornografie institutionalisierte und normalisierte direkte Schaden an Frauen sowie dem gesellschaftlich akzeptierten Frauenbild dürfte sich auch in Virtual Reality fortsetzen. In einem wechselseitigen Prozess werden die Vorstellungen der Konsumenten von Sex und Beziehungen weiter beeinflusst und verzerrt – mit sehr realen sozialen Auswirkungen.

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Meiner Meinung nach entsteht bei VR-Pornofilmen durch die immersive, realistischere Erfahrung mitsamt den Handlungsoptionen in Kombination mit Gestaltungsfreiheit ein umso größeres Machtgefälle. Damit einher geht die Illusion des Nutzers, seine Sexpartnerin formen, besitzen und jegliche Wünsche an ihr ausleben zu können – ohne dabei auf sie Rücksicht nehmen zu müssen. Das dient der unbewussten Aufrechterhaltung und Erotisierung männlicher Macht, der Erniedrigung und Verfügbarmachung von Frauen.

Besonders besorgniserregend ist, dass gewalttätige Handlungen in VR-Anwendungen von VR HOT und anderen Anbietern nicht sanktioniert werden. Wenn die einzige Reaktion auf Aggression entweder Vergnügen oder das Ausbleiben jeglicher Reaktion sind, gehen Nutzer davon aus, dass Frauen entweder Spaß daran haben oder dass ihre Gefühle diesbezüglich irrelevant sind. Das kann ein sexuelles Skript normalisieren, das den Körper einer Frau als mehr oder weniger williges Objekt für das direkte Ausleben (sexueller) Aggression darstellt.

Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft den Jugendschutz: Dass man sich wie früher bei der Ausleihe oder dem Kauf einer Porno-VHS auch im digitalen Raum ausweisen muss, ist bislang kaum umsetzbar. Dabei kommen die meisten Minderjährigen heutzutage bereits im Alter von 13 Jahren in Kontakt mit Pornografie, was die Entwicklung einer gesunden Sexualität erschweren kann. Noch hat die Politik keine effektiven Kontrollmechanismen etablieren können, um im digitalen Raum einen besseren Jugendschutz zu gewährleisten. Trotz gut gemeinter Einschränkungen ist es zudem auch hier nur eine Frage der Zeit, bevor es in Virtual Reality größere Kinderpornografie-Netzwerke geben wird.

VR-Pornos und Sex im Metaverse: So spannend wie gefährlich

Sex im Metaverse ist ein spannendes neues Feld mit vielen Möglichkeiten und wir tun sicherlich gut daran, die Vorteile zu sehen und zu fördern. Auch hier lässt sich die technologische Zukunft als gesellschaftliche Herausforderung begreifen, die demokratisch und kollektiv gestaltet und einem möglichst breiten Publikum zugänglich gemacht werden sollte.

Die vielfältigen Experimentiermöglichkeiten in Bezug auf den eigenen Körper und den des Gegenübers, die für mehr Toleranz für sexuelle Nischeninteressen im legalen Bereich sorgen können, sind klar positiv zu bewerten. Ein großer Gewinn ist die Ermöglichung sexueller und intimer Erfahrungen auch für Menschen, denen dies wegen körperlicher Einschränkungen sonst verwehrt ist. Für Sexarbeiter:innen kann VR-Pornografie zudem mehr Selbstbestimmung und größeren Schutz bedeuten.

Erfreulich ist auch die Tatsache, dass Diversität im Produktdesign der VR-Technologien heutzutage direkt mitgedacht werden kann. Es ist wichtig, das bildende und kreative Potenzial von Virtual-Reality-Pornos in der gesamten Bandbreite zu erkennen, anstatt sie nur als lukrative Unterhaltung für heterosexuelle Männer zu betrachten oder ihre Gestaltung einer von Männern dominierten Industrie zu überlassen.

Richtungsweisend sind dabei etwa das von Frauen gegründete RD Land, das Safe Spaces für Cybersex im Metaverse kreiert. Oder Viro Playspace, die innovative, fantasiereiche Sex-Erfahrungen in Virtual Reality anbietet. Auch kreative BDSM-Ansätze wie die von Deviant Tech diversifizieren das Angebot.

Die Politik sollte jedoch frühzeitig einen rechtlichen Rahmen für den virtuellen Bereich analog zu § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung des Strafgesetzbuchs schaffen. So könnten auch Anbieter zur Rechenschaft gezogen werden, die sich durch das Design ihrer VR-Anwendung absichtlich in einem potenziellen juristischen Graubereich bewegen. Dadurch würden bereits jetzt die Weichen gestellt, um eine positivere und geregelte Grundlage für Sexualität in virtuellen Welten oder einem Metaverse zu schaffen.

VR-Pornografie-Anbieter können auf der anderen Seite schon jetzt vorsorglich Mechanismen einbauen, die Gewalthandlungen registrieren und diese durch unmissverständliche Reaktionen innerhalb der Anwendung sanktionieren.

Sex im Metaverse wird reale Auswirkungen haben – angesichts der weitaus realistischeren Inszenierung in Virtual Reality gegenüber 2D-Filmen sind diese kaum zu unterschätzen. Welche gesellschaftlichen Folgen das immersive Erleben von Sexualität und die größere Gestaltungsfreiheit für unser Verständnis von Sex haben werden, ist noch nicht absehbar. Es liegt hauptsächlich an Politik und Industrie, einen sozial verträglichen und progressiven Rahmen für die VR-Sex-Branche vorzugeben.

Ob dafür ein Bewusstsein oder auch nur ein ausreichender Wille existiert, ist allerdings zweifelhaft, schließlich schläft die Politik seit Jahren bei digitalen Themen im Allgemeinen und etwa Deepfakes im Speziellen. Wieso sollte das bei VR-Pornografie im Metaverse plötzlich anders sein?