VR & jüdische Kultur: Zerstörte Synagogen virtuell rekonstruiert

VR & jüdische Kultur: Zerstörte Synagogen virtuell rekonstruiert

Rund 1.400 Synagogen wurden während der Novemberpogrome 1938 von den Nazis zerstört. Doch virtuell entstehen sie wieder neu: Ein Wissenschaftler der TU Darmstadt rekonstruierte bereits 25 Synagogen für Virtual Reality.

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„Für viele ist das Thema Synagogen völlig neu“, sagt Marc Grellert, Doktor der Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt. „Auch wie prächtig diese Gebäude einmal aussahen, ist vielen nicht bekannt.“

Der Architekt hat mittlerweile 25 Synagogen, die von den Nazis zerstört wurden, digital rekonstruiert. Für ihn ist klar: „Was das Gefühl angeht, wirklich in einem Raum anwesend zu sein, geht nichts über Virtual Reality. Inzwischen ist die Technik so gut und so preiswert, dass das relativ einfach möglich ist.“

Grellert erweckt so fast vergessene jüdische Religion und Kultur wieder zu virtuellem Leben. Etwa die Synagoge in Dortmund mit ihrem fast orientalisch anmutenden Kuppeln, die samtroten Wände der ehemaligen Synagoge von Hannover, eine in leuchtenden Farben erstrahlende Kreuzkuppel in Köln mit blauem Nachthimmel und Sternen. Überraschend modern sah die Synagoge von Plauen aus: im Bauhaus-Stil mit grün-blau getünchten Wänden wurde sie erst 1930 eingeweiht, bevor Nazis sie acht Jahre später zerstörten.

Ausstellungen in Frankfurt und Erfurt: Mit der VR-Brille jüdische Geschichte neu entdecken

Seit Ende 2021 kann man sich das digitale Werk Grellerts in einer Ausstellung anschauen. Im Hochbunker an der Friedberger Anlage in Frankfurt am Main hat der Verein „Initiative 9. November“ eine Ausstellung eingerichtet. Besucherinnen und Besucher können sich hier mit der VR-Brille Meta Quest 2 in die Frankfurt Synagoge versetzen lassen, die genau an diesem Ort stand. Die Erfahrung wird als VR-Film angeboten, da die Veranstalter Besuchende nicht mit einer interaktiven VR-App überfordern wollen.

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Auch in Erfurt hat man von Grellerts VR-Rekonstruktion erfahren und wollte die Inspiration nutzen, um die Große Synagoge von Erfurt virtuell nachzubauen. Ein Team von Mitarbeitern der Universität Erfurt, der Fachhochschule Erfurt sowie der Universität Jena bauten das 3D-Modell. An gleich drei Orten in Erfurt können Besuchende mit einer VR-Brille das 1938 zerstörte Gebäude besichtigen: in der „Neuen Synagoge“, in der Ausstellung „360Grad Thüringen Digital Entdecken“ in der Erfurter Innenstadt und am Erinnerungsort „Topf & Söhne“.

Auf einer Webseite kann man sich das 3D-Modell der Großen Synagoge Erfurt in einem Web-Interface ansehen – aber das ist natürlich mit einem Besuch in Virtual Reality nicht zu vergleichen. Die Israelitische Kultusgemeinde in Nürnberg hat ebenfalls Interesse an dieser Art der Wissensvermittlung gezeigt und möchte die virtuellen Synagogen vor Ort präsentieren.

VR-Modelle als Vorlagen für 3D-Druck und weitere Projekte gegen das Vergessen

Grellert nutzt einen weiteren Nebeneffekt der digitalen Rekonstruktion: Die 3D-Modelle lassen sich durch die Methode des „Rapid Prototyping“ vom Computer in ein physisches Modell ausdrucken. In Kaiserslautern steht bereits eines von Grellerts Modellen, aus Gips und im Querschnitt offen, was einen Blick ins Innere erlaubt. Auch das Jüdische Museum in Berlin stellt bereits vier Synagogen-Modelle aus.

Bänke der Empore der Synagoge Plauen in VR, Blick auf den Innenraum mit Bänken und Altar

Blick von der Empore der in VR rekonstruierten Synagoge Plauen. | Bild: Marc Gellert, TU Darmstadt

Dr.-Ing. Grellert arbeitet mittlerweile an einem neuen Projekt: die digitale Rekonstruktion des jüdischen Viertels in Köln. Dort erstreckt sich in der Nähe des Rathausplatzes auf einer Fläche von 6.000 Quadratmetern eine riesige archäologische Zone. Ein neues Museum ist hier geplant und die virtuellen Synagogen werden ein Höhepunkt der Ausstellung sein.