Warum Virtual Reality und die VR-Brille nicht asozial sind
Eines der größten Vorurteile gegenüber der Virtual Reality lautet, dass die VR-Brille von der Außenwelt abschottet und somit sozial isoliert. Das Argument ist im Kern zwar berechtigt, verkennt aber das wahre Potenzial der neuen Technologie.
Sogar Apples Tim Cook glaubt das Märchen der sozial unverträglichen VR-Brille. Auf einer Techkonferenz in Utah sprach er im Kontext von VR-Technologien davon, dass Menschen "im Kern soziale Wesen sind" und es daher auf Dauer nicht akzeptierten, eine VR-Brille auf dem Kopf zu tragen. Sein Unternehmen setze daher auf Augmented Reality.
Auch die Tech-Autorin Adi Robertson von "The Verge" schrieb kürzlich darüber, wie die virtuelle Realität ihre Beziehung vor neue Herausforderungen stellt. Spielt sie Games mit der VR-Brille, merkt sie nicht mehr, ob ihr Mann noch im Raum sitzt. Das Ehepaar ist es eigentlich gewohnt, digitale Spiele gemeinsam zu erleben.
___STEADY_PAYWALL___Die Bedenken von Cook oder Robertson sind nachvollziehbar. Der neuen Technologie wird es auf absehbare Zeit nicht gelingen, das soziale Stigma des von der Außenwelt isolierten VR-Brillenträgers abzulegen. Wer sich das Gerät aufsetzt, ist gefühlt an einem anderen Ort. Für Personen, die sich im gleichen Raum befinden, ist das merkwürdig.
Die Isolation ist notwendig
Dagegen anzugehen würde allerdings das Konzept der Virtual Reality ad absurdum führen. Gimmicks wie das Social-Screen-Feature von Sony, bei dem das Bild aus der VR-Brille auf dem TV angezeigt wird, damit Außenstehende daran teilhaben können, bieten zwar Linderung. Sie werden sich auf Dauer jedoch nicht durchsetzen. Warum? Weil die Funktion dem Alleinstellungsmerkmal der virtuellen Realität widerspricht.
Wer in die Virtual Reality eintaucht, will Präsenz erleben: das Gefühl, wahrhaftig an einem anderen Ort zu sein. Die VR-Brille als Medientechnologie - das macht sie so besonders - wird für die Person unsichtbar, die sie auf der Nase trägt. So wird man vom Zuschauer zum Augenzeugen. Mit keinem anderen Medium ist es möglich, diesen Effekt zu erzielen. Immer erinnert uns das Zeitungspapier, der Buchumschlag oder der Rahmen des Monitors daran, wo wir in Wirklichkeit sind.
Eine geisterhafte Stimme aus der Realwelt, die einem permanent ins Ohr quakt, steht diesem Gefühl im Wege. Diese Art der Verbindung erinnert an das Sicherheitsseil eines Tauchers, an dem er im Notfall zieht, damit er von den Kollegen an der Wasseroberfläche wieder hochgezogen wird. Die Verbindung ist da, ja. Zu einem gemeinsamen Erlebnis wird der Tauchvorgang aber nur, wenn die anderen mit ins Wasser springen.
Zuckerberg: VR wird das sozialste Medium
Wie kommt es also, dass Facebook-Chef Marc Zuckerberg trotz dieser Prämissen immer wieder behauptet, dass Virtual Reality "das sozialste Medium" wird? Um das zu verstehen, ist ein Perspektivenwechsel nötig.
Zuckerberg war schon vor Facebook ein Computer-Nerd. Sozialer Austausch bedeutete für ihn: Chats, Foren, E-Mails. Mit Facebook schuf er eine soziale Umgebung, die ihm selbst vertraut war. Eine Plattform für digitale Kommunikation, später unter dem Sammelbegriff "Social Media" bekannt.
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Wirklich Social sind Facebook und Co. nicht, denn viele wichtige Elemente des sozialen Miteinanders werden in der digitalen Umgebung ausgeblendet. Man befindet sich in getrennten Räumen, nimmt weder Gestik noch Mimik des Gesprächspartners wahr, verlässt sich auf Abstraktionen wie Emoticons, um Gefühle auszudrücken. Im Grunde setzen wir online auf beinahe historische Kommunikationsmittel: Wir schreiben Briefe und hinterlassen Nachrichten und Bilder am schwarzen Brett.
[blockquote]Menschen gehen online, um sich zu begegnen.[/blockquote]Diese Defizite der rein digitalen Kommunikation sind Marc Zuckerberg bewusst. Mit VR haben er und sein Team nun Zugriff auf eine Technologie, die dazu imstande ist, die zuvor beschriebenen Mauern einzureissen. Menschen gehen nicht mehr online, um miteinander zu chatten. Sie gehen online, um sich zu begegnen. Sie verbringen Zeit miteinander statt nebeneinander. VR-Technologie verschafft Menschen Zugang zur digitalen Sphäre, die sie sonst nur von einem Monitor kennen. Hier verbirgt sich das soziale Potenzial der Virtual Reality, von dem Zuckerberg so überzeugt ist.
Dem ein oder anderen mag es schwerfallen, die sehr spielerischen Social-VR-Ansätze von Facebook und Co. ernst zu nehmen. Man sollte jedoch die technischen Restriktionen nicht übersehen, die die junge Technologie noch zurückhalten. Die ausgeprägte Abstraktion bei Facebooks Social-VR-Demos ist der noch geringen Menge an Daten geschuldet, die zwischen der realen und der virtuellen Sphäre ausgetauscht werden können.
Die 360-Grad-Umgebungen sind niedrig aufgelöst, die Avatare abstrakt dargestellt, deren Mimik eine bloße Interpretation der echten Sache. Doch die Menge an Daten - so verkündete es einst Oculus-Gründer Palmer Luckey - wird in den kommenden Jahren kontinuierlich erhöht. Die Folge: Digitale Kommunikation im virtuellen Raum wird menschlich. Trotz der räumlichen Distanz entsteht ein Gefühl von körperlicher Nähe.
Die virtuelle Realität ist bereits allgegenwärtig
Die Virtual Reality ist keine Science Fiction mehr, sondern längst Realität. Wer das nicht glaubt, soll sich im Bus, in der Bahn oder im Café umschauen und jene Menschen beobachten, die nur noch ihr Smartphone-Display wahrnehmen.
Die digitale Sphäre, in der sie sich in diesem Moment aufhalten, ist von uns allen erschaffen. Mit dem Internet und all seinen Diensten und Inhalten haben wir in den letzten Jahrzehnten einen ersten Prototyp der virtuellen Realität kreiert. Mit jeder nachfolgenden Generation wird die Akzeptanz für diese digitale Ausprägung unserer Existenz wachsen.
Im nächsten Schritt suchen wir nach neuen Wegen, mit dieser virtuellen Realität zu interagieren, sie zu betreten (VR) oder sie natürlicher in unsere Umgebung zu integrieren (AR). Mit dem Monitor und dem Smartphone-Display als Guckloch in die digitale Wirklichkeit wird sich die Menschheit auf Dauer nicht begnügen.
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