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Mit der umstrittenen Clearview-App reicht ein einziges Foto, um Menschen zu identifizieren. Obwohl die Gesichtserkennung lediglich von Strafverfolgungsbehörden eingesetzt werden sollte, kommen immer wieder Fälle ans Licht, die das Gegenteil belegen. Sie zeigen, dass der App-Zugang eher locker gehandhabt wird.

Der Milliardär John Catsimatidis saß in einem New Yorker Restaurant, als er seine Tochter mit einem unbekannten, jungen Mann hereinkommen sah.

Neugierig darauf, mit wem sich die Tochter trifft, bat er einen Kellner, heimlich ein Foto des Paars zu machen. Das Foto lud er anschließend in die Gesichtserkennungs-App Clearview. Nach zwanzig Sekunden identifizierte sie den mysteriösen Begleiter als einen Investor aus San Francisco.

"Ich wollte sicher sein, dass er kein Scharlatan ist", sagt Catsimatidis gegenüber der New York Times, die die Begebenheit aufdeckte.

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Die Tochter und ihr Date bekamen nichts mit von der Spionageaktion und waren ihm später auch nicht böse, als sie davon erfuhren. "Ich erwarte, dass mein Vater verrückte Dinge tun kann. Er ist technisch sehr versiert", sagt Tochter Andrea Catsimatidis.

Techkonzerne und Politiker demonstrieren

Die Clearview-App gleicht hochgeladene Fotos mit über drei Milliarden Bildern ab, die von einem automatisierten System von Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram heruntergeladen und analysiert werden. Eine Gesichtserkennungs-KI identifiziert die Person auf dem Foto und verlinkt die Suchergebnisse.

Die New York Times deckte das im Geheimen agierende Startup Anfang des Jahres auf. Vonseiten der Entwickler hieß es, dass nur Strafverfolgungsbehörden Zugang zur App hätten. Später kam heraus, dass New Yorker Polizisten Clearview weiter auf Eigeninitiative nutzten, obwohl sich deren Abteilung gegen einen offiziellen Einsatz entschied.

Facebook, Twitter und Google schickten dem Startup Clearview AI Unterlassungsaufforderungen, da sie das sogenannte Scraping von Bildern in ihren Nutzungsbedingungen untersagen.

Auch Politiker schalteten sich ein: Der demokratische Senator Edward Markey richtete einen offenen Brief an den Startup-Gründer Hoan Ton-That und verlangte nach Antworten. "Clearview unterläuft auf fundamentale Weise die Erwartung der US-Amerikaner, sich in der Öffentlichkeit frei bewegen und versammeln zu können, ohne dabei identifiziert zu werden", schreibt der Senator.

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Ein Hit auf Partys

Ende Februar deckte Buzzfeed auf, dass das Startup Clearview AI bereits mehr als 2.200 internationale Kunden hat, darunter auch Unternehmen wie Walmart, Macy's und Best Buy.

Nun schreibt die New York Times, dass Investoren und Partner ebenfalls probeweise Zugriff auf die App erhielten und sie privat nutzten. So wie der Milliardär Catsimatidis, der die App bereits 2018 einsetzte, um seine Tochter auszuspionieren. Catsimatidis ist Gründer der Supermarktkette Gristedes und nutzte die App zunächst für die Identifizierung von Ladendieben.

Die mächtige Gesichtserkennungs-App sei gerne auf Partys, Dates und Geschäftstreffen demonstriert worden, heißt es im Bericht. Die schulpflichtige Tochter eines Investors spielte ebenso gerne mit der App wie der US-Schauspieler und Investor Ashton Kutcher, der angeblich auf Youtube damit angab.

Die Büchse der Pandora ist geöffnet

KI-Experte Nicholas Cassimatis bekam von Clearview AI zu Testzwecken Zugriff auf die App. Er lud Bilder von mehr als 800 US-Politikern hoch und die App identifizierte alle korrekt. Cassimatis darf Clearview weiter nutzen und tut das auch: "Ich testete die App an ungewöhnlichen Orten: in verrauchten Bars, dunklen Orten. Und sie funktionierte jedes Mal", sagt Cassimatis der New York Times.

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Clearview AI veröffentlichte Ende Januar Verhaltensgrundsätze, in denen das Startup beteuert, dass "nur Strafverfolgungsbehörden und ausgewählte Sicherheitspersonal" auf die App Zugriff hat.

Die jüngsten Fälle widerlegen diese Behauptung und zeigen wie schnell sich die Technologie verbreiten könnte, wenn keine Gesetze gegen deren Nutzung existieren. Die ersten großen Missbrauchsfälle dürften dann nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Titelbild: NEC (Screenshot bei YouTube), Quelle: New York Times, Buzzfeednews

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