Virtual Reality: Nebenwirkungen unbekannt

Virtual Reality: Nebenwirkungen unbekannt

In 2016 kommen VR-Brillen erstmals weitläufig in den Haushalten von Verbrauchern an, Ende März starten bereits die ersten Lieferungen. Völlig unbekannt ist dabei, welche potenziellen Nebenwirkungen das neue Medium haben könnte - sowohl physisch als auch psychisch.

Dementsprechend lang sind die Listen potenzieller negativer Auswirkungen, die die Hersteller von VR-Brillen in den Beipackzetteln angeben. Sie schreiben jedes erdenkliche Szenario auf, um für den Fall der Fälle abgesichert zu sein. Samsung empfiehlt beispielsweise Schwangeren, vor dem Ausflug in die virtuelle Welt einen Arzt aufzusuchen. "Warum sollte man das machen? Die Hersteller sind einfach nur sehr, sehr vorsichtig", sagt Marty Banks, Professor für Optometrie (Korrektur von Fehlsichtigkeit) an der Universität Kalifornien.

Banks beschäftigt sich intensiv mit einer bereits bekannten Nebenwirkung, dem sogenannten "vergence-accommodation"-Konflikt. Dieser irritiert unser Auge, wenn es versucht, ein weit entferntes Objekt zu betrachten, das eigentlich auf einem Display unmittelbar vor dem Gesicht angezeigt wird. Obwohl unser Auge also in die Ferne blicken will, muss es ein nahes Objekt fokussieren. Das stört den natürlichen Blickverlauf und die Augenbewegungen für das räumliche Sehen. Bisher ist bekannt, dass das unsere Augen besonders anstrengt und Kopfschmerzen oder Unwohlsein auslösen kann. Daher wird der Effekt auch von Oculus VR als mögliche negative Nebenwirkung genannt.

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Wer den "vergence-accommodation"-Konflikt schon einmal selbst erlebt hat, weiß, dass die Phase, bis sich die Augen auch außerhalb der VR-Brille wieder auf normales Sehen eingestellt haben, ziemlich unangenehm sein kann. Ein verschommenes Blickfeld samt Schwindelgefühl können für einige Minuten anhalten. "Alles, was ich darüber weiß, zeigt, dass der Effekt nur temporär auftritt und sich das Sehen wieder anpasst, wenn man die VR-Brille absetzt", sagt Banks. "Aber ich denke, es wäre sehr unklug zu sagen, dass es da kein Problem gibt."

The vergence-accomodation conflict. HOFFMAN ET AL. JOURNAL OF VISION 2008

Der "vergence-accomodation"-Konflikt: In einer VR-Brille schaut man nur gefühlt in die Ferne, eigentlich muss das Auge das nahe Display fokussieren. BILD: Hoffman et al., JOURNAL OF VISION 2008

Es mangelt noch an Forschungsergebnissen, die über einen längeren Zeitraum hinweg erhoben wurden

In Ermangelung an notwendigen Langzeitstudien können Wissenschaftler noch gar nicht richtig einschätzen, welche Nebenwirkungen von Dauer sein könnten und welche nur kurze Zeit auftreten. "Wir sind noch gar nicht an dem Punkt, wo Menschen Virtual Reality über längere Zeiträume hinweg genutzt haben - beispielsweise für Wochen oder Monate - um mit eindeutiger Gewissheit mögliche Langzeiteffekte von Virtual Reality feststellen zu können", sagt Sarah Sharples, die als Professorin den "Faktor Mensch" ("Human Factors") an der Universität Notthingham erforscht.

[blockquote cite="Albert Rizzo, University of Southern California"]"Ich denke, wir sollten nicht hysterisch sein, aber aufmerksam und vorsichtig."[/blockquote]

Laut ihr braucht es noch deutlich mehr Forschung, um kurzfristige Effekte mit möglichen Langzeitschäden seriös in Verbindung bringen zu können. Sharples glaubt aber, dass für den Moment der gesunde Menschenverstand ausreicht, um sich keine bleibenden Schäden bei der Nutzung von VR-Brillen einzuhandeln. "Es gibt definitiv potenzielle negative Effekte der VR-Nutzung. Der wichtigste Punkt ist, dass wir vorsichtig und sensibel damit umgehen. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, die massiven Potenziale der Technologie auszunutzen", sagt Sharples.

Ähnlich sieht das auch der US-Psychologe Albert Rizzo, der sich schon seit den 90er Jahren mit der VR-Therapie bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen beschäftigt, speziell im militärischen Kontext. Laut ihm steht die VR-Forschung noch ganz am Anfang: "Die Psychologie untersucht seit rund hundert Jahren, wie Menschen sich in der echten Welt verhalten und interagieren. Ich denke, wir brauchen fast genauso viel Zeit, um zu erforschen, wie Menschen sich in virtuellen Umgebungen verhalten und dort interagieren und welche Schlussfolgerungen daraus resultieren", sagt Rizzo. "Ich bin einer der größten Befürworter, wenn es darum geht, dass wir mit VR einen positiven Einfluss auf das reale Leben von Menschen nehmen können. Aber wenn man das akzeptiert, dann muss man auch akzeptieren, dass die Technologie auch nachteilige Auswirkungen haben kann, die noch nicht bekannt sind. Ich denke, wir sollten nicht hysterisch sein, aber aufmerksam und vorsichtig."

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| SOURCE: The Guardian