Lytro, Google Glass und der Elefant im Raum

Lytro, Google Glass und der Elefant im Raum

Der Entwickler und Optik-Spezialist Warren Craddock arbeitete bei Lytro und an Google Glass. Beide Projekte scheiterten, weil die Teams zentrale Probleme ignorierten, die ihnen laut Craddock über Jahre bewusst waren.

2018 machte das gehypte Kameraunternehmen Lytro dicht und wurde an Google ausverkauft. Lytros Mission seit circa 2016 war hochgesteckt: Mit neuartigen Lichtfeld-Kameras wollte die Firma volumetrische, in VR und AR begehbare Filme drehen. Den Endkundenmarkt für kompakte Lichtfeldkameras ließ Lytro zu diesem Zeitpunkt hinter sich.

Ein erster Prototyp der Lytro Immerge Lichtfeldkamera für VR und AR. | Bild: Lytro

Lytro zeigte über die Jahre zwar beeindruckende Lichtfelddemos und Prototypen. Jedoch gelang es dem Unternehmen nie, die aufwendige und teure Technologie zu miniaturisieren. Die Physik setzte den Kameras Grenzen, die Lytro über Jahre hinweg ignorierte.

Corporate Verdrängung

Warren Craddock arbeitete von August 2011 bis Juni 2013 bei Lytro, also noch vor der XR-Phase. Bei Twitter berichtet er von einem zentralen Problem von Lytros Lichtfeldtechnologie: Die Kameras konnten physikalisch bedingt nur winzige Objekte fotografieren, etwa ein einzelnes Sushi. Doch Menschen fotografieren am liebsten andere Menschen.

Im Zuge der Neuausrichtung auf XR begann Lytro daher, immer größere, schwerere Kameras zu bauen, um größere Szenen und Objekte als Lichtfeld einzufangen. Die Kameras wurden dabei so groß und schwer, dass sie mit einem Kran an den Drehort gebracht werden mussten. Ein laut Craddock grundlegendes Problem, das dem Team bekannt war, das es aber über Jahre ignorierte.

Im ersten Quartal 2018 sollen VR-Nutzer zum ersten Mal ein räumliches Video des Unternehmens zu sehen bekommen.

Lytros letztes Aufbäumen war das riesige Kameragestell Immerge. | Bild: Lytro | Bild: Lytro

"Jeder war sich tief im Innern darüber im Klaren, dass Mittelstufengeometrie dem Design zum Verhängnis wurde, aber jeder glaubte auch fest daran, dass es irgendwie durch schieren Willen, harte Arbeit oder einen Geniestreich überwunden werden könnte", schreibt Craddock.

Craddock sieht in diesem Verhalten ein wiederkehrendes Problem bei Kulturen, die um Produkte, Methoden oder Erfindungen entstehen: Diskussionen über fatale Fehler würden ausgeschlossen. Stattdessen entwickelten sich ausgeklügelte Wege, diese zu überspielen, die über die Zeit immer raffinierter würden.

Googles Glass ist nutzlos - und man sieht blöd damit aus

Craddock erlebte dieses Phänomen noch zwei weitere Male in seiner Karriere. Nach seinem Ausstieg bei Lytro heuerte er im Juni 2013 bei Google an und arbeitete an Google Glass, hier speziell am Kamera-Design.

Google Glass hatte laut Craddock gleich zwei fatale Fehler: Die Brille hatte keine nützliche Funktion und "man sah blöd damit aus".

Doch das Glass-Team ignorierte diese beiden Probleme. Stattdessen habe es viel Aufwand für die Suche nach einer "Killer App" betrieben, die aber nicht gefunden wurde. Die Kultur im Team hätte es jedoch verhindert, diesen Zustand einfach zu akzeptieren.

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Stattdessen brachte Google die weiterentwickelte "Explorer Edition" auf den Markt, die letztlich an den gleichen Problemen scheiterte. "Wenn man Glass trug, sah man außerdem dumm aus", schreibt Craddock.

Datenbrillen sind als Interface einfach

Google Glass ist laut eines ehemaligen Projektbeteiligten eine nutzlose Hardware, mit der man noch dazu blöd aussieht - und das Team sprach nie über diese beiden Probleme. | Bild: Google

"Die Ingenieure verbrachten ihre Tage damit, Glass zu testen, indem sie Fragen wie 'Ok Glass, wie hoch ist der Eiffelturm?' stellten und Fotos von den Topfpflanzen auf ihren Schreibtischen machten", schreibt Craddock. "Telefonbenachrichtigungen sind schon schlimm genug. Niemand wollte sie auch noch auf seinem Gesicht haben. Glas war einfach nicht nützlich."

Das Team hätte die Brille nicht mal selbst tragen wollen. Die Geräte in den Büros hätten auf den Schreibtischen und in Ladestationen herumgelegen.

Bedenkenträger vor

Craddock erwischte es noch ein drittes Mal, nämlich bei der KI-gesteuerten automatischen Kamera Google Clips. Hier war laut Craddock das Problem, dass Clips die Bilder aus seltsamen Blickwinkeln machte, Menschen aber Fotos von anderen Menschen auf Augenhöhe bevorzugten.

Das Team habe das Problem zwar erkannt, aber nicht anerkannt, so Craddock. Stattdessen habe es versucht, eine KI-gestützte perspektivische Korrektur vorzunehmen und neue Halterungen zu konstruieren. Letztlich kam das Gerät auf den Markt und scheiterte.

Mitarbeitende müssten auf ungelöste Probleme hinweisen können, sogar dann, wenn sie das Produkt und damit das Team an sich infrage stellten, lautet Craddocks Lösung. "Ermutigen Sie die Mitarbeiter, offen über die 'Elefanten im Raum' zu sprechen."

Craddock arbeitet heute als Software-Entwickler bei Googles autonomer Tochterfirma Waymo für autonomes Fahren. Möge es ihm dort besser ergehen.

Quellen: Twitter