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Eine KI-Software soll dabei helfen, Persönlichkeitsmerkmale von Bewerbern während einer Video-Bewerbung einzuschätzen. Doch wie verlässlich kann sie sein, wenn schon ein Bild an der Wand im Hintergrund das Ergebnis verändert?

Das Münchner Start-up Retorio will großen Unternehmen mit KI den Bewerbungsprozess erleichtern. Während eines Gesprächs analysiert eine KI Sprache, Mimik und Gestik des Bewerbers, soll daran Verhaltensweisen erkennen und basierend auf diesen ein Persönlichkeitsprofil erstellen. Das führt laut Retorio zu einem schnelleren, objektiveren und faireren Bewerbungsprozess.

Die Verhaltensweisen im Bewerbungsgespräch legt Retorios KI auf das sogenannte Fünf-Faktoren-Modell (Big Five) um, das Persönlichkeit in den Dimensionen Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus beschreibt.

Bewerberauswahl per KI: Sind Brillenträger weniger gewissenhaft?

Datenjournalisten des Bayerischen Rundfunks haben jetzt gemeinsam mit dem Politmagazin report München die KI-Bewerbungssoftware von Retorio näher untersucht. Dabei testeten sie, wie sich die Einschätzung der KI über die Persönlichkeitsmerkmale einer Person verändert, wenn sich im Video visuelle Merkmale ändern wie beispielsweise eine Brille, ein Kopftuch oder ein Bücherregal im Hintergrund.

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Mit insgesamt elf Testpersonen produzierten die Journalisten mehrere hundert Bewerbungsvideos mit unterschiedlichen visuellen Elementen im Bild und ließen sie von der KI bewerten. Dabei stellten sie teils starke Schwankungen beim KI-Urteil fest abhängig von den veränderten visuellen Merkmalen im Bild.

Steht zum Beispiel eine Bücherwand statt einer nackten Wand im Hintergrund, ändert sich die Einschätzung der KI von "zurückhaltend" zu "lebhaft". Trägt eine Person eine Brille, wird sie als weniger gewissenhaft eingeschätzt. Sogar die Veränderung der Bildhelligkeit oder des Kontrastes sollen die Einschätzung der KI bereits verändern.

Bewerbung: KI analysiert geeignete Kandidaten vorab
Die Tests des BR und von Report München zeigen, dass die KI eine Bewerberin mit Brille als weniger gewissenhaft einschätzt als ohne Brille. | BILD: BR / Report München

KI-Analyse von Menschen: Wer macht eigentlich die Regeln?

Retorio begründet diese Schwankungen damit, dass "solche Faktoren" wie bei einem normalen Bewerbungsgespräch in das KI-Urteil über den Bewerber einfließen. Der Algorithmus sei darauf trainiert, die Wirkung eines Bewerbers auf andere Menschen zu messen.

Retorio trainierte die KI mit Videos von 12.000 Personen verschiedenen Alters, Geschlechts und mit unterschiedlicher Herkunft. Die Videos wurden in Hinblick auf das Big-Five-Modell von 2500 Menschen bewertet. Im Abgleich mit den menschlichen Bewertungen soll Retorios KI eine Genauigkeit von 90 Prozent erreichen.

Neu ist der KI-Bewertungsansatz nicht: Das US-Unternehmen Hirevue beispielsweise liefert schon seit mehreren Jahren KI-gestützte Bewerberbewertungssoftware an Unternehmen wie Vodafone, Intel, Hilton oder Ikea. Auch Retorio hat laut eigenen Angaben namhafte Unternehmen aus dem DAX als Kunden.

Empfehlung

Möglicherweise vielversprechender als der Ansatz, das gesamte Bild und Sprache für eine Persönlichkeitsanalyse auszuwerten, könnte die KI-Auswertung von Augenbewegungen sein. Äußere Merkmale am Körper oder in der Umgebung spielen bei diesem Verfahren keine Rolle.

Bei einer Forschungsarbeit aus 2018 zeigten Psychologen, dass eine KI bei vier von fünf Persönlichkeitsmerkmalen zuverlässig die Selbsteinschätzung von Probanden aus einem standardisierten Fragebogen prognostizieren konnte.

Quelle und Titelbild (Screenshot der Webseite): BR24 / Interaktive Dokumentation

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Online-Journalist Matthias ist Gründer und Herausgeber von THE DECODER. Er ist davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Beziehung zwischen Mensch und Computer grundlegend verändern wird.
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