„Amazon Prime Video für XR-Anwendungen“: TÜV Süd bietet Online-Shop für VR-Trainings an

„Amazon Prime Video für XR-Anwendungen“: TÜV Süd bietet Online-Shop für VR-Trainings an

Wer beruflich die Bedienung eines Krans oder den Austausch einer Hochvolt-Batterie im Elektroauto erlernen soll, kann dies mittlerweile in VR tun. Der TÜV Süd bietet einen Online-Shop für Industrie-XR-Anwendungen an. „Wir sind ein bisschen wie das Amazon Prime Video für XR-Anwendungen in der Industrie-Schulung“, sagt einer der Initiatoren.

Die Vorteile des VR-Trainings gegenüber der Ausbildung an realen Geräten liegen auf der Hand: Wer mit einer VR-Brille die Bedienung von Maschinen übt, kann dies gefahrlos und hunderte Male hintereinander tun. Das dürfte bei einem riesigen Brücken-Kran oder beim Wechsel einer Batterie in einem E-Auto eher schwierig sein.

„Beim Virtual Training benötigt man keine Ausstattung wie zum Beispiel Starkstromanlagen, Gefahrstoffe, Lkw oder Labore“, sagt Oswin Breidenbach, Innovation-Manager beim TÜV Süd. Alles findet in der Brille und im Virtuellen statt. Mit den „Immersive Trainings“ sind Trainer:innen und Trainees außerdem ortsunabhängig. „Ganz nebenbei ist der interaktive Ersatz für gefährliche Praxisweiterbildungen nicht nur sicher, sondern macht auch Spaß“, fügt Breidenbach hinzu.

Online-Bibliothek für VR-Trainings

Um der wachsenden Nachfrage nach VR in der Industrie und in der beruflichen Ausbildung mit fachlicher Kompetenz zu begegnen, hat der TÜV Süd eine Online-Bibliothek für VR-Anwendungen geschaffen. Die Plattform für Schulungs- und Trainingsumgebungen trägt den Namen „Immersive Virtual Expert Experience“, kurz IVEE (gesprochen „i-veeh“). Hier gibt es VR-Umgebungen, 360-Grad-Begehungen und „Serious Games“ als Desktop-Anwendungen.

Da ist beispielsweise die interaktive VR-Anwendung „Der Gefahrstoffschrank“: Hier können Anwender:innen lernen, mit einem Gefahrstoffschrank umzugehen, mit all seinen Chemikalien und eventuell auftretenden Mängeln. Die App kann direkt über das IVEE-Portal bezogen werden, sie kostet 1.500 Euro für eine Lizenz. Die „Schaltanlagensimulation“ wiederum hilft bei der Ausbildung im Umgang mit Schaltanlagen und Transformatoren, hier sind Spannungen von bis zu 36 Kilovolt möglich – eine höchst gefährliche Angelegenheit. Kostenpunkt für die VR-App: 3.500 Euro.

Neues Interesse durch Apples Vision Pro

Die XR Academy hat der TÜV Süd im Jahr 2019 ins Leben gerufen, mittlerweile gehören zehn Leute zum Team. „Etwa 22 Anwendungen gibt es bis jetzt auf der Online-Plattform“, sagt Breidenbach. „Die Nachfrage wächst stetig. Apple hat mit seiner Vision Pro noch einmal für stärkeres Interesse gesorgt.“

Jüngstes Mitglied in der TÜV-geprüften VR-Bibliothek ist eine App, die auch Kunden wie Continental, ArcelorMittal oder Kloeckner Metals, einer der größten Metall-Zulieferer Deutschlands, einsetzen. In Nürnberg stellte Kloeckner Anfang März stolz seine App vor, mit der angehende Kranführer riesige Monster von Brücken-Kranen steuern lernen. Für die Kran-VR-App arbeitete der TÜV Süd mit den Entwicklern von „Motions & Strategy“ zusammen, einem Entwicklerstudio aus Aachen.

Oswin Breidenbach nennt weitere Beispiele für das „Amazon Prime Video für industrielle XR-Anwendungen“, das er von Anfang an mit aufgebaut hat. Bei der Anwendung „Erste Hilfe Herz-Lungen-Wiederbelebung“ wird die Wiederbelebung im individuellen Lerntempo erlernt, so lange, bis alle Handgriffe verinnerlicht sind und im Notfall abgerufen werden können. Breidenbach hat in München Technische Kommunikation studiert und sich dann auf Usability und XR spezialisiert. Danach hat er einen Master in Mediendidaktik abgeschlossen.

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Rechtssicherheit durch Prüfungsordnungen Anerkennungen

Der TÜV Süd stehe mit seinem guten Namen für TÜV-geprüfte XR-Inhalte, erklärt Breidenbach. Dabei forciert die Organisation auch die Rechtssicherheit in der Ausbildung mit VR. Das bedeutet: Wenn Mitarbeiter:innen in geprüften und von Regulatoren anerkannter XR-Anwendungen geschult wurden und später trotzdem ein Unfall passiert, dann wird – wie in allen anderen Fällen auch – eine Versehrtenrente gezahlt. VR ist rechtlich längst vollständig als Äquivalent für das Praxistraining anerkannt.

Die DGUV Information 209-093 sieht beispielsweise für Stufe 2 und 3 mindestens 32 Unterrichtsstunden vor, wenn jemand den Tausch von Bauteilen in einem Elektro-Fahrzeug trainieren soll – etwa einen Inverter oder die Hoch-Volt-Batterie. Diese kann auch zu großen Teilen durch VR abgedeckt werden.

Bei der Kranführer-Ausbildung sorgt die Norm Nr. 2194 des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) für das Einhalten der Richtlinien bei der Ausbildung von Kranführern. Dazu gehören etwa der rechtliche Rahmen für den Betrieb von Kranen, die körperliche und geistige Eignung von Kranführern, die regelmäßige Unterweisung und Fortbildung von Kranführern und so weiter.

Um die Berufsgenossenschaften von VR zu überzeugen, sei anfangs viel Überzeugungsarbeit notwendig gewesen, berichtet Breidenbach. „Als wir der Berufsgenossenschaft der Kranführer erzählten, was wir mit VR vorhaben, hat man uns zunächst einmal mehrere Stunden lang erzählt, was daran alles nicht möglich ist. Aber wir vom TÜV Süd mit unseren Fachexperten wissen eben, worauf es hier ankommt – wir ticken vom Grundtenor ja ähnlich und möchten Leben schützen. Am Ende konnten wir gute Argumente liefern, und sie wurden überzeugt.“ Der entscheidende Punkt, so Breidenbach, sei gewesen, dass die Verantwortlichen – nach vielen Powerpoint-Slides – endlich selbst einmal die VR-App ausprobierten. „Auf einmal sahen sie, was in VR alles möglich ist.“

Der TÜV Süd und die Mitarbeiter:innen von IVEE stellen ihre Arbeit auf Messen vor, gehen auf große Industriekunden genauso zu wie auf kleine Fahr- und Berufsschulen. IVEE stellt Test-Kits zur Verfügung, mit der sich interessierte Kunden die eventuell noch unbekannte VR-Welt ansehen können. Die Software läuft dabei standardmäßig auf autarken VR-Brillen, hochgezüchtete PC-VR-Rechner sind nicht notwendig. Die TÜV-Experten setzen dabei bewusst nicht auf High-End-Hardware und Experten-Brillen wie die von Varjo. „Wir setzen auf Standard-Geräte wie Pico und HTC, die sind in der Industrie schon weit verbreitet.“ Interessierte können sich zudem einmal im Monat zu einem Webinar anmelden, bei dem IVEE-Mitarbeiter:innen die Vorteile von VR in der Ausbildung präsentieren.

Dieser Artikel wurde von unserem Gastautor Jörn Schumacher verfasst.

Quellen: TÜV Süd