Metas neue "Meta Reality" ist eine furchtbare Idee
Als wäre die Begriffslandschaft um VR- und AR-Technologien nicht schon komplex genug, muss Meta mit "Meta Reality" noch eine weitere Marketing-Umdeutung einer schon bekannten und benannten Technologie einführen. Wer braucht das?
1994 definierte der Interface-Forscher Paul Milgram die Mixed Reality als Kontinuum, in dem einzelne immersive Technologien wie VR, AR oder auch AR per Videodurchsicht (Passthrough-AR) existieren.
Eine einleuchtende Definition: Die Mixed Reality ist ein Zustand, der unterschieden wird durch den Grad der Durchmischung realer und digitaler Inhalte. Die Mixed Reality kann sich theoretisch in einem Gerät manifestieren, sofern dieses eine Form der VR und eine Form der AR beherrscht.
___STEADY_PAYWALL___Dann kam Microsoft mit Hololens – und brachte alles durcheinander. Die AR-Brille Hololens wurde zur Mixed-Reality-Brille umdeklariert, mit der Begründung, dass diese eine hochwertigere Form der Augmented Reality biete und damit einen eigenen Namen benötige.
Dabei steht nirgends geschrieben, dass Augmented Reality bei einer bestimmten Qualitätsstufe endet. Microsoft wollte einfach nur einen wohlklingenderen Namen für sich beanspruchen - und nannte übrigens auch die eigenen VR-Brillen "Mixed-Reality-Brillen". Magic Leap und andere sprangen auf den Zug auf.
Passthrough-AR ist die neue Mixed Reality
Derzeit kommen mehr VR-Brillen auf den Markt mit einer Videodurchsicht, die um digitale Elemente erweitert werden kann. Diese Funktion ist nicht neu, sogar die erste Vive-Brille bot sie schon rudimentär, auch mit digitaler Erweiterung.
Aber dieses sogenannte Passthrough-Video hat seit damals massiv an Qualität gewonnen und, wichtiger, Raumverständnis, sodass das Videobild dreidimensional digital ergänzt werden kann. AR mit Video-Passthrough gilt als Zwischenschritt hin zum großen Ziel, schlanken, alltagstauglichen AR-Brillen.
Würden sich die Hersteller nach Milgram richten, könnten sie diese neuen VR-AR-Video-Geräte berechtigt als Mixed-Reality-Headsets bezeichnen. Sie beherrschen eben nicht nur einzeln VR oder AR, sondern können sich in einem gewissen Maß auf der Mixed-Reality-Skala bewegen – von reiner Virtual Reality immerhin bis zu Passthrough-AR.
Doch Meta und Co. deklarieren stattdessen lieber den Passthrough-AR-Modus oder Augmented VR als Mixed-Reality-Modus - weil’s besser klingt. Das ist aus Marketing-Perspektive nachvollziehbar und solange die Menschen verstehen, was gemeint ist, sei es drum. Es interessiert ohnehin kaum jemanden.
Jetzt also Meta Reality
Doch was reitet Meta, mit "Meta Reality" jetzt den dritten Begriff für dieselbe Sache einzuführen, nämlich Mixed Reality, genauer benannt als Passthrough-AR?
- MIXED.de ohne Werbebanner
- Zugriff auf mehr als 9.000 Artikel
- Kündigung jederzeit online möglich
"Meta Reality ist unser einzigartiges Mixed-Reality-System", schreibt Meta. Es sei ein "komplexes System aus mehreren Hardware- und Softwaretechnologien wie hochauflösende Sensoren, Passthrough, KI-gestütztes Scene Understanding und Spatial Anchors, die alle nahtlos und komfortabel zusammenarbeiten."
Anstatt einzuräumen, dass es hier um Branding geht und Meta sich womöglich gegen eine "Apple Reality" 2023 in Stellung bringt, was ehrlich und in Ordnung wäre, begründet Meta den Zusatznamen mit technischen Pseudo-Argumenten: Die Firma will sich laut eigenen Angaben von Herstellern differenzieren, die schon eine einfache Videodurchsicht als "Mixed Reality" vermarkten.
"Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Mixed Reality einfach durch die Anzeige eines hochauflösenden Echtzeit-Videos der physischen Welt im Headset erreicht werden kann, aber die Wahrheit ist viel komplexer", schreibt Meta. Die Meta Reality differenziere sich durch ein besseres Umgebungsverständnis von diesen einfachen Lösungen.
Weit verbreiteter Irrglaube? In welchem Universum, Meta.
Auch aus Marketing-Perspektive halte ich die Namenswahl für unglücklich: Im Kontext des Metaverse ist eine gängige Anti-Meta-Dystopie, dass Zuckerberg und Co. Nutzende in eine alternative digitale Realität auf- und dort aussaugen wollen. Komm in die "Meta Reality" entspricht eher Befürwortenden dieser Dystopie.
Zudem schafft der Begriff noch mehr Verwirrung in der nerdigen, mit Technik-Jargon überladenen XR-Branche. Meta gelingt es ja nicht einmal, das Metaverse so zu erklären, dass viele Menschen es gut finden. Die Mixed Reality durch Meta Reality zu ersetzen, einem Begriff, der zugleich mit Metaverse-Dystopien und der Mixed-Reality-Technik konkurriert, halte ich für eine falsche Entscheidung.
Interessant ist, dass Meta in seinen drei neuen Blogbeiträgen zu VR- und AR-Technik und deren Zukunft nicht ein einziges Mal den Begriff "Metaverse" verwendet. Vielleicht geht Meta Reality ja bald einen ähnlichen Weg.
Hinweis: Links auf Online-Shops in Artikeln können sogenannte Affiliate-Links sein. Wenn ihr über diesen Link einkauft, erhält MIXED.de vom Anbieter eine Provision. Für euch verändert sich der Preis nicht.