Virtual Reality: "Es wird eine gewaltige Kultur­debatte geben"

Virtual Reality:

Matthias Horx ist Trend- und Zukunftsforscher. Nach einer Laufbahn als Journalist (bei der Hamburger Zeit, Merian und Tempo) gründete er zur Jahrtausendwende das „Zukunftsinstitut”, das Unternehmen und Institutionen berät. Wir sprechen mit ihm über das Suchtpotenzial von Virtual Reality, dynamische n-Räume und gemeinsam konstruierte Wirklichkeiten.

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VRODO: Herr Horx, wie kann man mit Zukunftsforschung etwas über Virtual oder Augmented Reality herausfinden?

Matthias Horx: Es gibt zwei Arten von Futurismus oder “Denken über die Zukunft”. Die erste, die lineare Futurologie, rechnet einfach heutige Trends geradeaus weiter. Danach wäre VR eben der logische “kommende Supertrend”, weil das Thema neu und spektakulär ist. So wie Flugautos oder Sexroboter. “Futurismus 2” versucht hingehen, die Welt aus der Fülle der Komplexität heraus zu verstehen. Danach entsteht das Morgen aus der Interaktion von Systemen -  kulturellen, sozialen, ökonomischen und technologischen. Dabei spielen Trends und Gegentrends, Wechselwirkungen und vor allem humane, psychologische Faktoren eine große Rolle.

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VRODO: Wie prognostizieren Sie die Entwicklung des Marktes und der Technologie hinsichtlich sozialer und gesellschaftlicher Dimensionen?

Matthias Horx: Das Problem ist, dass VR einen starken sozialen Entfremdungseffekt erzeugt. Wer im Cyberspace unterwegs ist, entkoppelt sich ja zunächst von einer Realitätsebene, in der er mit anderen Menschen verbunden und sozial gebunden ist. Es gibt dieses Bild vom Mobile Congress Barcelona, wo Mark Zuckerberg durch einen Saal voller “Cybernauten” geht; das hat schon etwas Gespenstisches, als würde ein Herrscher seinen Palast voller entrückter Anhänger besichtigen. Der Imperator besichtigt seine Sturmtruppen.

Soziale Interaktion in Virtual Reality kann nicht auf der klassischen Facebook-Plattform stattfinden, glaubt Palmer Luckey.

Der Imperator marschiert. BILD: Facebook / Marc Zuckerberg

Frauen sind von VR seltener begeistert, das könnte auch damit zusammenhängen, dass es ihrem höheren sozialen Bindungstonus widerspricht. Männer hingegen haben eher einen Drang in “andere Welten”, einen inneren Eskapismus und das wird die Technik zunächst einmal an der Front von Entertainment, Spielen und - ehrlicherweise - Pornographie platzieren. Dabei werden neue Suchtformen auftreten. Wenn man in Eve Valkyrie als Pilot überleben will, muss man verdammt gut sein. Verdammt gut! Das heißt, man muss viele, viele Stunden üben - und dabei wechselt man tatsächlich die Realitätsseite.

Das, was wir mit großen, epochalen Computerspielen wie World of Warcraft erlebt haben, diese “Immersionsgefahr”, das Nicht-mehr-Zurückkommen, wird sich dann noch einmal in ganz andere Dimensionen steigern. Mittel- und Langfristig sehe ich Cyber-Vergnügungsparks, wie sie im Endteil von Stephen Spielbergs “AI” gezeigt werden. Wo man Drogen und VR zum echten Wegblasen kombiniert. Unvorstellbare Orgien, unvorstellbare Welten! Die Blaulichtbezirke der Zukunft, in der sich die desolaten Klassen mit Illusionen durchblasen lassen.

[blockquote cite="Matthias Horx"]"Es wird eine gewaltige Kulturdebatte geben!"[/blockquote]

VRODO: Der Einsatz von Virtual Reality ist allerdings nicht auf Entertainment und Pornographie beschränkt.

Matthias Horx: Die andere Seite sind natürlich praktische Anwendungen in der Medizin, in der Simulation, auch im Kommunikativen, Künstlerischen, im Therapeutischen. Durch Virtuelle Präsenz lassen sich Extremsituationen besser verstehen und meistern, vielleicht sogar soziale Kontexte aufbauen, etwa, wenn man in eine Armuts- oder Kriegssituation “gebeamt” wird. Heute schon dient Virtualität zum Training von Piloten, es wird auch im Rahmen von Sporttraining und Pädagogik einen Platz finden.

Die zentrale Frage aber wird sein: Wie geht Virtualität mit dem Zwischenmenschlichen um, mit der Tatsache, dass wir after all fleischliche, körperliche Wesen sind, die ein großes Bedürfnis nach physischer Präsenz haben? Einerseits sind wir tatsächlich “Virtualisierer”, denn wir können träumen und uns viele Dinge vorstellen. Auf der anderen Seite haben wir eine tiefe Sehnsucht nach einer Realität, auf die wir uns verlassen können, die uns Heimat und Geborgenheit gibt, die eindeutig ist. Diese innere Paradoxie wird durch virtuelle Techniken zu einem großen, existentiellen Riss ausgeweitet.

VR ist im wahrsten Sinne eine dramatische Technik: Sie dramatisiert unsere menschliche Dualität zwischen Traum und Realität (die natürlich auch nur ein Konstrukt ist). Deshalb werden sich in Zukunft vor allem Philosophen und Kognitionspsychologen intensiv mit der Virtuellen Realität befassen. Es wird eine gewaltige Kulturdebatte geben!

| Featured Image: EranFolio bei Deviantart