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Das 2019 in Tel Aviv gegründete Start-up Hour One kauft Lizenzrechte an realen Gesichtern, um diese dann per Deepfake-Technik in Marketing-Videos zu verwenden.

Kürzlich trat der US-Schauspielstar Bruce Willis in einem russischen Werbefilm auf. Anstatt die strapaziöse Reise und die Dreharbeiten auf sich zu nehmen, verlieh er der produzierenden Firma verhältnismäßig günstig die Rechte an seinem (jungen) Gesicht.

Fortschrittliche Deepfake-Technologie macht diesen Wandel möglich: Früher hätte sich der Aufwand, Willis' Gesicht zu fälschen, nicht rentiert im Verhältnis zu den Kosten für seine schauspielerische Präsenz vor Ort. Doch mit der KI-Klontechnik sind überzeugende Montagen für wenig Geld möglich.

Für Schauspieler:innen und prominente Personen öffnet sich so ein neues Geschäftsmodell: "Rent my face". Das israelische Start-up Hour One will diesen Nebenverdienst für jedermann ermöglichen.

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Nebenverdienst für Studentin: Miete mein Gesicht

Die 23-jährige Studentin Lira hat ihr Gesicht an Hour One lizenziert: Deepfake-Varianten ihrer selbst treten in Werbevideos für Autos auf oder in Einarbeitungsvideos für neue Angestellte.

Es ist ein kurzer Weg für Lira in ihre Nebenkarriere als Multimodel: Vor einem Greenscreen spricht sie zehn Minuten in eine herkömmliche 4K-Kamera. Dabei zeigt sie verschiedene Gesichtsausdrücke. Für die Aufnahme muss sie nicht einmal in ein Studio fahren - die gesamte Produktion kann remote und in der Cloud ablaufen.

Liras Deepfake-Avatar kann in vielen Rollen und Videos auftreten. | Bild: Hour One
Liras Deepfake-Avatar kann in vielen Rollen und Videos auftreten. | Bild: Hour One

Mit GAN-Technologie (Entwicklung) erstellt Hour One anhand der Aufnahmen einen KI-Klon ihres Gesichts, der ebenfalls mit KI-generierter Stimme vertont werden kann. Dieser Klon kann dann vor verschiedenen Hintergründen in die Kamera sprechen und etwa durch animierte Marketing-Präsentationen leiten.

Das Markengesicht, das die Marke nicht kennt

So wird Lira zum Gesicht verschiedener Marken in unterschiedlichen Ländern, ohne dass sie jemals direkt mit diesen Marken oder ihren Inhalten in Kontakt tritt. "Freunde haben mir Videos geschickt, in denen sie mein Gesicht gesehen haben, was sich sehr seltsam anfühlt", sagt Lira.

"Hour One Charaktere sind menschlich und man fühlt sich mit ihnen verbunden. Sie passen konsistent zur Marke, Tage mit schlechter Frisur gibt es nicht", beschreibt Hour One die Vorteile der KI-Marketing-Gesichter.

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Die Firma verspricht Unternehmensvideos "zu einem Bruchteil der Kosten, in Minutenschnelle, in jeder Sprache, zur Eigenbearbeitung und in großem Umfang." Zahlreiche Demovideos, auch mit Lira, gibt es auf der offiziellen Webseite zu sehen.

100 Charaktere, Tendenz steigend

Mietbare Deepfakes wie jenen von Lira bezeichnet Hour One als "Charakter". Rund 100 davon hat das Start-up in einer Datenbank. Viele weitere sollen folgen.

Laut Hour-One-Strategiechefin Natalie Monbiot ist die Nachfrage, in die Datenbank aufgenommen zu werden, groß: "Wir haben eine Warteschlange mit Leuten, die unbedingt ein Charakter werden wollen."

Kunden von Hour One suchen sich ihren favorisierten Charakter aus dieser Datenbank aus. Dann übermitteln sie den Text, den sie eingesprochen haben wollen. Dieser wird entweder multilingual per KI-Stimme vertont oder für einen Aufpreis professionell eingesprochen und dann mit dem Deepfake-Gesicht synchronisiert.

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Hour One agiert bei der Auswahl der Charaktere wie eine Modelagentur und möchte ein breites Spektrum verschiedener Persönlichkeiten unterschiedlicher Herkunft KI-klonen. "Wir ersetzen das Studio", sagt Monbiot. "Ein Mensch muss seine Zeit nicht mehr mit Filmen verschwenden."

Von den Einnahmen leben können die realen Menschen hinter den Hour One Deepfake-Charakteren nicht, aber laut Monbiot soll der Service zukünftig die Chance auf ein "gutes Einkommen" bieten - "wenn alles gut geht".

Wer sein Gesicht an Hour One verleiht, hat bei den anschließenden Produktionen kein Mitspracherecht. Hour One sichert allerdings zu, dass ethisch potenziell problematische Bereiche wie Glücksspiel, Pornografie oder Politik nicht bedient werden.

40 Unternehmen zählt das Start-up laut eigenen Angaben zu seinen Kunden, darunter mit Berlitz eine internationale Sprachschule mit Videokursen. Das folgende Video zeigt eine Unternehmenspräsentation von Monbiot aus dem Mai 2020.

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Online-Journalist Matthias ist Gründer und Herausgeber von THE DECODER. Er ist davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Beziehung zwischen Mensch und Computer grundlegend verändern wird.
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