Die immersive Wende: Wie VR180-3D-Kameras den (Smartphone-)Markt erobern
Das stereoskopische 180-Grad-Format erlebt einen neuen Frühling. Welche VR180-Kameras kommen eigentlich und laufen Smartphones den Kameras den Rang ab?
Von Daniel Pohl
Mit VR-Brillen haben sich neue Arten eröffnet, sphärische Medien zu betrachten. Viele kennen bereits 360°-Fotos als Panoramen im Browser auf dem 2D-Monitor, in denen man mit der Maus den Blickwinkel ändern kann. In VR-Brillen kann man diese Medien deutlich immersiver betrachten und man fühlt sich, als wäre man aktuell im Mittelpunkt der Aufnahme.
Durch das Head-Tracking werden die Kopfbewegungen 1:1 wie in der Realität umgesetzt und das Headset zeigt entsprechend die korrekte Ansicht wie in der Realität an. 360-Grad-Medien fanden mindestens seit der Samsung Gear VR im Jahre 2015 ihre Anhängerschaft.
Inhalt
180-Grad-Inhalte in 3D: Ein beliebtes Format
Monoskopische 360°-Aufnahmen können relativ einfach mit gängigen Consumer-360-Grad-Kameras, Rendering Tools für künstlich-erzeugten Content und Smartphone-Apps erzeugt werden. 360°-2D-Aufnahmen haben jedoch das Problem, dass wegen der fehlenden stereoskopischen Tiefe nähere Objekte überaus groß und damit unrealistisch erscheinen. Zudem kann es für Content-Ersteller:innen oft schwierig sein, dafür zu sorgen, dass die gesamten 360° der Umgebung interessant sind und nicht bloß die Fotograf:innen, Beleuchtungen oder andere fototechnische Hilfsmittel zeigen.
Unter anderem aus diesen Gründen gehen mehr und mehr immersive Medienmacher:innen auf das VR180 Stereoformat. Dabei werden mit zwei sehr weitwinkligen Fisheye-Linsen, meist an die 190°, simultan zwei Bilder aufgenommen. Hier ist im Gegensatz zu 360° kein Stitching notwendig, da der gesamte gewünschte Content von 180° oder 190° mit den Linsen aufgenommen wird. Die Fischaugen-Fotos werden dann normalerweise noch in ein equirektangulares Format konvertiert, ähnlich einer rechteckigen Weltkarte, die aus einem runden Globus erzeugt wird.
Durch das 3D-Format stimmen nun die Größenverhältnisse bei VR180 Content. Ungewünschte Objekte in der Aufnahme hinter der Kamera sind nicht mehr sichtbar, da nur die Halbkugel nach vorn aufgenommen wird. Viele VR-Fotograf:innen empfinden daher dieses Format sowohl immersiver als auch deutlich einfacher zu erzeugen.
Auf und Ab der Technologie
Die erste Consumer-VR180-3D-Kamera war 2018 die Lenovo Mirage Camera, die in Zusammenarbeit mit Google im Zusammenhang mit dem Daydream VR-Projekt entstanden ist. Für 300 Euro erlaubte die Kamera damals komplett neuartige VR-Aufnahmen. Während Google sich 2020 endgültig von seinen Daydream VR-Ambitionen verabschiedet hat, gab es noch einige andere Consumer-Kameras zu der Zeit (Insta360 EVO, Vuze XR), deren Support-Ende jedoch ebenfalls kurz darauf kam.
Das Thema kühlt ab, während 2020 in diversen Medien schon der Tod von VR heraufbeschworen wurde.
Neues Leben für VR 180
Ende 2021 gab es dann jedoch für VR180 die Überraschung: Canon veröffentlichte ein professionelles VR180-Stereo Objektiv, das Canon RF 5.2mm F2.8 L Dual Fisheye (Amazon). Mit einem gängigen spiegellosen Canon Camerabody EOS R5 (Amazon) und R5 c (Amazon) konnte man nun hochqualitative 8K VR180 Fotos und Videos (R5: 8K@30fps, R5 c: 8K@60fps) erzeugen.
Das Ganze lief über einen einzelnen Bildsensor, was auch mögliche Farbunterschiede bei der Verwendung von zwei Sensoren ausschließt. Leider war das Angebot mit über 6.000 Euro für Kamerabody und Linse nicht wirklich günstig.
Kürzlich erschien eine neue Serie weiterer VR180 Kameras in verschiedenen Preisregionen. Das Kickstarter-Projekt „Calf“ hat für 1.399 Dollar seine 8K Foto, 6K@50fps Video VR180 Kamera angeboten, die derzeit an die Unterstützer:innen verschickt wird.
Etwas höher bepreist ist die TECHE 3D180VR für 4.225 Dollar mit 8K@30fps Video und 8K Fotos.
Damit ist es für Konsument:innen, die eine Kamera im Preissegment unter 1.000 Euro erwarten, immer noch schwierig an eine neue VR180 Kamera zu kommen.
Gebrauchte VR180-3D Kameras wie die Insta360 EVO (6K) werden mittlerweile vereinzelt für über 600 Euro angeboten – deutlich teurer als der Neupreis von 2019 mit 379 Euro.
Die Hoffnungen liegen erneut auf Canon, die kürzlich einen Prototyp einer klappbaren VR180-3D / 360-2D Kamera gezeigt haben. Mixed-Kollege Tomislav überschreibt das mit „Canon kopiert Insta360“ und trifft damit das Konzept gut.
Mittlerweile wurde die Kamera als Prototyp erneut auf der Fachmesse IBC 2023 gezeigt. Dabei wurden einige neue Details bekannt:
- MIXED.de ohne Werbebanner
- Zugriff auf mehr als 9.000 Artikel
- Kündigung jederzeit online möglich
- Videofähigkeiten: 8K@30fps
- Auf die Fotoauflösung wurde nicht explizit eingegangen, jedoch kann man hier ebenfalls 8K annehmen
- Die Kamera hat einen kleinen Bildschirm auf einer der beiden Seiten
Der Bildschirm ist dabei besonders wichtig, da die bisherigen VR180 Kameras für Konsument:innen (Lenovo Mirage Camera, Insta360 EVO, Vuze XR) überhaupt kein Display hatten. Zwar gab es die komplizierte Möglichkeit, die Kamera mit dem Smartphone zu koppeln und dort mehr Informationen und Einstellungen zu erreichen – in der Praxis war das jedoch oft umständlich. Ich hoffe, dass es sich bei diesem Display um einen Touchscreen handelt, der zumindest kleine Einstellungsänderungen, etwa „HDR an/aus“ oder schnelles Ändern der Belichtungszeiten erlaubt.
Wie ich erfahren habe, sind derartige Ausstellungsmodelle, die nicht in Aktion gezeigt werden, leer. Die Elektronik wird bei diesen Modellen komplett entfernt. Damit man trotzdem ein authentisches Haltegefühl des Modells bekommen kann, wird beispielsweise durch Sand das Gewicht des Ausstellungsstücks simuliert.
Auch wenn die Präsentation von Prototypen keine Garantie dafür ist, dass ein Produkt erscheint, gehe ich davon aus, dass Canon es damit ernst meint. Die Bestrebungen von Canon im VR180-Bereich wurden erst kürzlich mit weiteren Firmware- und Software-Updates der professionellen Kamerabodys für das 5.2mm VR180-3D Objektiv bestärkt.
VR180 3D mit dem Smartphone
„Die beste Kamera ist die, die man dabei hat“ ist ein oft gehörter Spruch bei Fotografen. Genau hier spielt die neue Ankündigung der chinesischen Firma slamphone lnc hinein. Über ein bald startendes Indiegogo-Projekt kündigen sie das erste VR180-3D Smartphone an. Dabei soll neben Foto- und Videosupport auch Livestreaming möglich sein.
Laut der offiziellen Webseite wird das Smartphone „SLAM“ im Bereich von rund 300 Dollar und mehr eingeordnet. Nach möglichen „unerwarteten“ Preissteigerungen sowie der Mehrwertsteuer im deutschsprachigen Raum könnte dieses Smartphone in der Praxis schätzungsweise im Bereich von 500 bis 700 Euro erhältlich sein.
Damit ist es eine spannende Variante für Konsument:innen, die jederzeit VR180-Fotos und -Videos erstellen wollen. Allerdings gibt es hier auch eine Sorge: idealerweise, wenn man die Realität stereoskopisch abbilden möchte, nimmt man als Kameraabstand ungefähr den Abstand der menschlichen Pupillen, die sogenannte „Interpupillary Distance“ (IPD), die im Schnitt bei Erwachsenen bei 63 mm liegt. Aus künstlerischen Gründen oder in der 3D-Makrofotografie gibt es Ausnahmen – jedoch richtet sich das Gerät ja hauptsächlich an reguläre Privatnutzende.
Die genauen Dimensionen des SLAM-Phones sind bisher nicht bekannt, jedoch kann man anhand der Bilder einen maximalen Abstand von drei Zentimetern zwischen den Kameralinsen annehmen. Auf Nachfrage dazu antwortet der Hersteller auf Youtube, dass dies über die Software geregelt wird. Auf meine Frage, weshalb man dann die 3D-Kameras nicht untereinander mit dem gewünschten Abstand anordnet, wurde darauf verwiesen, dass dies bei der Positionierung der Hand beim Halten des Smartphones Schwierigkeiten mache. Das erinnert ein wenig an „You're holding it wrong“. Man könnte durchaus davon ausgehen, dass sich Smartphone-Nutzende an ein entsprechendes Kamera-Set-up beim Halten gewöhnen.
Zum Schluss verweist slamphone Inc übrigens noch auf ein anderes Projekt, das die empfohlenen 65 Millimeter Abstand zwischen den Linsen einhalten soll. Weitere Informationen sind bislang nicht bekannt, aber es könnte sich um ein Tablet mit VR180-3D Kameras handeln. Vielleicht ist auch der Einzug der halbspährischen 3D-Medien im Tablet-Markt bereits näher als gedacht.
Apropos Apple: mit der Ankündigung des neuen iPhone 15 zieht für die Pro-Version (Amazon) und Pro Max (Amazon) nach einem zukünftigen Update auf iOS 17.2 auch eine 3D-Kamerafunktionalität in diese iPhones. Diese erzeugen allerdings nur "low field-of-view" (kurzwinklige) 3D-Aufnahmen. Also mehr das, was man von 3D-TV oder 3D-Kino kennt, und keine Inhalte im halbsphärischen VR180-3D Format.
Auch Apple hat hier dieselbe Herausforderung wie das SLAM-Phone: die Kameras zur Aufnahme der 3D-Bilder sind weit entfernt vom gewünschten menschlichen Augenabstand. Eine Kompensierung über Software wird ebenfalls notwendig sein, wobei Apple bei dem Thema die größeren Ressourcen hat und bei kurzwinkligem 3D-Content das Problem etwas einfacher zu lösen sein sollte.
Es bleibt spannend und wir berichten gerne weiter über diesen neuen Medienbereich für Euch. Wie sind Eure Erfahrungen mit VR180 Medien? Habt ihr eine 3D-Kamera? Benutzt ihr vielleicht schon die Quest 3 für 3D-Aufnahmen? Lasst es uns in den Kommentaren wissen!
Unser Gastautor Daniel Pohl ist CEO und Gründer der Firma immerVR GmbH. Dort beschäftigt sich Daniel täglich mit den Neuerungen im Bereich immersiver Medien, meistens im Bereich der VR180 Stereofotografie. Mit seiner App immerGallery kann man immersive Fotogalerien, hinterlegt mit Voice-overs und Hintergrundmusik in verschiedenen VR-Formaten auf den Meta Quest-Brillen erleben.
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