Kommentar: Warum mehr Pixel der VR-Branche nicht helfen

Kommentar: Warum mehr Pixel der VR-Branche nicht helfen

VR-Brillen brauchen eine höhere Auflösung. Stimmt. Noch viel dringender benötigen sie aber bessere Inhalte und einen ästhetischen Formfaktor.

Vorweg: Ja, die Auflösung aktueller VR-Brillen ist gering. Sowieso viel zu gering für den Massenmarkt, nur Enthusiasten nehmen solche qualitativen Kompromisse trotz hoher Preise in Kauf. Und selbst diese Pioniere sind nicht wirklich glücklich mit dem Reifegrad der aktuellen Technologie.

Da wirkt dann der chinesische Hersteller Pimax plötzlich wie der VR-Messiahs, der der Branche endlich das bringt, was sie für den Durchbruch braucht: Mehr Pixel!

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In Wahrheit dürfte das Gegenteil der Fall sein: Pimax treibt mit seinen wirren Produkten eher die Vernischung der Technologie voran, führt sie noch weiter in die Tiefen des für viele Menschen undurchdringlichen Techdschungels.

Wenn für den Betrieb der Ultra-VR-Brille 8K X Verbundschaltungen von Highend-Grafikkarten jenseits der 1.500 Euro empfohlen werden, dann schränkt das den Käuferkreis ein klein wenig ein. Hinzu kommt, dass Pimax völlig intransparent und unverständlich kommuniziert. Ob das nun Absicht oder sprachliches Unvermögen ist, sei dahingestellt.

Immerhin: Unterstützer der Kampagne bekommen das Halloween-Kostüm für 2018 frei Haus mitgeliefert. Ich schreibe das im Spaß, dabei ist es ein großes Problem. Mehr dazu später.

Schnellschüsse könnten der Branche schaden

Im Grunde ist es für Virtual Reality egal, was Pimax treibt. Die Kampagne bei Kickstarter ist zwar erfolgreich, wird aber wohl eine der vielen kuriosen Randnotizen bleiben, die die VR-Branche in den letzten Jahren fabriziert hat. Bislang gibt es gerade einmal 1.500 Käufer, die sich wahrscheinlich ausnahmslos aus Industriekunden und unzufriedenen Besitzern der aktuellen VR-Geräte zusammensetzen. Marktwachstum geht anders.

Etablierte Hersteller wie HTC und Oculus sind gut damit beraten, die Pimax-Kampagne mit einem Schulterzucken abzutun und keinen schnellen Nachfolger mit etwas höherer Auflösung und einer klobigen Sichtfelderweiterung auf den Markt zu werfen. Mehr Pixel lösen sowieso nur einen Teil des Screenproblems von VR-Brillen. Damit das virtuelle dem natürlichen Sehen gleicht, braucht es grundlegend neue Darstellungsverfahren.

Formfaktor schlägt Highend-Spezifikationen

Vor der zweiten Generation VR-Brille müssen die Hersteller zurück ins Labor und dort die wirklich wichtigen Fragen beantworten: Wer soll sich die Dinger aufsetzen, für was und wie müssen sie dafür aussehen?

Einige Hersteller verkennen womöglich bewusst den Stand ihrer Technologie und ihre Zielgruppe. Wie sonst sind Werbebildchen mit weiblichen Vorzeigemodells zu erklären, die voller Begeisterung ihre Frisur beim VR-Yoga ruinieren?

Allein ein solches Nutzungsszenario anzudeuten, ist zum jetzigen Zeitpunkt weltfremd. In der in allen Bereichen männlich dominierten VR-Szene ist es schon ein Novum, wenn eine Frau überhaupt in die Nähe einer VR-Brille kommt. Oder soll da eine selbsterfüllende Prophezeiung herbeigeworben werden?

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Dann wären da noch die Massen an absurden Stockfotos, die an Dämlichkeit kaum zu übertreffen sind und das Dilemma der Branche zeigen: Es fällt ihr unfassbar schwer, sich nach außen zu präsentieren. Pimax demonstriert das eindrucksvoll.

Die einzigen ästhetisch anspruchsvollen Werbemaßnahmen sind jene, die das Produkt verstecken. Das muss sich ändern, VR-Brillen benötigen dringend mehr Coolness.

Solange die Geräte ein Frontalangriff auf die menschliche Eitelkeit sind, schnallen sie sich nur Nerds auf den Kopf - und selbst die sind vom "VR-Face" nicht begeistert.

Der Formfaktor bremst den Erfolg aus, nicht die Auflösung oder das Sichtfeld. Pimax steuert in die entgegengesetzte Richtung.

Inhalte, Inhalte, Inhalte

Wenn die Branche erfolgreich Zielgruppen außerhalb wohlhabender Technerds erreichen will, dann gelingt das ohnehin nicht mit Highend-Spezifikationen. Der TV wurde lange vor HD und Flatscreens zu einer Erfolgsgeschichte. Man munkelt, dass er am Anfang nicht einmal Farbe wiedergeben konnte - und die Leute dennoch begeistert waren.

Es müssen inspirierende, unterhaltsame und nützliche Inhalte her. Erlebnisse und Möglichkeiten, die so toll sind, dass man sie im Alltag nicht mehr missen will.

Bislang gibt es außerhalb von Gaming-Nischen und ausgewählten industriellen Anwendungen kaum sinnvolle Nutzungsszenarien. Das soziale Potenzial von VR als Telepräsenzmedium wird nicht ansatzweise ausgeschöpft. Einigen herausragenden Inhalten stehen Heerscharen schlechter und mittelmäßiger Experimente und Werbemaßnahmen gegenüber.

Runde zwei muss rocken

Der nächste Aufschlag der großen Hersteller muss sitzen. Und zwar so richtig. Wenn die Nachfolger von HTC Vive und Oculus Rift wieder drei Jahre als experimentelles Spielzeug und Industriegimmick vor sich hindümpeln und ihren Mehrwert nur andeuten, dann könnte das allgemeine Interesse an der VR-Brille wieder gegen Null sinken.

Die nächste Generation VR-Brille transportiert im Optimalfall so viel Status wie das neueste iPhone und ist dabei so einfach zu benutzen wie ein Stück Brot. Die VR-Szene sollte es sich nicht in ihrer aktuellen Blase bequem machen. Sonst droht die Gefahr, dass sie sich in Zukunft nur noch für sich selbst interessiert und von Außenstehenden kritisch beäugt wird.

| Featured Image: Pimax (Screenshot)